Hypothermie

VonDaniel F. Danzl, MD, University of Louisville School of Medicine
Überprüft/überarbeitet Dez. 2022
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Die Hypothermie entspricht einer Körperkerntemperatur von < 35° C. Die Symptome schreiten über Zittern und Lethargie bis hin zu Konfusion, Koma und Tod fort. Bei leichter Hypothermie bedarf es einer warmen Umgebung und isolierender Decken (passive Aufwärmung). Bei schwerer Hypothermie wird ein aktives Wiedererwärmen der Körperoberfläche (z. B. mit Warmluftdeckensystemen, Strahlern) und des Körperkerns (z. B. Inhalation, erwärmte Infusion und Lavage, extrakorporale Bluterwärmung) notwendig.

(Siehe auch Verletzungen durch Kälte im Überblick.)

Über primäre Hypothermie wird viel zu wenig berichtet; sie kann als Unfall (am häufigsten), Mord oder Suizid eingestuft werden. Die sekundäre Hypothermie hat auch einen bedeutenden und unterschätzten Einfluss auf das Sterberisiko bei kardiovaskulären und neurologischen Erkrankungen.

Ätiologie der Hypothermie

Hypothermie entsteht, wenn der Wärmeverlust des Körpers größer ist als die Wärmeerzeugung. Hypothermie kommt am häufigsten bei kaltem Wetter oder bei Immersion in kaltem Wasser vor, jedoch kann sie auch bei warmem Klima vorkommen, wenn jemand unbeweglich auf einer kalten Oberfläche liegt (z. B. bei Intoxikation) oder nach langem Aufenthalt im Wasser bei Schwimmbadtemperatur (z. B. 20–24° C). Nasse Kleidung und Wind erhöhen das Risiko einer Unterkühlung.

Bedingungen, die Bewusstseinsverlust, Immobilität oder beides auslösen (z. B. Trauma, Hypoglykämie, Krampfanfälle, Schlaganfall, Drogen- oder Alkoholintoxikation) sind häufige prädisponierende Faktoren. Ältere und ganz junge Menschen haben ebenfalls ein hohes Risiko:

  • Ältere Menschen haben oft ein vermindertes Temperaturempfinden, sowie eine eingeschränkte Mobilität und Kommunikationsfähigkeit; daher neigen sie dazu, länger in übermäßig kühler Umgebung zu verbleiben. Diese Beeinträchtigungen, in Verbindung mit vermindertem subkutanem Fettgewebe, tragen bei älteren Menschen zur Hypothermie bei – manchmal selbst innerhalb des Hauses in kühlen Zimmern.

  • Sehr junge Menschen haben eine ähnlich verminderte Mobilität und Kommunikationsfähigkeit und ein erhöhtes Verhältnis von Körperoberfläche zu Körpergewicht, was den Wärmeverlust erhöht.

Allgemeiner Hinweis

  1. 1. Dow J, Giesbrecht GG, Danzl DF, et al: Wilderness Medical Society Clinical Practice Guidelines for the Out-of-Hospital Evaluation and Treatment of Accidental Hypothermia: 2019 Update. Wilderness Environ Med 30(4S):S47-S69, 2019. doi: 10.1016/j.wem.2019.10.002

Pathophysiologie der Hypothermie

Hypothermie verlangsamt alle physiologischen Funktionen, inkl. des kardiovaskulären und respiratorischen Systems, der Nervenleitgeschwindigkeit, der mentalen Sinnesschärfe, der neuromuskulären Reaktionszeit und des Stoffwechselumsatzes. Die Thermoregulation hört bei knapp unter 30° C auf; der Körper ist dann von externen Wärmequellen zur Wiedererwärmung abhängig.

Eine Nierenzelldysfunktion und verminderte Vasopressin (ADH)-Spiegel führen zur Produktion großer Mengen verdünnten Urins (Kältediurese). Die Diurese verursacht zusammen mit dem Durchtritt von Flüssigkeit ins Interstitium eine Hypovolämie. Eine bei Hypothermie auftretende Vasokonstriktion kann die Hypovolämie maskieren; diese offenbart sich dann aber beim Wiederaufwärmen als plötzlicher Schock oder Herzstillstand (Aufwärmkollaps, auch sog. after-drop), wenn sich das periphere Blutgefäßsystem erweitert.

Das Blut wird auf lebenswichtige Organe umgeleitet (z. B. Herz, Gehirn). Ein Untertauchen in kaltem Wasser kann den Tauchreflex auslösen, der die reflektorische Vasokonstriktion in viszeralen Muskeln mit sich bringt. Dieser Reflex ist bei kleinen Kindern am stärksten ausgeprägt und kann helfen, sie zu schützen. Außerdem kann eine Hypothermie bei völliger Immersion in fast gefrierendem Wasser das Gehirn durch abnehmenden Stoffwechselbedarf vor Hypoxie schützen. Der verminderte Stoffwechselbedarf erklärt vermutlich das gelegentliche Überleben nach längerem, durch extreme Hypothermie verursachten Herzstillstand.

Symptome und Anzeichen von Hypothermie

Anfänglich stellt sich kräftiges Zittern ein, das jedoch bei unter ca. 30° C nachlässt, was einen noch rapideren Abfall der Körpertemperatur ermöglicht. Die Funktionsstörung des Zentralnervensystems schreitet mit abnehmender Körpertemperatur fort; die Menschen spüren die Kälte nicht. Auf Lethargie und Schwerfälligkeit folgen Konfusion, Gereiztheit, manchmal Halluzinationen und schließlich Koma. Die Pupillen reagieren eventuell nicht mehr. Atmung und Herzschlag verlangsamen sich und hören schließlich auf. Initial liegt eine Sinusbradykardie vor, gefolgt von einem langsamen Vorhofflimmern; der terminale Rhythmus ist Kammerflimmern oder Asystolie.

Diagnose der Hypothermie

  • Messung der Kerntemperatur

  • Berücksichtigung von Intoxikation, Myxödemen, Sepsis, Hypoglykämie und Trauma

Die Diagnose wird durch die Kerntemperatur gestellt, nicht durch die Oraltemperatur. Elektronische Thermometer sind vorzuziehen, denn viele normale Quecksilber-Thermometer haben eine Untergrenze von 34° C. Eine Überprüfung im Rektum und in der Speiseröhre ist am genauesten.

Es gibt verschiedene Schwellenwerte für die Kerntemperatur, um den Schweregrad der Unterkühlung zu bestimmen. In den klinischen Praxisleitlinien der Wilderness Medical Society werden die folgenden Werte verwendet (1):

  • Mild: 32–35° C

  • Moderat: 28–32° C

  • Schwer: < 28° C

Zu den Laboruntersuchungen gehören: großes Blutbild, Glukose (einschließlich Messung am Krankenbett), Elektrolyte, Blut-Harnstoff-Stickstoff, Kreatinin und arterielle Blutgase (BGA). Die BGA werden nicht wegen niedriger Temperaturen korrigiert. Ein Elektroenzephalogramm (EEG) kann J-Wellen (Osborn) (siehe Abbildung Anormales EKG mit J [Osborn]-Wellen [V4]) und Intervallverlängerung (PR, QRS, QT) anzeigen. Wenn die Ursache der Hypothermie unklar ist, werden Tests durchgeführt, um die beitragenden Faktoren zu ermitteln, einschließlich der Messung des Alkoholspiegels und des Screenings auf Medikamente und Schilddrüsenfunktion. Eine Sepsis und ein okkultes Kopf- oder Skeletttrauma müssen in Erwägung gezogen werden. Hypoadrenalismus und Hypothyreose (einschließlich Myxödem) können dazu beitragen und sind oft verborgen, ohne dass in der Vorgeschichte Kälteunverträglichkeit, trockene Haut, Arthralgien oder Abgeschlagenheit auftreten. Das Ausbleiben des Aufwärmens ist ein Anhaltspunkt. Bei einem Myxödem verlängert sich die Entspannungsphase des Sprunggelenkreflexes typischerweise stärker als die Kontraktionsphase.

Abnormales EKG, J-(Osborn)-Wellen darstellend (V4)

Die J (Osborn) -Welle ist als Buckel an der Kreuzung von QRS-Komplex und ST-Segment sichtbar. Computerprogramme können J-Wellenformanomalien nicht zuverlässig von Myokardverletzungsstrom unterscheiden.

Prognose bei Hypothermie

Patienten, die eine Stunde oder (selten) länger in eisigem Wasser zugebracht haben, wurden manchmal erfolgreich wieder aufgewärmt, ohne dass es zu bleibenden Hirnschäden kam (siehe Ertrinken: Prognose), selbst wenn die Körperkerntemperatur sehr niedrig war oder die Pupillen nicht reagierten. Der klinische Verlauf ist schwer vorherzusagen. Die Glasgow-Koma-Skala kann bei der Beurteilung der Prognose nicht zugrundegelegt werden. Gravierende prognostische Zeichen umfassen

  • Nachweis der Zelllyse (Serumkalium > 12 mEq/l [12 mmol/l])

  • Intravaskuläre Thrombose (Fibrinogen < 50 mg/dl [1,47 Mikromol/l])

  • Ein nicht durchströmender Herzrhythmus (ventrikuläre Fibrillation oder Asystolie)

Bei einem gegebenen Ausmaß und gegebener Dauer von Hypothermie ist eine Genesung bei Kindern wahrscheinlicher als bei Erwachsenen.

Behandlung der Hypothermie

  • Trocknung und Isolierung

  • Volumenersatz

  • Aktive Wiedererwärmung, es sei denn die Hypothermie ist leicht, beiläufig und unkompliziert.

Die erste Priorität ist es, einen weiteren Wärmeverlust zu vermeiden, indem nasse Bekleidung entfernt, und der Patient warm abgedeckt wird. Die folgenden Maßnahmen hängen von der Schwere der Hypothermie ab und davon, ob eine kardiovaskuläre Instabilität oder ein Herzstillstand vorliegt. Dabei ist es weniger dringend, Patienten mit milder Hypothermie wieder zu normaler Temperatur zurückzubringen, als solche mit schwerer Hyperthermie. Bei stabilen Patienten ist eine Erhöhung der Körperkerntemperatur um 1° C/Stunde akzeptabel.

Volumenersatz ist unerlässlich, da die Patienten in der Regel hypovolämisch sind. Es werden den Patienten 500 cc-2 l einer 0,9%igen Kochsalzlösung (20 ml/kg bei Kindern) IV gegeben; wenn möglich, wird diese auf 40–42° C aufgewärmt. Nach Bedarf wird eine größere Flüssigkeitsmenge zur Aufrechterhaltung der Perfusion verabreicht.

Tipps und Risiken

  • Bei mittelschwerer bis schwerer Unterkühlung muss die Kerntemperatur vor der Wiedererwärmung der Extremitäten stabilisiert werden, um einen plötzlichen Kreislaufkollaps (Wiedererwärmungs-Kollaps) zu verhindern, wenn sich die peripheren Gefäßen erweitern.

Passive Wiedererwärmung

Bei leichter Hypothermie (Temoeratur 32 bis 35° C) mit intakter Thermoregulation (Hinweis darauf ist Zittern) sind Isolierung mit Heizdecken und warme Flüssigkeiten zum Trinken angemessen.

Aktive Wiedererwärmung

Eine aktive Wiedererwärmung ist dann erforderlich, wenn Patienten, eine Temperatur < 32° C, eine kardiovaskuläre Instabilität, Hormoninsuffizienz (z. B. Hypoadrenalismus oder Hypothyreose) oder eine sekundäre Hypothermie nach Traumata, Vergiftungen oder prädisponierenden Erkrankungen aufweisen.

Bei einer gemäßigten Hypothermie liegt die Körpertemperatur am wärmeren Ende dieses Bereichs (28 bis 32° C) und eine externen Wiederaufwärmung mit Warmluftdeckensystemen kann benutzt werden. Externe Wärme wird am besten auf dem Thorax angewendet, da die Erwärmung der Extremitäten dem Stoffwechsel eines verminderten Herz-Kreislauf-Systems zu viel abverlangen kann.

Bei einer schweren Hypothermie benötigen Patienten mit niedrigeren Temperaturen (< 28° C), v. a. jene mit niedrigem Blutdruck oder Herzstillstand, eine Körperkernerwärmung.

Methoden zur Wiedererwärmung der Kerntemperaturen sind

  • Inhalation

  • Intravenöse Infusion

  • Lavage

  • Extrakorporale Kerntemperatur-Wiedererwärmung (ECR)

Die Inhalation von erhitztem (40–45° C), befeuchteten Sauerstoff über eine Maske oder einen Endotrachealtubus beseitigt den respiratorischen Wärmeverlust und kann der Wiedererwärmungsrate 1–2° C/Stunde hinzufügen.

Intravenöse Kristalloide oder Blut sollte auf 40–42° C erhitzt werden, vor allem bei massiven Volumen- Reanimationen.

Geschlossene Thorax-Spülung durch zwei Thorakostomie-Tuben(siehe Wie eine Thorakostomie mit einer chirurgischen Sonde durchgeführt wird) sehr effizient in schweren Fällen ist. Eine Peritoneallavage mit Dialysat, das auf 40–45° C erhitzt wurde, erfordert zwei Katheter mit Saug- Abfluss und ist besonders nützlich für stark unterkühlte Patienten, die Rhabdomyolyse, Vergiftungen oder Elektrolytanomalien haben. Beheizte Spülung der Blase oder des GI-Trakts überträgt minimale Wärme.

Es gibt 5 Formen der ECR: Hämodialyse, venovenöse, kontinuierliche arteriovenöse, Herz-Lungen-Bypass und extrakorporale Membranoxygenation. Diese extrakorporalen Maßnahmen erfordern einen geplanten Ablauf mit geeigneten Spezialisten. Obwohl sie recht attraktiv und heroisch erscheinen, stehen diese Maßnahmen nicht routinemäßig zur Verfügung, und werden in manchen Krankenhäusern nicht häufig eingesetzt.

Kardiopulmonale Reanimation

Hypotonie und Bradykardie sind zu erwarten, wenn die Körperkerntemperatur niedrig ist; wenn diese Symtpome nur auf Hypothermie zurückzuführen sind, müssen sie nicht aggressiv behandelt werden.

Wenn notwendig muss eine endotracheale Intubation nach der Oxygenierung sanft durchgeführt werden, um einen nicht-perfundierenden Rhythmus zu vermeiden.

Eine kardiopulmonale Reanimation sollte nicht durchgeführt werden, wenn Patienten einen perfundierten Rhythmus haben, es sei denn, ein wirklicher Herzstillstand wird durch Abwesenheit von Herzbewegung bei Ultraschalluntersuchung am Krankenbett bestätigt. Behandeln mit Flüssigkeiten und aktiver Wiedererwärmung. Herzdruckmassage werden nicht durchgeführt, weil

  • Impulse können schnell mit Wiedererwärmung zurückkehren

  • Thoraxkompressionen kann den Perfusionsrhythmus in einen Nicht-Perfusionsrhythmus konvertieren

Patienten mit einem ungenügend versorgten Rhythmus (ventrikuläre Fibrillation oder Asystolie) erfordern kardiopulmonale Reanimation. Herzdruckmassage und Intubation werden durchgeführt. Die Defibrillation ist schwierig, wenn die Körpertemperatur niedrig ist; es kann ein Versuch mit der maximalen Energieeinstellung des Defibrillators (200 J für biphasische und 360 J für monophasische Defibrillation) unternommen werden, aber wenn dies nicht erfolgreich ist, werden weitere Versuche im Allgemeinen verschoben, bis die Temperatur > 30° C erreicht ist.

Fortgeschrittene kardiale lebenserhaltende Medikamente (z. B. Antiarrhythmika, Vasopressoren, Inotrope) werden in der Regel erst verabreicht, wenn die Temperatur > 30° C liegt. Dopamin in geringer Dosis (1–5 mcg/kg/min) oder andere Catecholamininfusionen bleiben typischerweise Patienten mit unverhältnismäßig schwerer Hypotension vorbehalten und denjenigen, die nicht auf Kristalloidtherapie und Erwärmen reagieren (1).

Weiter reichende lebenserhaltende Maßnahmen sollten fortgesetzt werden, bis die Temperatur 32° C erreicht hat, es sei denn, es liegen offensichtliche tödliche Verletzungen oder krankhafte Störungen vor. Eine schwere Hyperkaliämie (> 12 mEq/l [12 mmol/l]) während der Reanimation weist typischerweise auf einen tödlichen Ausgang hin und kann die Reanimationsbemühungen lenken (1, 2).

Literatur zur Therapie

  1. 1. Dow J, Giesbrecht GG, Danzl DF, et al: Wilderness Medical Society Clinical Practice Guidelines for the Out-of-Hospital Evaluation and Treatment of Accidental Hypothermia: 2019 Update. Wilderness Environ Med 30(4S):S47-S69, 2019. doi: 10.1016/j.wem.2019.10.002

  2. 2. Musi ME, Sheets A, Zafren K, et al: Clinical staging of accidental hypothermia: The Revised Swiss System: Clinical staging of accidental hypothermia: The Revised Swiss System: Recommendation of the International Commission for Mountain Emergency Medicine (ICAR MedCom). Resuscitation 162:182, 2021. doi: 10.1016/j.resuscitation.2021.02.038

Wichtige Punkte

  • Kerntemperatur im Rektum oder in der Speiseröhre mit einem elektronischen Thermometer oder einer Sonde messen.

  • Bei Temperaturen über 32° C ist eine Isolierung mit Wärmedecken und warmen Flüssigkeiten zum Trinken eine angemessene Behandlung.

  • Unterhalb von etwa 32° C sollte eine aktive Wiedererwärmung eingeleitet werde, in der Regel unter Verwendung von Warmluftdeckensystemen mit Gebläse, erwärmtem und befeuchtetem Sauerstoff, warmer IV Flüssigkeit und manchmal erwärmter Lavage oder extrakorporalen Verfahren (z. B. kardiopulmonaler Bypass, Hämodialyse).

  • Bei niedrigeren Temperaturen sind die Patienten hypovolämisch und benötigen eine Volumenersatztherapie.

  • Eine kardiopulmonale Reanimation wird nicht durchgeführt, wenn ein perfundierter Rhythmus vorliegt.

  • Wenn die kardiopulmonale Reanimation bei Patienten mit einem nicht-perfundierenden Rhythmus durchgeführt wird, wird die Defibrillation (nach einem ersten Versuch) verschoben, bis die Temperatur etwa 30° C erreicht.

  • Fortgeschrittene lebenserhaltende Medikamente werden in der Regel erst bei einer Temperatur von etwa 30° C verabreicht.