Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) und andere Motoneuronenerkrankungen (MND)

(Lou Gehrig-Krankheit; Charcot-Syndrom)

VonMichael Rubin, MDCM, New York Presbyterian Hospital-Cornell Medical Center
Überprüft/überarbeitet März 2024
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Amyothrophe Lateralsklerose und andere Motoneuronenerkrankungen sind charakterisiert durch eine stetige, unerbittliche, progressive Degeneration von kortikospinalen Bahnen, Vorderhornzellen, bulbären motorischen Kernen oder einer Kombination davon. Die Symptome variieren in ihrer Schwere und können Muskelschwäche und Atrophien, Faszikulationen, emotionale Labilität und Paresen der Atemmuskulatur umfassen. Die Diagnose umfasst Nervenleitfähigkeitsuntersuchungen, Elektromyographie und den Ausschluss anderer Erkrankungen durch MRT und Laboruntersuchungen. Die Behandlung ist unterstützend.

(Siehe auch Überblick über Störungen des peripheren Nervensystems)

Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist die häufigste Motoneuron-Krankheit (MND). MND können das Zentralnervensystem (ZNS) und das periphere Nervensystem einbeziehen. Üblicherwiese ist die Ätiologie unbekannt. Etwa 15% der Fälle sind jedoch erblich bedingt; sie entstehen durch Mutationen im Gen für die Superoxiddismutase (SOD) 1 (1). Die Nomenklatur und die Symptome variieren je nach Teil des motorischen Nervensystems, der betroffen ist.

Myopathien weisen ähnliche Merkmale auf, sie sind aber Störungen der Muskelmembran, des kontraktilen Apparats oder der Organellen.

MND werden eingeteilt in MND des oberen und MND des unteren Motoneurons; einige Erkrankungen (z. B. ALS) haben Merkmale von beiden. MND sind häufiger bei Männern, meist erscheinen sie im 5. Lebensjahrzehnt.

Allgemeine Literatur

  1. 1. Abati E, Bresolin N, Comi G, Corti S: Silence superoxide dismutase 1 (SOD1): A promising therapeutic target for amyotrophic lateral sclerosis (ALS). Expert Opin Ther Targets 24 (4):295–310, 2020. doi: 10.1080/14728222.2020.1738390 Epub 2020 Mar 14.

Symptome und Anzeichen von ALS und anderen MND

MND des oberen Motoneurons (z. B. primäre Lateralsklerose) betreffen Neuronen des motorischen Kortex, die bis zum Hirnstamm (kortikobulbäre Bahnen) oder zum Rückenmark (kortikospinale Bahnen) reichen. Generell sind die Symptome Steifigkeit, Ungeschicklichkeit und linkische Bewegungen, die in der Regel zunächst den Mund, den Kehlkopfbereich oder beides betreffen und sich dann in die Extremitäten ausbreiten.

MND des unteren Motoneurons betreffen die Vorderhornzellen, die motorischen Hirnnervenkerne oder ihre efferenten Axone zu den Skelettmuskeln. Bei Bulbärparalysen sind nur die motorischen Hirnnervenkerne im Hirnstamm (bulbäre Nuklei) betroffen. Die Patienten stellen sich üblicherweise mit einer Gesichtsmuskelschwäche, Dysphagie und Dysarthrie vor. Wenn die Vorderhornzellen der spinalen (nicht der kranialen) Nerven betroffen sind, wie bei spinalen Muskelatrophien, gehören zu den Symptomen üblicherweise Muskelschwäche und -atrophie, Faszikulationen (sichtbare Muskelzuckungen) und Muskelkrämpfe, meist zuerst in einer Hand, einem Fuß oder der Zunge. Poliomyelitis, eine Enterovirusinfektion, die die Vorderhornzellen angreift, und das Postpolio-Syndrom sind ebenfalls MND des unteren Motoneurons.

Körperliche Befunde helfen, obere und untere MNDs zu unterscheiden (siehe Tabelle Unterscheidung zwischen oberen und unteren motorischen Neuronenläsionen) und Schwäche aufgrund niedrigerer MNDs als durch Myopathie (siehe Tabelle Unterscheidung der Ursache für Muskelschwäche: Untere Motoneuron-Dysfunktion vs. Myopathie).

Tabelle
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Amyotrophe Lateralsklerose (ALS)

Die meisten Patienten mit ALS zeigen zufällig verteilte, asymmetrische Symptome, die aus Muskelkrämpfen, Schwäche und Muskelatrophie der Hände (am häufigsten) oder der Füße bestehen. Die Schwäche schreitet fort zu den Unterarmen, den Schultern und den unteren Extremitäten. Faszikulationen, Spastik, gesteigert auslösbare Muskeleigenreflexe, Babinski-Zeichen, Unbeholfenheit, Steifheit der Bewegungen, Gewichtsverlust, Müdigkeit und Schwierigkeiten bei der Kontrolle des Gesichtsausdrucks und der Zungenbewegungen folgen bald.

Weitere Symptome sind Heiserkeit, Dysphagie und undeutliche und oft nasale Sprache; weil es schwierig ist, zu schlucken, scheint sich der Speichelfluss zu erhöhen, und die Patienten neigen dazu, sich an Flüssigkeiten zu verschlucken.

Spät in der Erkrankung tritt ein pseudobulbärer Affekt auf mit unpassenden, unwillkürlichen und unkontrollierbaren Ausbrüchen von Lachen oder Weinen. Sensorik, Bewusstsein, Kognition, willkürliche Augenbewegungen, Sexualfunktion und die Sphinkterfunktionen sind meist nicht betroffen.

Die Todesursache ist in der Regel die Insuffizienz der Atemmuskulatur; 50% der Patienten sterben innerhalb von 3 Jahren nach Erkrankungsbeginn, 20% leben noch 5 Jahre, und 10% überleben 10 Jahre. Eine Überlebenszeit von > 30 Jahren ist selten.

Progressive Bulbärparalyse und progressive Pseudobulbärparalyse

Die Bulbus-Muskeln, die von Hirnnerven innerviert werden, sind überwiegend bei Patienten mit progressiver Bulbärparalyse betroffen, die aus einer progressiven Degeneration der Motoneuronen resultieren, die die Bulbärmuskulatur innervieren. Diese Störung verursacht fortschreitende Schwierigkeiten beim Kauen, Schlucken und Sprechen, eine nasale Stimme, einen verminderten Würgereflex, Faszikulationen und schwache Bewegungen der Gesichtsmuskeln und der Zunge sowie eine schwache Gaumenbewegung. Es besteht Aspirationsgefahr.

Das Äquivalent dieser Erkrankung im Bereich der oberen Motoneuronen ist die progressive Pseudobulbärparese. Diese Erkrankung betrifft den kortikobulbären Trakt, der zu den unteren motorischen Neuronen der Bulbärmuskulatur absteigt, aber die unteren motorischen Neuronen im Hirnstamm verschont, was eine Schwäche der oberen motorischen Neuronen der Bulbärmuskulatur verursacht. und wird daher als pseudobulbär bezeichnet. Die Sprache ist spastisch, die Patienten können Silben nicht schnell wiederholen (kakaka, tatata, lalala, bababa); Würgereflex und Kieferzucken sind lebhaft. Auch ein pseudobulbärer Affekt mit emotionaler Labilität kann auftreten.

Häufig breitet sich die progressive Bulbärparalyse aus und beeinflusst extrabulbäre Segmente; dann wird sie bulbäre Variante der ALS genannt.

Patienten mit Dysphagie haben eine sehr schlechte Prognose; respiratorische Komplikationen durch Aspiration führen häufig innerhalb von 1–3 Jahren zum Tod.

Progressive Muskelatrophie

In vielen Fällen, insbesondere bei Beginn im Kindesalter, wird die progressive Muskelatrophie autosomal rezessiv vererbt. Andere Fälle treten sporadisch auf. Die Krankheit kann sich in jedem Alter entwickeln.

Es liegt nur eine Beteiligung der Vorderhornzellen vor, oder diese steht mehr im Vordergrund als der kortikospinale Anteil. Die Krankheit verläuft tendenziell gutartiger als andere MND.

Faszikulationen können das erste Symptom sein. Muskelschwund und ausgeprägte Schwäche beginnen in den Händen, sie breiten sich in die Arme, Schultern und Beine aus und generalisieren schließlich. Tiefe Sehnenreflexe sind hypoaktiv. Die Patienten können 25 Jahre überleben.

Tipps und Risiken

  • Gehen Sie von ALS oder einer anderen Motoneuronenerkrankung aus bei Patienten, die Merkmale einer Dysfunktion der oberen und/oder unteren motorischen Neuronen aufweisen (z. B. Extensor plantare Reaktionen plus Atrophie und Faszikulationen).

Primäre Lateralsklerose

Bei der primären Lateralsklerose kommt es zu einer fortschreitenden Muskelversteifung in den Armen und Beinen mit Spastizität und Hyperreflexie bei der Untersuchung. Faszikulationen und Muskelatrophie sind atypisch für diese vorwiegend im oberen motorischen Bereich auftretende Erkrankung.

Das Überleben ist verlängert, weil das Risiko einer Aspiration und einer Lungenentzündung gering ist; es müssen mehrere Jahre vergehen, bis eine vollständige Behinderung eintritt.

Hinweise auf Symptome und Zeichen

  1. 1. Chiò A, Logroscino G, Hardiman O, et al: Prognostic factors in ALS: A critical review. Amyotroph Lateral Scler 10 (5–6):310-23, 2009. doi: 10.3109/17482960802566824

Diagnose von Amyotropher Lateralsklerose (ALS) und anderen Motoneuronerkrankungen (MND)

  • Elektrodiagnostische Testung

  • MRT des Gehirns und, sofern keine Hirnnervenbeteiligung vorliegt, der Halswirbelsäule

  • Labortests zur Überprüfung weiterer, behandelbarer Ursachen

Die Diagnose von Erkrankungen des Motoneurons wird durch eine progressive, generalisierte motorische Schwäche ohne signifikante sensorische Anomalien vorgeschlagen.

Differenzialdiagnosen

Andere Erkrankungen, die eine reine Muskelschwäche verursachen, sind auszuschließen:

Sind Hirnnerven betroffen, ist eine behandelbare Ursache weniger wahrscheinlich. Symptome des oberen und unteren Motoneurons plus Schwäche in den Gesichtsmuskeln sprechen stark für amyotrophe Lateralsklrerose.

Tipps und Risiken

  • Sind Hirnnerven betroffen und die Erkenntnisse kompatibel mit ALS, ist eine alternative behandelbare Ursache weniger wahrscheinlich.

Testung

Eine elektrodiagnostischen Testung sollte durchgeführt werden, um das Vorliegen einer Störung der neuromuskulären Übertragung oder einer Demyelinisierung zu überprüfen. Derartige Befunde liegen bei MND nicht vor; die Nervenleitungsgeschwindigkeiten sind meist bis in späte Krankheitsstadien hinein normal. Die Nadelelektromyographie (EMG) ist die aussagekräftigste Untersuchung, sie zeigt Fibrillationen, positive Wellen, Faszikulationen und manchmal Riesenpotenziale, selbst in nichtbetroffenen Extremitäten.

Eine MRT des Gehirns ist erforderlich. Wenn es keine klinischen oder EMG-Anzeichen für eine motorische Schwäche der Hirnnerven gibt, ist eine MRT der Halswirbelsäule angezeigt, um strukturelle Läsionen auszuschließen, die das Rückenmark komprimieren könnten.

Die Tensor-Diffusions-MRT des Gehirns kann ein Muster von Eisenablagerungen entlang der motorischen Bahnen zeigen; obwohl die Assoziation bestätigt werden muss, scheint dieses Muster mit einer Beteiligung der oberen Motoneuronen übereinzustimmen und unterstützt die Diagnose der ALS in der entsprechenden klinischen Umgebung (1).

Laboruntersuchungen werden zur Prüfung behandelbarer Ursachen durchgeführt. Die Tests umfassen Blutbild, Elektrolyte, Kreatin-Kinase und Schilddrüsenfunktionstests.

Eine Elektrophorese von Serum- und Urin-Protein mit Immunfixation erfolgt, um auf ein Paraprotein zu prüfen, das nur selten mit MND assoziiert ist. Die Entdeckung einer zugrunde liegenden Paraproteinämie kann anzeigen, dass die MND paraneoplastisch ist und die Behandlung der Paraproteinämie die MND bessern kann.

Antikörper gegen Antimyelin-assoziiertes-Glykoprotein (MAG) sind mit einer demyelinisierenden motorischen Neuropathie vergesellschaftet, die eine ALS nachahmen kann.

24-Stunde-Urin wird gesammelt, um auf Schwermetalle zu prüfen bei Patienten, die diesen ausgesetzt waren.

Es kann eine Lumbalpunktion durchgeführt werden, um den klinischen Verdacht auf andere Erkrankungen auszuräumen; sind die Leukozyten oder der Proteinspiegel erhöht, ist eine alternative Diagnose wahrscheinlich.

Serumuntersuchungen auf Syphilis, Erythrozytensedimentationsrate und die Messung gewisser Antikörpertiter (Rheumafaktor, Borrelientiter, HIV, Hepatitis-C-Virus, antinukleäre Antikörper, anti-Hu [zur Prüfung auf paraneoplastisches Anti-Hu-Syndrom) sind nur angezeigt, wenn entsprechende Risikofaktoren in der Anamnese eine solche Untersuchung nahelegen.

Gentests (z. B. Superoxid-Dismutase-Genmutation oder genetische Anomalien, die spinale Muskelatrophien verusachen) und Enzymbestimmungen (z. B. Hexosaminidase A für Tay-Sachs-Krankheit) sollten nur durchgeführt werden, wenn die Patienten an einer genetischen Beratung interessiert sind. Für Störungen, die durch diese Tests entdeckt werden, gibt es keine bekannten spezifischen Behandlungen.

Diagnosehinweis

  1. 1. Baek, S-H Park J, Kim YH, et al: Usefulness of diffusion tensor imaging findings as biomarkers for amyotrophic lateral sclerosis. Sci Rep 10 (1):5199, 2020. doi: 10.1038/s41598-020-62049-0

Behandlung von Amyotropher Lateralsklerose (ALS) und anderen Motoneuronerkrankungen (MND)

  • Unterstützende Behandlung

  • Riluzol

  • Edaravone

  • Natriumphenylbutyrat/Taurursodiol (ein Kombinationsprodukt)

  • Tofersen (für ALS aufgrund einer SOD1-Mutation)

Die Hauptversorgung der Patienten mit amyotropher Lateralsklerose besteht in der rechtzeitigen Intervention zur Behandlung der Symptome.

Ein multidisziplinärer Behandlungsansatz im Team hilft den Patienten, mit den zunehmenden neurologischen Behinderungen umzugehen.

Kein Medikament bietet einen erheblichen klinischen Nutzen für Patienten mit ALS. Riluzol kann jedoch eine begrenzte Verbesserung des Überlebens bewirken (um 2 bis 3 Monate) (1) und Edaravon kann die Funktionsabnahme in gewissem Maße verlangsamen (2).

Auch Natriumphenylbutyrat/Taurursodiol (ein Kombinationspräparat) kann den Funktionsrückgang verlangsamen (3). Es kann zusätzlich zu anderen Medikamenten verabreicht werden.

Tofersen ist ein Antisense-Oligonukleotid, das Patienten mit ALS aufgrund der SOD1-Mutation angeboten wird; es verzögert nachweislich das Fortschreiten der Krankheit und muss intrathekal verabreicht werden (4).

Die folgenden Medikamente können zur Minderung der Symptome beitragen:

  • Baclofen bei Spastik

  • Bei Krämpfen Phenytoin

  • Ein starkes Anticholinergikum (z. B. Atropin-Tropfen, Scopolamin-Pflaster, Amitriptylin) zur Reduktion der Speichelproduktion

  • Bei pseudobulbären Affekten, Amitriptylin, Fluvoxamin, oder eine Kombination aus Dextromethorphan und Chinidin

Bei Patienten mit progressiver Bulbärparalyse hatten operative Eingriffe zur Verbesserung des Schluckens nur begrenzten Erfolg.

Literatur zur Behandlung

  1. 1. Saitoh Y, Takahashi Y: Riluzole for the treatment of amyotrophic lateral sclerosis. Neurodegener Dis Manag 10 (6):343–355, 2020. doi: 10.2217/nmt-2020-0033 Epub 2020 Aug 27.

  2. 2. Shefner J, Heiman-Patterson T, Pioro EP, et al: Long-term edaravone efficacy in amyotrophic lateral sclerosis: Post-hoc analyses of study 19 (MCI186-19). Muscle Nerve 61 (2):218–221, 2020. doi: 10.1002/mus.26740 Epub 2019 Nov 11.

  3. 3. Paganoni S, Macklin EA, Hendrix S, et al: Long-term trial of sodium phenylbutyrate–taurursodiol for amyotrophic lateral sclerosis. N Engl J Med 383 (10):919–930, 2020. doi: 10.1056/NEJMoa1916945

  4. 4. Miller TM, Cudkowicz ME, Genge A, et al: Trial of antisense oligonucleotide tofersen for SOD1 ALS. N Engl J Med 387:1099–1110, 2022. doi: 10.1056/NEJMoa2204705

Wichtige Punkte

  • Ziehen Sie eine Erkrankung der motorischen Neuronen bei Patienten in Betracht, die eine diffuse obere und/oder untere motorische Schwäche ohne sensorische Auffälligkeiten haben.

  • Ziehen Sei ALS in Betracht bei Patienten mit Zeichen des oberen und unteren Motoneurons plus einer Schwäche in den Gesichtsmuskeln.

  • Führen Sie zum Ausschluss anderer Störungen eine MRT des Gehirns, eine elektrodiagnostische Testung und Laboruntersuchungen durch.

  • Grundpfeiler der Behandlung sind unterstützende Maßnahmen (z. B. multidisziplinäre Unterstützung, um mit der Behinderung zurechtzukommen; medikamentöse Behandlung von Symptomen wie Spastik, Krämpfe und pseudobulbärer Affekt).

  • Bei Patienten mit ALS kann Riluzol einen begrenzten Überlebensvorteil bieten, und Edaravon kann den Funktionsverlust verlangsamen.