Nekrotisierende Enterokolitis

VonJaime Belkind-Gerson, MD, MSc, University of Colorado
Überprüft/überarbeitet Sept. 2023
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Die nekrotisierende Enterokolitis ist eine erworbene Krankheit vor allem der Frühgeborenen oder kranken Neugeborenen, die durch muköse oder noch tiefere intestinale Nekrosen charakterisiert ist. Es ist der häufigste gastrointestinale Notfall bei Neugeborenen. Die Symptome und Befunde schließen Essensunverträglichkeit, Lethargie, Temperaturinstabilität, Ileus, ein geblähtes Abdomen, galliges Erbrechen, blutigen Stuhl, Apnoe und manchmal Sepsiszeichen ein. Die Diagnose wird klinisch gestellt und mit bildgebenden Verfahren bestätigt. Die Behandlung ist in erster Linie unterstützend und umfasst nasogastrale Absaugung, parenterale Flüssigkeiten, totale parenterale Ernährung, Antibiotika, Isolation im Falle einer Infektion und gelegentlich auch Operation.

Über 90% der Fälle nekrotisierender Enterokolitis (NEC) treten bei Frühgeborenen auf. Die Inzidenz von NEC schwankt Berichten zufolge zwischen 6% und 15% aller Neugeborenen, die auf eine neonatale Intensivstation (NICU) eingewiesen wurden (1, 2).

Risikofaktoren für nekrotisierende Enterokolitis

Zu den allgemeinen Risikofaktoren für nekrotisierende Enterokolitis neben Frühgeburtlichkeit gehören

Drei Darmfaktoren liegen in der Regel vor:

  • Ein vorangehender ischämischer Insult

  • Bakterielle Besiedlung

  • Intraluminales Substrat (d. h. enterale Ernährung)

Literatur

  1. 1. Alene T, Feleke MG, Yeshambel A, et al: Time to occurrence of necrotizing enterocolitis and its predictors among low birth weight neonates admitted at neonatal intensive care unit of felege hiwot compressive specialized hospital BahirDar, Ethiopia, 2021: A retrospective follow-up study. Front Pediatr 10:959631, 2022. doi: 10.3389/fped.2022.959631

  2. 2. Caplan M, Portman R. Second Annual Neonatal Scientific Workshop at the EMA Report. London: International Neonatal Consortium, 2016.

Ätiologie der nekrotisierenden Enterokolitis

Die genaue Ätiologie der nekrotisierenden Enterokolitis ist unklar. Prädisponierende Faktoren sind jedoch die erhöhte Permeabilität und die unreife Immunfunktion des unreifen Darmtraktes. Es wird vermutet, dass ein ischämischer Infarkt die Darmwände so schädigt, dass es zu einer erhöhten Durchlässigkeit kommt und diese zu einer erhöhten Empfindlichkeit auf bakterielle Infekte neigt. NEC tritt selten auf bevor mit der enteralen Ernährungen begonnen wurde und ist weniger häufig bei gestillten Säuglingen. Sobald das Füttern beginnt, gibt es jedoch reichlich Substrat für das Wachstum der intraluminalen Bakterien, die die verletzte Darmwand durchwandern und Wasserstoff produzieren. Dieses Gas sammelt sich in der Darmwand (Pneumatosis intestinalis) und wandert in die Pfortadern ein. Eine Dysbiose (Veränderung des intestinalen Mikrobioms), wie sie z. B. nach einer Behandlung mit Antibiotika oder säureunterdrückenden Medikamenten auftritt, kann ebenfalls ein beitragender Faktor sein, da sie potenziell pathogene Bakterien vermehrt.

Der zugrunde liegende ischämische Infarkt könnte Folge eines Vasospasmus der Mesenterialarterien sein, der seinerseits durch einen hypoxischen Infarkt verursacht wurde. Ein solcher hypoxischer Infarkt wiederum löst einen entwicklungsgeschichtlichen, alten Taucherreflex aus, der zu einer Verringerung der Darmdurchblutung führt. Die Darmischämie kann auch Ausdruck eines niedrigen Blutflusses während einer Austauschtransfusion oder während einer Sepsis sein oder von der Verwendung hyperosmolarer Nahrung herrühren. Ebenso kann ein angeborenes Vitium zu einer Verminderung des systemischen Blutflusses oder eine erniedrigte arterielle Sauerstoffsättigung zu einer intestinalen Hypoxie/Ischämie und damit zu einer Prädisposition für eine NEC führen.

Die nekrotisierende Enterokolitis (NEC) kann als Cluster von Fällen oder als Ausbruch auf Neugeborenen-Intensivstationen auftreten. Das gehäufte Auftreten ist öfters mit bestimmten Keimen vergesellschaftet (z. B. Klebsiella, Escherichia coli, koagulasenegative Staphylokokken, Pseudomonas, Clostridioides difficile). Oft wird auch kein verursachender pathogener Keim gefunden.

Komplikationen der nekrotisierenden Enterokolitis

Die Nekrose beginnt in der Mucosa und kann bis zum Befall der ganzen Darmwand fortschreiten, verursacht eine intestinale Perforation mit anschließender Peritonitis und freier Luft im Abdomen. Die Perforation kommt vor allem im terminalen Ileum vor; das Kolon und der proximale Dünndarm sind weit weniger betroffen.

Sepsis tritt bei 20–30% der Kinder mit NEC auf (1), und in einer Serie trat der Tod bei etwa 5% der Säuglinge> 1500 g auf, aber bei> 20% der Säuglinge <1500 g mit NEC (2).

Die Darmstrikturen sind die häufigste Langzeitkomplikation der NEC und kommen bei 10–36% der Säuglinge vor, die die ursprüngliche Episode überleben (3). Stenosen manifestieren sich typischerweise 2–3 Monate nach einer Episode mit NEC. Die Strikturen sind vor allem im linksseitigen Kolon lokalisiert,

Kurzdarmsyndrom entwickelt sich bei etwa 10% der Kinder mit NEC.

Literatur zur Ätiologie

  1. 1. Caplan M, Portman R. Second Annual Neonatal Scientific Workshop at the EMA Report. London: International Neonatal Consortium, 2016.

  2. 2. Alene T, Feleke MG, Yeshambel A, et al: Time to occurrence of necrotizing enterocolitis and its predictors among low birth weight neonates admitted at neonatal intensive care unit of felege hiwot compressive specialized hospital BahirDar, Ethiopia, 2021: A retrospective follow-up study. Front Pediatr 10:959631, 2022. doi: 10.3389/fped.2022.959631

  3. 3. Hau EM, Meyer SC, Berger S, et al: Gastrointestinal sequelae after surgery for necrotising enterocolitis: A systematic review and meta-analysis. Arch Dis Child Fetal Neonatal Ed 104(3):F265-F273, 2019. doi: 10.1136/archdischild-2017-314435

Symptome und Anzeichen der nekrotisierenden Enterokolitis

Die Säuglinge haben Fütterungsprobleme sowie blutige oder gallige Magenreste (nach Fütterung) bis zum galligen Erbrechen, Darmverschluss mit Bauchauftreibung oder sichtbare Blutbeimengungen im Stuhl.

Die Sepsis äußert sich in Lethargie, Temperaturinstabilität, vermehrten Apnoeanfällen und metabolischer Azidose.

Diagnose der nekrotisierenden Enterokolitis

  • Nachweis von Blut im Stuhl

  • Röntgenaufnahmen des Bauches

  • Sonographie

Manchmal wird Blut im Stuhl nachgewiesen.

Frühe Röntgenaufnahmen können unspezifisch sein und lediglich einen Ileus zeigen. Allerdings ist eine fixierte, erweiterte Darmschlinge (Sentinel-Schleife), die sich bei wiederholten Röntgenaufnahmen nicht verändert, für NEC sehr besorgniserregend. Charakteristische radiologische Zeichen sind die Pneumatosis intestinalis sowie Luft im Portalgefäßsystem. Ein Pneumoperitoneum ist ein Zeichen für eine Darmperforation und eine dringende Indikation zur chirurgischen Intervention.

Radiologische Merkmale der nekrotisierenden Enterokolitis
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Dieses Bild zeigt Pneumatosis intestinalis (oben, Pfeilspitzen) und Pfortadergas (unten, Pfeil).
Mit Genehmigung des Herausgebers. From Langer J: Gastroenterology and Hepatology: Pediatric Gastrointestinal Problems. Edited by M Feldman (series editor) and PE Hyman. Philadelphia, Current Medicine, 1997.

Ultraschall wird zunehmend in Fällen von nekrotisierender Enterokolitis (NEC) eingesetzt. Mit der Sonografie können Ärzte die Darmwanddicke, die Pneumatosis intestinalis und den Blutfluss untersuchen. Diese Technik ist jedoch sehr untersucherabhängig, und es werden immer noch häufiger einfache Röntgenaufnahmen verwendet.

Behandlung der nekrotisierenden Enterokolitis

  • Fütterungen unterbrochen

  • Magensonde

  • Volumenersatz

  • Breitspektrumantibiotika

  • Totale parenterale Ernährung (TPE)

  • Gelegentlich Operation oder perkutane Drainage

Die Mortalitätsrate liegt bei 20–30%. Eine aggressive Therapie und rechtzeitige chirurgische Intervention vergrößern die Überlebenschancen.

Unterstützen

Bei etwa 75% der Fälle reicht eine unterstützende, nichtchirurgische Therapie aus. Bei Verdacht auf eine nekrotisierende Enterokolitis (NEC) muss die Ernährung sofort unterbrochen, der Darm mit einer doppellumigen Magensonde unter Sog entlastet und intermittierend abgesaugt werden. Die geeignete kolloidale und kristalline intravenöse Flüssigkeitszufuhr dient der Kreislaufunterstützung, da die ausgedehnte Darmentzündung und die Peritonitis zu beträchtlichen Flüssigkeitsverlusten im dritten Raum führen können.

Totale parenterale Ernährung wird für 10–14 Tage benötigt, während der Darm abheilt.

Systemische Antibiotika sollten sofort mit einem Beta-Lactam-Antibiotikum (z. B. Ampicillin) und einem Aminoglykosid (z. B. Gentamicin, Amikacin) begonnen werden. Die zusätzliche Abdeckung der Anaerobier (z. B. Clindamycin, Metronidazol) kann erwogen werden. Die Antibiotika sollten 10-14 Tage lang eingenommen werden. Da manche NEC-Ausbrüche infektiös sein können, muss der Patient eventuell isoliert werden, vor allem wenn mehrere Fälle innerhalb kürzester Zeit auf einer Station vorkommen.

Der Säugling muss engmaschig überwacht werden; er muss häufig (z. B. mindestens alle 12 Stunden) vollständig neu untersucht werden; außerdem sind regelmäßige Röntgenaufnahmen des Abdomens, Gesamtblutbilder (einschließlich Thrombozytenzahl) und Blutgase erforderlich.

Operative Eingriffe

Bei einem Anteil von < 25% der Kinder muss operiert werden. Absolute Indikationen sind Darmperforation (Pneumoperitoneum), Anzeichen einer Peritonitis (oft nicht vorhanden bei NEC, aber umfassen fehlende Darmgeräusche und diffuse Abwehrspannung oder Erythem und Ödem der Bauchwand) oder Aspiration von eitrigem Material aus der Bauchhöhle durch Parazentese. Ein chirurgisches Eingreifen sollte auch bei Kindern mit NEC erwogen werden, deren klinische und laborchemische Situation unter konservativer Therapie zunehmend schlechter wird.

Eine primäre perkutane Peritonealdrainage ist eine Option und kann am Krankenbett durchgeführt werden. Bei diesem Verfahren führt der Chirurg eine Inzision im rechten unteren Quadranten durch, durch die das Abdomen mit warmer Kochsalzlösung gespült wird. Dann wird ein Schlauch (Drain) gelegt, um eine kontinuierliche Drainage des Abdomens zu ermöglichen. Wenn die Drainage gestoppt ist, kann der Schlauch jeden Tag ein wenig zurückgezogen und anschließend entfernt werden. Dieses Verfahren wird häufiger bei sehr kranken Säuglingen mit extrem niedrigem Geburtsgewicht durchgeführt, die gefährdet wären, wenn sie in einen Operationssaal gebracht würden; es kann jedoch mit einer höheren Mortalität assoziiert sein.

Bei Säuglingen, die sich einer Laparotomie unterziehen, wird der gangränöse Darm reseziert und ein Stoma angelegt. (Die primäre Reanastomose kann durchgeführt werden, wenn der übrige Darm keine Ischämie zeigt.) Nach Ausheilung der Sepsis und Peritonitis kann die Darmkontinuität einige Wochen oder Monate später wiederhergestellt werden.

Strikturen, die auf NEC zurückzuführen sind, erfordern eine Resektion.

Prävention der nekrotisierenden Enterokolitis

Säuglinge mit einem Risiko sollten möglichst mit Muttermilch gefüttert werden, und das Stillen sollte mit kleinen Mengen beginnen, die nach standardisierten Protokollen schrittweise erhöht werden. (Eine Frühgeborenenformel ist ein geeigneter Ersatz, wenn keine Muttermilch verfügbar ist.) Hypertonische Nahrungen, Medikamente oder Kontrastmittel sollten vermieden werden. Anämie, niedrige Sauerstoffsättigungen und Polyzythämie sollte sofort behandelt werden. Insbesondere sollten, wenn möglich, Antibiotika und säureunterdrückende Medikamente vermieden werden.

Probiotika (z. B. Bifidus infantis, Lactobacillus acidophilus) helfen bei der Verhinderung einer NEC, aber vor der routinemäßigen Anwendung sind weitere Studien zur Bestimmung der optimalen Dosierung und geeigneter Stämme notwendig (1, 2).

Schwangeren Frauen, bei denen das Risiko einer Frühgeburt besteht, können Kortikosteroide verabreicht werden, um eine nekrotisierende Enterokolitis zu verhindern (3).

Literatur zur Prävention

  1. 1. van den Akker CHP, van Goudoever JB, Shamir R, et al: Probiotics and preterm infants: A position paper by the European Society for Paediatric Gastroenterology Hepatology and Nutrition Committee on Nutrition and the European Society for Paediatric Gastroenterology Hepatology and Nutrition Working Group for Probiotics and Prebiotics. J Pediatr Gastroenterol Nutr 70(5):664–680, 2020. doi: 10.1097/MPG.0000000000002655

  2. 2. Razak A, Patel RM, Gautham KS: Use of Probiotics to Prevent Necrotizing Enterocolitis: Evidence to Clinical Practice. JAMA Pediatr 175(8):773-774, 2021. doi: 10.1001/jamapediatrics.2021.1077

  3. 3. Xiong T, Maheshwari A, Neu J, et al: An overview of systematic reviews of randomized-controlled trials for preventing necrotizing enterocolitis in preterm infants. Neonatology 13:1–11, 2019. doi: 10.1159/000504371

Wichtige Punkte

  • Eine Nekrotisierende Enterokolitis (NEC) ist eine intestinale Nekrose unbekannter Ätiologie; sie tritt vor allem bei Frühgeborenen oder kranken Neugeborenen auf, nachdem enterale Fütterungen begonnen wurden.

  • Zu den Komplikationen gehören Darmdurchbruch (meist im terminalen Ileum) und Peritonitis; Sepsis tritt bei 20-30% auf und es kann zum Tod bei 20% kommen.

  • Die anfänglichen Manifestationen sind Fütterungsprobleme und blutige oder gallige Magenreste (nach Fütterung), gefolgt von galligem Erbrechen, Darmverschluss mit Bauchauftreibung und/oder sichtbaren Blutbeimengungen im Stuhl.

  • Die Diagnose wird mit einfachen Röntgenstrahlen gestellt.

  • Eine supportive Behandlung mit Volumenersatz, Nasensondenabsaugung, Breitspektrum-Antibiotika und totaler parenteraler Ernährung ist in > 75% der Fälle wirksam.

  • Eine Operation zum Herausschneiden eines brandigen Darms und eine Perforationsbehandlung werden bei < 25% der Säuglinge benötigt.