Guillain-Barré-Syndrom (GBS)

(Akute idiopathische Polyneuritis, akute inflammatorische demyelinisierende Polyradikuloneuropathie)

VonMichael Rubin, MDCM, New York Presbyterian Hospital-Cornell Medical Center
Überprüft/überarbeitet März 2024
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Das Guillain-Barré-Syndrom ist eine akute, meist sehr schnell fortschreitende, sich allerdings selbst limitierende inflammatorische Polyneuropathie und charakterisiert durch Muskelschwäche und leichte distale Sensibilitätsausfälle. Als Ursache wird ein Autoimmunprozess angenommen. Die Diagnose wird klinisch gestellt. Die Behandlung umfasst IV-Immunglobuline, Plasmaaustausch und, in schweren Fällen, eine apparative Beatmung.

(Siehe auch Überblick über Störungen des peripheren Nervensystems.)

Das Guillain-Barré-Syndrom ist die häufigste erworbene inflammatorische Neuropathie. Es gibt mehrere Varianten. Bei einigen Varianten dominiert die Demyelinisierung, bei anderen Varianten ist das Axon betroffen.

Ätiologie des Guillain-Barré-Syndroms

Obwohl die Ursache des Guillain-Barré-Syndroms nicht vollständig geklärt ist, wird angenommen, dass es autoimmun ist.

Bei etwa zwei Dritteln der Patienten beginnt das Guillain-Barré-Syndrom 5 Tage bis 3 Wochen nach einem banalen Infekt, einem operativen Eingriff oder einer Impfung. Die Infektion ist der Auslöser bei > 50% der Patienten (1); häufige Krankheitserreger sind unter anderem

Ein Häufung von Fällen folgte dem Schweinegrippe-Impfprogramm im Jahr 1976, aber der Zusammenhang erwies sich wegen eines Bias bei der Erhebung später als falsch. Bei einigen Patienten hat sich das Guillain-Barré-Syndrom nach einer Zika-Virus-Infektion oder nach COVID-19 entwickelt.

Zu den unerwünschten Wirkungen von Immun-Checkpoint-Inhibitoren gehört ein Syndrom, das dem Guillain-Barré-Syndrom ähnelt.

Wenn die Schwäche > 2 Monate fortschreitet, wird eine chronisch entzündliche demyelinisierende Polyneuropathie diagnostiziert.

Literatur zur Ätiologie

  1. 1. Leonhard SE , van der Eijk AA, Andersen H, et al: An international perspective on preceding infections in Guillain-Barré syndrome: The IGOS-1000 Cohort. Neurology 99 (12):e1299-e1313, 2022. doi: 10.1212/WNL.0000000000200885 Epub 2022 Aug 18.

  2. 2. Tam CC, O’Brien SJ, Rodrigues LC: Influenza, Campylobacter and Mycoplasma infections, and hospital admissions for Guillain-Barré syndrome, England. Emerg Infect Dis 12 (12):1880–1887, 2006. doi: 10.3201/eid1212.051032

Symptome und Anzeichen des Guillain-Barré-Syndroms

Eine schlaffe Lähmung dominiert bei den meisten Patienten mit Guillain-Barré-Syndrom; sie steht den sensorischen Störungen gegenüber immer im Vordergrund und kann proximal am stärksten ausgeprägt sein. Eine relativ symmetrische Schwäche mit Parästhesien beginnt üblicherweise in den Beinen und breitet sich auf die Arme aus, jedoch kann sie gelegentlich auch in den Armen oder am Kopf beginnen. Bei 90% der Patienten erreicht die Schwäche in der Regel ihr Maximum in der 3. bis 4. Krankheitswoche (1). Die Muskeleigenreflexe fallen aus. Die Sphinkteren bleiben in der Regel ausgespart. Schwäche bleibt die gleiche für eine variable Zeitdauer, in der Regel für einige Wochen und geht dann zurück.

Die fazialen und oropharyngealen Muskeln sind bei > 50% der Patienten mit schwerem Verlauf schwach. Daraus können Dehydrierung und Hyperosmolarität resultieren. Eine Atemlähmung, die so schwerwiegend ist, dass eine endotracheale Intubation und mechanische Beatmung erforderlich ist, tritt bei 20 % auf (2).

Einige Patienten (möglicherweise mit einer Variante der Krankheit) haben signifikante, lebensbedrohliche autonome Funktionsstörungen, die Blutdruckschwankungen, unangemessene antidiuretische Hormonsekretion, kardiale Arrhythmien, gastrointestinale Stase, Harnverhalt und Pupillenveränderungen verursachen.

Eine ungewöhnliche Variante (Fisher Variante oder Miller-Fisher-Syndrom) kann eine Kombination lediglich aus Ophthalmoparese, Ataxie und Areflexie hervorrufen.

Literatur zu Symptomen und Beschwerden

  1. 1. Fokke C, van den Berg B, Drenthen J, et al: Diagnosis of Guillain-Barré syndrome and validation of Brighton criteria. Brain 137 (Pt 1):33–43, 2014. doi: 10.1093/brain/awt285 Epub 2013 Oct 26.

  2. 2. Shahrizaila N, Lehmann HC , Kuwabara S: Guillain-Barré syndrome. Lancet 397 (10280):1214–1228, 2021. doi: 10.1016/S0140-6736(21)00517-1 Epub 2021 Feb 26.

Diagnose des Guillain-Barré-Syndroms

  • Klinische Beurteilung

  • Elektrodiagnostische Testung

  • Liquoranalyse

Die Diagnose des Guillain-Barré-Syndroms wird primär klinisch gestellt.

Differenzialdiagnosen

Eine ähnliche akute Schwäche kann durch Myasthenia gravis, Botulismus, Poliomyelitis (v. a. außerhalb der USA), Zeckenparalyse, West-Nil-Virusinfektion, metabolische Neuropathien, und transversale Myelitis hervorgerufen werden, jedoch können diese Störungen von einem Guillain-Barré-Syndrom in der Regel wie folgt unterschieden werden:

  • Myasthenia gravis ist intermittierend und wird durch körperliche Anstrengung verschlimmert.

  • Botulismus kann starre dilatierte Pupillen (in 50% der Fälle) verursachen sowie prominente Hirnnervenstörungen bei normaler Sensorik.

  • Poliomyelitiskommt üblicherweise epidemisch vor.

  • Zeckenparalyse verursacht aufsteigende Lähmungen, betrifft aber nicht die Sensorik.

  • West-Nil-Virusinfektion verursacht Kopfschmerzen, Fieber und asymmetrische schlaffe Lähmungen, betrifft aber nicht die Sensorik.

  • Metabolische Neuropathien treten im Rahmen chronisch metabolischer Störungen auf.

  • Die transverse Myelitis verursacht Schmerzen, Schwäche, Gefühlsstörungen und Funktionsstörungen beim Wasserlassen.

Testung

Es werden Untersuchungen auf Infektionskrankheiten und Immunstörungen, inkl. Untersuchungen auf Hepatitis und HIV, und eine Serumprotein-Elektrophorese durchgeführt.

Bei V. a. Guillain-Barré-Syndrom sollten die Patienten zur elektrodiagnostischen Testung (Untersuchungen der Nervenleitung und Elektromyographie), zu Liquoruntersuchungen und zum Monitoring der wiederholten Messung der forcierten Vitalkapazität alle 6–8 Stunden stationär aufgenommen werden. Eine zu Beginn durchgeführte elektrodiagnostische Testung deckt langsame Nervenleitungsgeschwindigkeiten und Anzeichen einer segmentalen Demyelinisierung bei zwei Dritteln der Patienten auf; normale Befunde, insbesondere innerhalb der ersten 5 bis 7 Tage, schließen jedoch die Diagnose nicht aus und sollten eine Behandlung nicht verzögern.

Bei der Liquoranalyse kann eine zytoalbuminäre Dissoziation (erhöhtes Protein bei normalen Leukozytenwerten) nachgewiesen werden; diese kann sich jedoch manchmal erst nach bis zu einer Woche zeigen, und bei 10% der Patienten entwickelt sie sich gar nicht.

Selten zervikale Rückenmarkkompression— insbesondere, wenn Polyneuropathie koexistiert (zu Hyporeflexie beitragend oder diese verursachend) und bulbären Beteiligung nicht prominent ist—kann Guillain-Barré-Syndrom imitieren; in solchen Fällen sollte MRT erfolgen.

Behandlung des Guillain-Barré-Syndroms

  • Intensivmedizinische unterstützende Behandlung

  • IV-Immunglobuline (IVIG) oder Plasmaaustausch

Das Guillain-Barré-Syndrom ist ein medizinischer Notfall. Es erfordert die konstante Überwachung und Unterstützung der Vitalfunktionen, typischerweise auf einer Intensivstation. Die forcierte Vitalkapazität sollte häufig gemessen werden, sodass die Atmung nötigenfalls unterstützt werden kann. Wenn die Vitalkapazität < 15 ml/kg liegt, ist eine endotracheale Intubation indiziert. Die Unfähigkeit, den Kopf durch Nackenbeugung vom Kissen abzuheben, ist ein weiteres Gefahrenzeichen; es entwickelt sich häufig gleichzeitig mit einer Schwäche des N. phrenicus (Zwerchfelllähmung).

Bei Schwierigkeiten mit der oralen Flüssigkeitsaufnahme werden IV-Flüssigkeiten nach Bedarf gegeben, um ein Urinvolumen von mindestens 1–1,5 l/Tag aufrechtzuerhalten. Die Extremitäten sollten vor Verletzungen und Lagerungsschäden bei Bettlägrigkeit geschützt werden.

Wärmebehandlung hilft, Schmerzen zu lindern und macht eine frühe physikalische Therapie möglich. Immobilisierung ist zu vermeiden, da sie zu Ankylose und Kontrakturen führen kann. Ein passives Durchbewegen aller Gelenke im gesamten Bewegungbereich sollte sofort begonnen werden, und eine aktive Übungsbehandlung sollte baldmöglichst bei Rückbildung der akuten Symptome folgen. Heparin mit niedrigem Molekulargewicht (LMWH) trägt zur Prävention tiefer Venenthrombosen bei bettlägerigen Patienten bei.

Bei frühzeitiger Verabreichung ist IVIG die Behandlung der Wahl (1, 2, 3). Es kann auf eine der folgenden Arten verabreicht werden:

  • IVIG 2 g/kg über 1 bis 2 Tage, mit Paracetamol 650 mg und Diphenhydramin 25 mg oral 30 Minuten vorher

  • IVIG wird langsamer, als 400 mg/kg intravenös einmal täglich an 5 aufeinanderfolgenden Tagen verabreicht

IVIG hat einen gewissen Nutzen bis zu 1 Monat nach Krankheitsbeginn.

Ein Plasmaaustausch hilft wenn er früh erfolgt; er wird bei Unwirksamkeit von IVIG eingesetzt. Der Plasmaaustausch verkürzt den Krankheitsverlauf und die Dauer des stationären Aufenthalts, senkt das Mortalitätsrisiko und verringert die Inzidenz von bleibenden Lähmungen (4). Allerdings kann es aufgrund der großen Flüssigkeitsverschiebungen zu Hypotonie kommen, und der intravenöse Zugang kann schwierig sein oder Komplikationen verursachen. Beim Plasmaaustausch werden alle zuvor verabreichten IVIG entfernt und damit ihr Nutzen zunichte gemacht, und somit sollte er niemals während oder kurz nach dem Einsatz von IVIG durchgeführt werden. Es wird empfohlen, bis mindestens 2–3 Tage nach Absetzen der IVIG zu warten.

Tipps und Risiken

  • Geben Sie keine Kortikosteroide bei Guillain-Barré-Syndrom, weil diese den Ausgang verschlechtern können.

Kortikosteroide tragen nicht zur Verbesserung bei und können den Ausgang verschlechtern. Eculizumab könnte von Nutzen sein, aber es sind weitere Studien erforderlich, bevor es empfohlen werden kann (5).

Literatur zur Behandlung

  1. 1. Tavee J, Brannagan 3rd TH, Lenihan MW, et al: Updated consensus statement: Intravenous immunoglobulin in the treatment of neuromuscular disorders report of the AANEM [American Association of Neuromuscular and Electrodiagnosic Medicine] ad hoc committee. Muscle Nerve 68 (4):356–374, 2023. doi: 10.1002/mus.27922 Epub 2023 Jul 11.

  2. 2. Hughes RAC, Swan AV, van Doorn PA: Intravenous immunoglobulin for Guillain-Barré syndrome. Cochrane Database Syst Rev 2014 (9): CD002063 2014. doi: 10.1002/14651858.CD002063.pub6 Published online 2014 Sep 19.

  3. 3.Tavee J, Brannagan, TH III, Lenihan MW, et al: Updated consensus statement: Intravenous immunoglobulin in the treatment of neuromuscular disorders report of the AANEM ad hoc committee. Muscle Nerve 68 (4):356–374, 2023. doi: 10.1002/mus.27922 Epub 2023 Jul 11.

  4. 4 Chevret S, Hughes RAC,Annane D: Plasma exchange for Guillain‐Barré syndrome. Cochrane Database Syst Rev 2 (2):CD001798, 2017. doi: 10.1002/14651858.CD001798.pub3

  5. 5. Misawa S, Kuwabara S, Sato Y, et al: Safety and efficacy of eculizumab in Guillain-Barré syndrome: A multicentre, double-blind, randomised phase 2 trial. Lancet Neurol 17 (6):519–529, 2018. doi: 10.1016/S1474-4422(18)30114-5 Epub 2018 Apr 21.

Prognose bei Guillain-Barré-Syndrom

Bei < 4% der Patienten verläuft das Guillain-Barré- Syndrom tödlich (1). Bei den meisten Patienten tritt im Laufe der Monate eine deutliche Besserung ein, aber eine beträchtliche Anzahl von Erwachsenen und noch mehr Kinder haben nach 3 Jahren noch eine Restschwäche. Patienten mit Residualdefekten können Übungsbehandlungen, orthopädische Hilfsmittel oder operative Eingriffe benötigen.

Nach anfänglicher Besserung entwickeln etwa 5 % der Patienten eine chronische inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie (2).

Literatur zur Prognose

  1. 1. van den Berg B, Bunschoten C, van Doorn PA, Jacobs BC: Mortality in Guillain-Barré syndrome. Neurology 80 (18):1650–1654, 2013. doi: 10.1212/WNL.0b013e3182904fcc Epub 2013 Apr 10.

  2. 2. Leonhard SE, Mandaraka MR, Gondim FAA, et al: Diagnosis and management of Guillain–Barré syndrome in ten steps. Nat Rev Neurol 1 5(11): 671–683, 2019. doi: 10.1038/s41582-019-0250-9 Published online 2019 Sep 20.

Wichtige Punkte

  • Das Guillain-Barré-Syndrom beginnt typischerweise mit einer aufsteigenden, relativ symmetrischen schlaffen Schwäche.

  • Grenzen Sie zunächst auf Grundlage der Anamnese und der Untersuchungsergebnisse andere Erkrankungen ab, die ähnliche Symptome verursachen (z. B. Myasthenia gravis, Botulismus, Zeckenparalyse, West-Nil-Virusinfektion, metabolische Neuropathien, transverse Myelitis; außerhalb der USA: Poliomyelitis).

  • Führen Sie eine elektrodiagnostische Testung und eine Liquoranalyse durch, obwohl die Diagnose in erster Linie klinisch gestellt wird.

  • Bei den meisten Patienten tritt im Laufe der Monate eine deutliche Besserung ein, aber eine beträchtliche Anzahl von Erwachsenen und noch mehr Kinder haben nach drei Jahren noch eine Restschwäche, und 2 bis 5 % entwickeln eine chronisch entzündliche demyelinisierende Polyneuropathie.

  • Intensive unterstützende Pflege ist der Schlüssel zur Genesung.

  • Versuchen Sie zuerst IVIG und dann, sollten diese unwirksam sein, einen Plasmaaustausch.