Chronische Bauchschmerzen und rezidivierende Bauchschmerzen

VonJonathan Gotfried, MD, Lewis Katz School of Medicine at Temple University
Überprüft/überarbeitet Mai 2024
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Chronischer Abdominalschmerz (CAP) ist ein Schmerz, der entweder kontinuierlich oder intermittierend über mehr als 3 Monate anhält. Der intermittierend auftretende Schmerz kann als rezidivierender Abdominalschmerz (RAP) bezeichnet werden. Der akute Bauchschmerz wird an anderer Stelle besprochen.

Der CAP kann zu irgendeinem Zeitpunkt jenseits des 5 Lebensjahres auftreten. In einer großen Kohortenstudie berichteten 11 % der Kinder bei ≥ 1 Untersuchung über RAP (1). Etwa 2% der Erwachsenen, vor allem Frauen, haben CAP (ein viel höherer Prozentsatz von Erwachsenen zeigt irgendwelche chronischen gastrointestinalen Symptome, einschließlich nichtulzeröser Dyspepsie und verschiedener Darmstörungen).

Funktionelle Darmstörungen sind häufige Ursachen für chronische Bauchschmerzen. Das Reizdarmsyndrom (IBS) ist eine funktionelle Darmstörung, die wiederkehrende Bauchschmerzen und veränderte Darmgewohnheiten verursacht. Das zentral vermittelte Bauchschmerzsyndrom, früher bekannt als funktioneller Bauchschmerz, ist eine ähnliche, aber weniger häufige Erkrankung, die keine veränderten Darmgewohnheiten verursacht. (Siehe the American College of Gastroenterology's 2021 clinical guideline for the management of IBS.)

Fast alle Patienten mit CAP haben schon eine medizinische Abklärung erfahren, bei der weder aufgrund der Anamnese, der körperlichen Untersuchung noch zahlreicher basaler Testverfahren eine Diagnose erstellt werden konnte.

Allgemeine Literatur

  1. 1. Sjölund J, Uusijärvi A, Tornkvist NT, et al. Prevalence and Progression of Recurrent Abdominal Pain, From Early Childhood to Adolescence. Clin Gastroenterol Hepatol. 2021;19(5):930-938.e8. doi:10.1016/j.cgh.2020.04.047

Pathophysiologie

Die physiologischen Ursachen chronischer Bauchschmerzen (siehe Tabelle Physiologische Ursachen von chronischen Bauchschmerzen) resultieren aus Stimuli der viszeralen Rezeptoren (mechanisch, chemisch oder beides). Je nach Innervation und spezifischer Organbeteiligung können die Schmerzen lokalisiert oder weitergeleitet sein.

Das Reizdarmsyndrom und das zentral vermittelte Bauchschmerzsyndrom verursachen Schmerzen, die > 6 Monate andauern, ohne dass eine physiologische Erkrankung nachgewiesen werden kann. Die Pathophysiologie dieser Störungen ist komplex und scheint eine veränderte Darmmotilität, eine erhöhte viszerale Nozizeption und psychologische Faktoren zu beinhalten. Die viszerale Hyperalgesie bezieht sich auf eine Überempfindlichkeit gegenüber dem normalen Ausmaß der intraluminalen Dehnung und eine gesteigerte Schmerzwahrnehmung bei normalen intestinalen Gasmengen. Diese kann vom Umbau der Nervenbahnen in der Hirn-Darm-Achse herrühren.

Ätiologie

Ungefähr 10% der Patienten haben eine okkulte physiologische Erkrankung (see table ♦Physiologische Ursachen für chronische Bauchschmerzen♦), die übrigen leiden unter funktionellen Beschwerden. Die Feststellung, ob bestimmte pathologische Befunde (z. B. Adhäsionen, Ovarialzyste, Endometriose) die Ursache der CAP-Symptome oder einen Zufallsbefund darstellen, kann schwierig sein.

Tabelle
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Abklärung

Anamnese

Bei der Anamnese sind Schmerzlokalisation, Qualität, Dauer, Zeitpunkt und Rezidivhäufigkeit sowie Faktoren, die die Schmerzen lindern oder verschlimmern (insbesondere Essen oder Stuhlgang) zu erfragen. Es ist eine spezifische Untersuchung erforderlich, um festzustellen, ob Milch und Milchprodukte Bauchkrämpfe, Blähungen oder Völlegefühl verursachen, da Laktoseintoleranz weit verbreitet ist, insbesondere bei Menschen afrikanischer, hispanischer, asiatischer (insbesondere ostasiatischer Länder) und indianischer Abstammung, und mit zunehmendem Alter immer häufiger auftritt.

Eine Überprüfung der Organsysteme sucht nach begleitenden gastrointestinalen Symptomen wie Reflux, Appetitlosigkeit, Blähungen oder "Gas", Übelkeit, Erbrechen, Gelbsucht, Meläna, Hämaturie, Hämatemesis, Gewichtsverlust und Schleim oder Blut im Stuhl. Darmprobleme wie Durchfall, Verstopfung und Veränderungen in der Stuhlkonsistenz und -farbe oder Änderungen des Stuhlgangs sind besonders wichtig.

Die Anamnese ist wichtig. So kann beispielsweise die Einnahme großer Mengen von Colagetränken, Fruchtsäften (die erhebliche Mengen an Fruktose und Sorbit enthalten können) oder gasbildenden Lebensmitteln (z. B. Bohnen, Zwiebeln, Kohl, Blumenkohl) zu ansonsten rätselhaften Bauchschmerzen führen.

Die Anamnese sollte Art und Zeitpunkt jeder abdominellen Operation, die Befunde stattgehabter Untersuchungen und die Ergebnisse früherer Behandlungsversuche einschließen. Eine Medikamenten-/Drogenanamnese sollte Einzelheiten zum Konsum von verschreibungspflichtigen Medikamenten und illegalen Drogen sowie Alkohol enthalten.

Eine Familienanamnese rezidivierender Abdominalschmerzen (RAP), und Fieberschübe oder beides sollte ermittelt werden, ebenso wie bekannte Diagnosen von Sichelzellanämie oder -krankheit, familiärem Mittelmeerfieber und Porphyrie.

Körperliche Untersuchung

Bei einer Untersuchung der Vitalfunktionen sollte besonders auf das Vorhandensein von Fieber oder Tachykardie geachtet werden.

Bei der allgemeinen Untersuchung sollte auf das Vorliegen von Gelbsucht, Hautausschlag und peripheren Ödemen geachtet werden.

Eine Abdomenuntersuchung sollte druckempfindliche Regionen, Peritonitiszeichen (z. B. Abwehrspannung, verhärtete Bauchdecke, Klopfschmerz) sowie Massen oder Organvergrößerungen registrieren. Die Untersuchung auf Bauchwandschmerzen (Carnett-Zeichen) kann helfen, zwischen somatischen und viszeralen Schmerzen zu unterscheiden (1).

Eine rektale Untersuchung und (bei Frauen) eine gynäkologische Untersuchung zur Lokalisierung von druckempfindlichen Bereichen und Massen sowie eine Stuhluntersuchung auf okkultes Blut sind unerlässlich.

Risikofaktoren

Die folgenden Befunde sind von besonderer Bedeutung:

  • Fieber

  • Anorexie, Gewichtsverlust

  • Schmerzen, die den Patienten aufwecken

  • Blut in Erbrochenem, Stuhl oder Urin

  • Starkes oder häufiges Erbrechen

  • Gelbsucht

  • Ödem

  • Abdominelle Masse oder Organvergrößerung

Interpretation der Ergebnisse

Die klinische Untersuchung allein erlaubt selten eine sichere Diagnose.

Es kann schwierig sein, eine physiologische von einer funktionellen Ursache der CAP zu unterscheiden. Obwohl das Vorhandensein von verdächtigen Befunden auf eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine körperliche Ursache hindeutet, schließt ihr Fehlen eine solche nicht aus. Bei einer physiologischen Ursache sind die Schmerzen in der Regel gut lokalisierbar, insbesondere in anderen Bereichen als der periumbilikalen Region. Schmerzen, die den Patienten nachts aufwecken, sind in der Regel physiologischer Natur. Einige verdächtige Befunde spezifischer Erkrankungen sind in der Tabelle Physiologische Ursachen von chronischem Bauchschmerz aufgeführt.

Der Schmerz bei funktioneller CAP kann dem bei organischer Ursache entsprechen. Allerdings gibt es bei ersterem keine Risikofaktoren und psychologische Auffälligkeiten sind vorherrschend. Körperlicher oder sexueller Missbrauch in der Vorgeschichte oder ein nicht verarbeiteter Verlust (z. B. Scheidung, Fehlgeburt, der Tod eines Familienangehörigen) kann ein Auslöser sein.

Die Rom-IV-Kriterien sind Konsensleitlinien, die einen Rahmen für die Diagnose funktioneller gastrointestinaler Erkrankungen, einschließlich des Reizdarmsyndroms, bieten (2). Gemäß diesen Kriterien wird das Reizdarmsyndrom als das Vorliegen von Bauchschmerzen für mindestens einen Tag pro Woche in den letzten drei Monaten zusammen mit mindestens zwei der folgenden definiert:

  • Schmerzen hängen mit Defäkation zusammen.

  • Der Schmerz ist mit einer Veränderung der Häufigkeit des Stuhlgangs verbunden.

  • Schmerzen sind mit einer Veränderung in der Konsistenz des Stuhls verbunden.

Literatur zur Evaluierung

  1. 1. Schneiderman H, Lopetegui-Lia N, Nichols J: The enduring and practical power of physical examination: Carnett sign. Am J Med 133(6):682-684, 2020. doi: 10.1016/j.amjmed.2019.09.027

  2. 2. Drossman DA: Functional gastrointestinal disorders: History, pathophysiology, clinical features, and Rome IV. Gastroenterology 150:1262–1279, 2016. doi: 10.1053/j.gastro.2016.02.032

Tests

Im Allgemeinen sollten einfache Tests (einschließlich Urinanalyse, vollständiges Blutbild, Leberwerte, Blut-Harnstoff-Stickstoff, Glukose und Lipase) durchgeführt werden. Anormale Werte in diesen Tests, hochverdächtige Symptome oder spezifische klinische Befunde geben Veranlassung zu weiteren Untersuchungen, auch wenn frühere Beurteilungen negativ ausgefallen waren. Die Indikation zu spezifischen Untersuchungen (siehe Physiologische Ursachen für chronische Bauchschmerzen) hängt von den erhobenen Befunden ab, in der Regel werden eine Ultraschalluntersuchung auf Eierstockkrebs bei Frauen > 50 Jahre, ein CT des Abdomens und des Beckens mit Kontrastmittel, eine obere gastrointestinale Endoskopie (insbesondere bei Patienten > 60 Jahre) oder eine Koloskopie und vielleicht eine Bildgebung des Dünndarms oder eine Stuhluntersuchung durchgeführt.

Der Nutzen, Patienten ohne auffällige Befunde derartigen Testverfahren zu unterziehen, bleibt zweifelhaft. Patienten > 45 oder mit Risikofaktoren für Darmkrebs (z. B. Familienanamnese) sollten einer Koloskopie unterzogen werden, wenn sie nicht zuvor gescreent wurden; Patienten 45 können beobachtet werden oder eine CT des Abdomens und des Beckens mit Kontrastmittel erhalten, wenn eine bildgebende Untersuchung gewünscht wird. Magnetresonanz-Cholangiopankreatikographie (MRCP), endoskopische retrograde Cholangiopankreatikographie (ERCP) und Laparoskopie sind selten hilfreich bei Fehlen spezifischer Indikationen.

Zwischen der ersten Abklärung und den Wiedervorstellungen sollte der Patient (oder bei einem Kind die Familie) jeden Schmerz, inkl. seines Charakters, seiner Intensität und Dauer sowie seiner auslösenden Ursachen, dokumentieren. Die Diät, das Stuhlgangsmuster und jedes eingesetzte Heilmittel (einschließlich des Behandlungsresultats) sollten ebenfalls erfasst werden. Diese Dokumentation kann inadäquate Verhaltensmuster und übertriebene Reaktionen auf Schmerz zutage fördern oder auf andere Weise eine Verdachtsdiagnose zulassen.

Therapie

Organische Befunde müssen behandelt werden.

Wenn die Diagnose einer funktionellen CAP gestellt ist, sollte man häufige Untersuchungen und Tests vermeiden, weil sie den Patienten auf seine körperlichen Beschwerden fokussieren oder diese verstärken können oder dem Patienten das Gefühl vermitteln, dass der Arzt kein Vertrauen in seine Diagnose hat.

Es gibt keine gezielten Verfahren, um die funktionelle CAP zu heilen, es existieren aber hilfreiche Möglichkeiten. Sie beruhen auf einem gegenseitigen Vertrauensverhältnis, einer empathischen Beziehung zwischen Arzt, Patient und Familie. Dem Patienten muss klargemacht werden, dass er sich nicht in Gefahr befindet; besondere Probleme sollen erfasst und angesprochen werden. Der Arzt sollte die Laborbefunde erklären und die Art des Problems beschreiben, wie der Schmerz genau zustande kommt und wie der Patient ihn empfindet (d. h. kann eine Neigung bestehen, in Zeiten von Stress Schmerzen zu emfinden). Es ist wichtig, eine dauerhafte Manifestierung von negativen Konsequenzen aus chronischen Schmerzen (z. B. dauerhafte Abwesenheit von der Schule oder Arbeit, Zurückziehen von sozialen Aktivitäten) zu vermeiden und Unabhängigkeit, Teilnahme am Sozialleben und Selbstwertgefühl zu unterstützen. Diese Strategien helfen dem Patienten, seine Symptome zu kontrollieren und zu tolerieren und gleichzeitig am täglichen Leben voll teilzunehmen.

Wirkstoffe wie Antispasmotika, Pfefferminzöl und trizyklische Antidepressiva können wirksam sein (1). Opiate Opiide sollten wegen der Besorgnis über eine mögliche Abhängigkeit und die Möglichkeit eines narkotischen Darmsyndroms vermieden werden.

Eine Umstellung der Ernährung und der Verzehr von ballaststoffreichen Lebensmitteln oder Ballaststoffpräparaten kann einigen Patienten helfen. Derzeit gibt es nur wenig Evidenz für den Einsatz von Probiotika bei zentral vermittelten Bauchschmerzen. (Siehe the American College of Gastroenterology's 2021 clinical guideline for the management of IBS.)

Kognitive Methoden (z. B. kognitive Verhaltenstherapie, Entspannungstraining, Biofeedback, Hypnose) können helfen, indem sie zum Wohlbefinden und zur Kontrolle des Patienten beitragen (1). Regelmäßige Kontrollvorstellungen sollten abhängig von den Bedürfnissen des Patienten wöchentlich, monatlich oder alle zwei Monate stattfinden und sollten auch für einige Zeit beibehalten werden, nachdem das Problem des Patienten gelöst ist. Eine psychiatrische Vorstellung kann notwendig werden, wenn der Patient depressiv ist oder wenn zu Hause signifikante psychologische Stressfaktoren vorhanden sind.

Literatur zur Therapie

  1. 1. Stemboroski L, Schey R. Treating Chronic Abdominal Pain in Patients with Chronic Abdominal Pain and/or Irritable Bowel Syndrome. Gastroenterol Clin North Am. 2020;49(3):607-621. doi:10.1016/j.gtc.2020.05.001

Wichtige Punkte

  • Die meisten Fälle stellen einen funktionalen Prozess.

  • Verdächtige Befunde deuten auf eine körperliche Ursache und die Notwendigkeit weiterer Untersuchung hin.

  • Die Prüfung erfolgt anhand klinischer Kriterien.

  • Nach dem Ausschluss körperlicher Ursachen sind wiederholte Tests in der Regel kontraproduktiv.

Weitere Informationen

Die folgenden englischsprachigen Quellen können nützlich sein. Bitte beachten Sie, dass das MSD-Manual nicht für den Inhalt dieser Quellen verantwortlich ist.

  1. American College of Gastroenterology: Clinical guideline for the management of IBS (2021)