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Medizinische Beurteilung des Patienten mit psychischen Symptomen

VonMichael B. First, MD, Columbia University
Reviewed ByMark Zimmerman, MD, South County Psychiatry
Überprüft/überarbeitet Geändert Okt. 2024
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Quellen zum Thema

Die medizinische Beurteilung von Patienten mit psychiatrischen Symptomen zielt darauf ab, drei Dinge zu identifizieren:

  • Allgemeine medizinische Störungen, die psychiatrische Störungen nachahmen

  • Allgemeine medizinische Störungen, die durch psychiatrische Störungen oder deren Behandlung verursacht oder verschlimmert werden

  • Allgemeine medizinische Störungen, die psychiatrischen Störungen begleiten

Zahlreiche allgemeine medizinische Störungen verursachen Symptome, die spezifische psychiatrische Störungen nachahmen (siehe Tabelle Ausgewählte psychiatrische Symptome aufgrund allgemeiner medizinischer Störungen). Andere allgemeine medizinische Störungen ahmen möglicherweise keine spezifischen psychiatrischen Syndrome nach, sondern beeinflussen stattdessen die Stimmung oder Wachsamkeit.

Viele Medikamente können psychiatrische Symptome verursachen; die häufigsten Klassen medikamentenbedingter Ursachen sind

Zahlreiche andere Medikamente und Medikamentenklassen wurden ebenfalls in Betracht gezogen; dazu gehören einige Klassen, die normalerweise nicht berücksichtigt werden (z. B. Antibiotika, Antihypertensiva). Substanzen wie Alkohol, Amphetamine, Marihuana (Cannabis), Kokain, Halluzinogene, und Phencyclidin (PCP), insbesondere bei häufigem Konsum oder höheren Dosen, sind ebenfalls häufige Ursachen für psychiatrische Symptome. Entzug von Alkohol, Barbituraten oder Benzodiazepinen kann, zusätzlich zu den körperlichen Entzugssymptomen, psychische Symptome (z. B. Angst) hervorrufen.

Patienten mit einer psychischen Störung können eine nicht damit zusammenhängende körperliche Erkrankung entwicklen (z. B. Meningitis, diabetische Ketoazidose), die neue oder verschlechterte psychische Symptome verursacht. Somit sollte ein Arzt nicht davon ausgehen, dass alle psychischen Symptome bei Patienten mit einer bekannten psychischen Störung auf diese Erkrankung zurückzuführen sind. Der Arzt muss möglicherweise etwaige körperliche Ursachen für psychische Symptome proaktiv angehen, insbesondere bei Patienten, die ihren körperlichen Gesundheitszustand nicht beschreiben können, weil sie eine Psychose oder Demenz haben.

Tipps und Risiken

  • Gehen Sie nicht davon aus, dass alle psychiatrischen Symptome bei Patienten mit einer bekannten psychiatrischen Störung auf diese Störung zurückzuführen sind.

Patienten, die sich wegen psychiatrischer Betreuung vorstellen, haben gelegentlich unerkannte allgemeine medizinische Störungen, die nicht die Ursache ihrer psychiatrischen Symptome sind, aber dennoch eine Bewertung und Behandlung erfordern. Solche Störungen können in keinem Zusammenhang mit der psychischen Störung stehen (z. B. Hypertonie, Angina pectoris) oder durch diese verursacht sein (z. B. Unterernährung aufgrund mangelnder Essensmotivation bei chronischer Schizophrenie) oder auf deren Behandlung zurückgeführt werden (z. B. Hypothyreose durch Lithium, Hyperlipidämie als Folge von atypischen Antipsychotika).

Tabelle
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Abklärung

Eine Beurteilung durch Anamnese, körperliche Untersuchung und manchmal Labortests oder bildgebende Verfahren des Gehirns (1) ist erforderlich für Patienten mit

  • Neu auftretenden psychiatrischen Symptome (d. h. keine Anamnese mit ähnlichen Symptomen)

  • Qualitativ unterschiedlichen oder unerwarteten Symptomen bei einem Patienten mit einer bekannten oder stabilen psychischen Störung

  • Psychiatrische Symptome, die aufgrund von Patientenmerkmalen ungewöhnlich sind (z. B. Beginn in einem unerwarteten Alter - neu auftretende Psychose bei einem älteren Erwachsenen)

Das Ziel der medizinischen Beurteilung ist es, zugrunde liegende und begleitende allgemeine medizinische Störungen zu diagnostizieren, anstatt eine spezifische psychiatrische Diagnose zu stellen.

Anamnese

Die Anamnese der aktuellen Erkrankung sollte die Art der Symptome und deren Beginn vermerken, insbesondere ob der Beginn plötzlich oder allmählich war und ob die Symptome auf mögliche Auslöser (z. B. Trauma, Krankheit, Beginn oder Absetzen eines Freizeitdrogen- oder Substanzkonsums) folgten. Der Arzt sollte fragen, ob die Patienten frühere Episoden mit ähnlichen Symptomen hatten, ob eine psychische Störung diagnostiziert und behandelt wurde, und, wenn ja, ob die Patienten aufgehört haben, ihre Medikamente einzunehmen.

Bei der Überprüfung der Organsysteme wird nach Symptomen gesucht, die für mögliche Ursachen sprechen:

  • Palpitationen: Hyperthyreose, Drogen-/Arzneimittelwirkungen inkl. -entzug

  • Tremores: M. Parkinson, Entzugssyndrome

  • Schwierigkeiten beim Gehen oder Sprechen: multiple Sklerose, M. Parkinson, Schlaganfall

  • Kopfschmerzen: Infektion des zentralen Nervensystems (ZNS), komplexe Migräne, Blutungen, Raumforderung

  • Gewichtsabnahme: Infektion, Krebserkrankung, chronisch entzündliche Darmerkrankung, Hyperthyreose

  • Parästhesien und Schwäche: Vitaminmangel, Schlaganfall, demyelinisierende Erkrankung

  • Schubförmig verlaufende neurologische Symptome: multiple Sklerose, Vaskulitis

Die Anamnese sollte allgemeine medizinische Störungen identifizieren, die psychiatrische Symptome verursachen können (z. B. Schilddrüsen-, Leber- oder Nierenerkrankungen; Diabetes; HIV-Infektion). Alle verschreibungspflichtigen und rezeptfreien Medikamente sollten überprüft werden, und die Patienten sollten nach Alkoholkonsum und Konsum illegaler Substanzen befragt werden. Die Familienanamnese von Erkrankungen, insbesondere von Schilddrüsenerkrankungen und Multipler Sklerose, wird erhoben. Risikofaktoren für eine Infektion (z. B. ungeschützter Sex, gemeinsame Benutzung von Nadeln, kürzlicher Krankenhausaufenthalt, Heimunterbringung) werden vermerkt.

Körperliche Untersuchung

Die Vitalfunktionen werden überprüft, insbesondere hinsichtlich Fieber, Tachypnoe, Hypertonie und Tachykardie. Der mentale Status wird beurteilt, wenn der Verdacht auf eine veränderte Bewusstseinsebene besteht.

Eine körperliche Untersuchung wird durchgeführt, die auf die Art und Schwere der Symptome abgestimmt ist:

  • Anzeichen einer Infektion (z. B. Meningismus, Lungenstauung, Flankenempfindlichkeit)

  • Die neurologische Untersuchung (einschließlich Gangprüfung und Schwäche)

  • Funduskopie zur Erkennung von Anzeichen eines erhöhten intrakraniellen Drucks (z. B. Papillenschwellung, Verlust von venösen Pulsationen)

Zeichen einer Lebererkrankung (z. B. Gelbsucht, Aszites, Spider-Nävi) sind zu beachten. Die Haut wird sorgfältig bzgl. selbst zugefügter Wunden oder anderer Anzeichen eines externen Traumas (z. B. Blutergüsse) inspiziert.

Interpretation der Befunde

Die Befunde aus der Anamnese und der körperlichen Untersuchung tragen zur Interpretation von möglichen Ursachen bei und leiten weitere Tests und die Behandlung.

Verwirrung und Unaufmerksamkeit (verminderte Klarheit des Bewusstseins der Umgebung, was auf Delirium hindeutet), insbesondere bei plötzlichem Beginn, Schwankungen oder beidem, deuten auf das Vorliegen einer allgemeinen medizinischen Störung hin. Das Gegenteil ist jedoch nicht der Fall (d. h. ein klares Sensorium bestätigt nicht, dass die Ursache eine psychiatrische Störung ist). Andere Befunde, die auf eine allgemeine medizinische Erkrankung hinweisen, umfassen

  • Abnorme Vitalparameter (z. B. Fieber, Tachykardie, Tachypnoe)

  • Meningeale Zeichen und Symptome (z. B. Kopfschmerzen, Photophobie, Nackensteifigkeit)

  • Anomalien, die während der neurologischen Untersuchung festgestellt werden, inkl. Aphasie

  • Gang- und/oder Gleichgewichtsstörungen

  • Harn- oder Stuhlinkontinenz

Einige Befunde stützen die Annahme einer spezifischen Ursache, v. a. wenn die Symptome und Beschwerden neu aufgetreten sind oder sich aus einem langjährigen Grundzustand heraus verändert haben.

  • Erweiterte Pupillen (insbesondere zusammen mit geröteter, heißer, trockener Haut): Anticholinerge Arzneimittelwirkungen.

  • Verengte Pupillen: Opioidwirkungen oder eine pontine Blutung.

  • Rotierender oder vertikaler Nystagmus: Phencyclidin-Intoxikation

  • Horizontaler Nystagmus: Häufig begleitet von Diphenylhydantointoxizität

  • Unverständliche Sprache oder die Unfähigkeit zur Sprachproduktion: Hirnschädigung (z. B. Schlaganfall).

  • Eine medizinische Vorgeschichte mit Schüben neurologischer Symptome, v. a. wenn eine Vielzahl von Nerven beteiligt zu sein scheint: Multiple Sklerose oder eine Vaskulitis.

  • Paresthesien mit einem Strumpf-Handschuh-Verteilungsmuster: Thiamin- oder Vitamin-B12-Mangel

Bei Patienten mit Halluzinationen ist die Art der Halluzination nicht besonders diagnostisch, außer dass Befehls-Halluzinationen oder Stimmen, die das Verhalten des Patienten kommentieren, wahrscheinlich eine psychiatrische Störung darstellen.

Symptome, die kurz nach einem erheblichen körperlichen Trauma oder nach Beginn einer neuen Medikation auftraten, können auf diese Ereignisse zurückzuführen sein. Alkohol- oder Drogenkonsum kann die Ursache für psychiatrische Symptome sein oder auch nicht; etwa 10 bis 45 % der Patienten mit einer psychiatrischen Störung (je nach Diagnose unterschiedlich) haben auch eine Substanzgebrauchsstörung (Doppeldiagnose) (2).

Tipps und Risiken

  • Eine Substanzgebrauchsstörung kann die Ursache für neue psychiatrische Symptome sein oder auch nicht; etwa 10 bis 45 % der Patienten mit einer psychiatrischen Störung haben auch eine Substanzgebrauchsstörung.

Tests

Die Tests variieren je nach Anzeichen und Symptomen.

Patienten mit einer bekannten psychiatrischen Störung, die eine Verschlimmerung ihrer typischen Symptome, aber keine neuen körperlichen Symptome, einen normalen mentalen Status, eine normale körperliche Untersuchung (einschließlich Vitalzeichen und Pulsoximetrie) und normale Glukosemessungen mit dem Fingerstick aufweisen, benötigen in der Regel keine weiteren Labortests.

Obwohl neu auftretende psychiatrische Symptome oder eine deutliche Veränderung der Symptomatik bei Patienten mit einer bekannten psychiatrischen Störung auf eine medizinische und nicht auf eine psychiatrische Störung zurückzuführen sein können, ist unklar, wie häufig eine solche medizinische Störung asymptomatisch ist, und es gibt keinen Konsens über routinemäßige Labortests bei medizinisch asymptomatischen Patienten. Bei Patienten mit einer bekannten psychiatrischen Erkrankung und neu auftretenden psychiatrischen Symptomen oder einer deutlichen Veränderung der Art der Symptome kann der Arzt eine oder mehrere der folgenden Maßnahmen ergreifen, um nach möglichen medizinischen Störungen zu suchen:

  • Komplettes Blutbild

  • Elektrolytwerte (einschließlich Kalzium und Magnesium), Blut-Harnstoff-Stickstoff und Kreatinin

  • Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit oder C-reaktives Protein (CRP)

  • HIV-Test

  • Urinanalyse

Elektrolyt- und Nierenfunktionstests können die anschließende Medikamentenverwaltung unterstützen (z. B. für Medikamente, die bei Patienten mit Niereninsuffizienz angepasst werden müssen). Auch bei einigen Psychopharmaka sollten Tests durchgeführt werden, um eine therapeutische Konzentration zu bestätigen.

Patienten mit Anzeichen oder Symptomen einer allgemeinen medizinischen Störung sollten entsprechende Tests zur Diagnose dieser Störung durchführen lassen:

  • Kopf-CT: Patienten mit neu auftretenden psychiatrischen Symptomen oder mit Delirium, Kopfschmerzen, einer Anamnese von kürzlichem körperlichem Trauma oder fokalen neurologischen Befunden (z. B. Schwäche einer Extremität)

  • Lumbalpunktion: Patienten mit Meningitiszeichen oder mit unauffälligem CT des Kopfes plus Fieber, Kopfschmerzen oder Delir

  • Schilddrüsenfunktionstests: Patienten, die Lithium einnehmen, Patienten mit Symptomen oder Anzeichen einer Schilddrüsenerkrankung und Patienten > 40 Jahre mit neu aufgetretenen psychischen Symptomen (insbesondere Frauen oder Patienten mit einer Familienanamnese mit Schilddrüsenerkrankung)

  • Lebertests: Patienten mit Symptomen oder Anzeichen einer Lebererkrankung, mit einer Anamnese von Alkohol- oder Substanzgebrauchsstörung oder ohne verfügbare Anamnese

Weniger häufig können die Befunde nahelegen, Tests auf systemischen Lupus erythematodes, Syphilis, demyelinisierende Erkrankungen, Lyme-Krankheit oder Vitamin-B12- oder Thiaminmangel, insbesondere bei Patienten mit Anzeichen von Demenz, durchzuführen.

Ein toxikologisches Screening (z. B. Drogenscreening im Urin, Blutalkoholspiegel) wird durchgeführt, wenn der Patient in der jüngeren Vergangenheit Drogen konsumiert hat oder körperliche Anzeichen aufweist, die auf eine Intoxikation oder einen kürzlichen Drogenkonsum hindeuten (z. B. Einstichstellen).

Literatur zur Evaluierung

  1. 1. Anderson EL, Nordstrom K, Wilson MP, et al: American Association for Emergency Psychiatry Task Force on Medical Clearance of Adults: Part I: Introduction, review and evidence-based guidelines. West J Emerg Med 18(2):235–242, 2017. doi: 10.5811/westjem.2016.10.32258

  2. 2. Toftdahl NG, Nordentoft M, Hjorthøj C: Prevalence of substance use disorders in psychiatric patients: A nationwide Danish population-based study. Social psychiatry and psychiatric epidemiology. Soc Psychiatry Psychiatr Epidemiol 51(1):129-140, 2016. doi: 10.1007/s00127-015-1104-4

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