Wirksamkeit und Sicherheit von Medikamenten

VonShalini S. Lynch, PharmD, University of California San Francisco School of Pharmacy
Überprüft/überarbeitet Mai 2022
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Ein Arzneimittel (bzw. jede medizinische Behandlung) sollte selbstverständlich nur gegeben werden, wenn es dem Patienten nutzt. Bei der Bewertung des Nutzens geht sowohl die Eigenschaft des Arzneimittels, die gewünschte Wirkung (Wirksamkeit) zu erzielen, als auch die Art und die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von unerwünschten Wirkungen (Sicherheit) ein. Kosten und Nutzen werden normalerweise gegeneinander abgewogen (siehe Wirtschaftliche Analyse als Teil der klinischen Entscheidungsfindung).

Wirksamkeit und Effektivität

  • Wirksamkeit (Wirkungsvermögen) ist das Vermögen, einen therapeutischen Effekt zu erzielen (z. B. Blutdrucksenkung).

Das Wirkungsvermögen kann nur unter idealen Bedingungen genau beurteilt werden (d. h., wenn die Patienten durch geeignete Kriterien ausgewählt werden und sich exakt an die Dosierungsvorgaben halten) (Wirksamkeit unter besonderen kontrollierten Bedingungen). So wird das Wirkungsvermögen unter fachkundiger Aufsicht in einem Patientenkollektiv gemessen, das am wahrscheinlichsten auf ein Arzneimittel reagiert, wie z. B. in einer kontrollierten klinischen Studie.

  • Die Effektivität (Wirksamkeit unter Alltagsbedingungen) berücksichtigt im Gegensatz zum Wirkungsvermögen, wie gut ein Arzneimittel im klinischen Alltag ist

Häufig ist ein Medikament, das in klinischen Studien wirksam ist, in der tatsächlichen Anwendung nicht sehr effektiv. Zum Beispiel kann ein Arzneimittel sehr wirksam den Blutdruck senken, könnte aber im Alltag weniger geeignet (effektiv) sein, weil durch die zahlreichen Nebenwirkungen die Patienten das Arzneimittel absetzen. Auch wenn Ärzte versehentlich ungeeignete Arzneimittel verschreiben, kann die Effektivität (Alltagswirksamkeit) geringer als das Wirkungsvermögen sein (z. B. bei Verabreichung eines fibrinolytischen Arzneimittels bei einem Patienten mit Verdacht auf ischämischen Schlaganfall, bei dem aber eine Hirnblutung im CT nicht erkannt wurde). Somit wird meist die Wirksamkeit im Alltag geringer sein als die Wirksamkeit unter kontrollierten Bedingungen (Wirkungsvermögen).

Anstelle von Surrogat- oder Zwischenendpunkten sollten klinische Endpunkte herangezogen werden, um das Wirkungsvermögen und die Effektivität zu beurteilen.

Klinische Endpunkte

Klinische Endpunkte sind diejenigen, die das Befinden des Patienten beeinflussen. Sie umfassen einen oder mehrere der folgenden Punkte:

  • Verlängerung der Überlebensdauer

  • Verbesserung der Funktionen (z. B. Vermeidung einer Behinderung)

  • Linderung der Symptome

Surrogat-Endpunkte

  • Surrogat- oder Zwischenendpunkte beinhalten Eigenschaften, die nicht direkt das Befinden des Patienten betreffen

Häufig handelt es sich dabei um physiologische Parameter (z. B. Blutdruck) oder Messwerte (z. B. Glukose- oder Cholesterinwert, Tumorgröße auf einem CT-Scan), von denen man annimmt, dass die das tatsächliche patientenorientierte Outcome vorhersagen. Zum Beispiel gehen Ärzte typischerweise davon aus, dass die Senkung des Blutdrucks den klinischen Endpunkt einer unkontrollierten Hypertonie (z. B. Tod als Folge eines Myokardinfarkts oder Schlaganfalls) verhindert. Es kann jedoch auch sein, dass ein Arzneimittel zwar den Blutdruck, aber nicht die Sterberate senkt, weil es unter Umständen tödliche Nebenwirkungen hat. Wenn das Surrogat vielmehr ein Marker (z. B. HbA1c) als eine Ursache der Erkrankung (z. B. Bluthochdruck) ist, könnte eine Intervention den Marker zwar senken, was aber keine Auswirkung auf die zugrunde liegende Erkrankung hat. Somit sind Surrogat-Endpunkte weniger gut geeignete Kriterien für die Bewertung der Wirksamkeit als klinische Endpunkte.

Dagegen können Surrogat-Endpunkte deutlich praktikabler sein, zum Beispiel, wenn klinische Endpunkte sehr selten oder erst über einen langen Zeitraum auftreten (z. B. Nierenversagen infolge unkontrollierter Hypertonie). In diesen Fällen müssten klinische Studien sehr umfangreich und über einen langen Zeitraum durchgeführt werden, es sei denn, es wird ein Surrogat (z. B. Senkung des Blutdrucks) verwendet. Darüber hinaus sind die wichtigsten klinischen Endpunkte, Tod und Invalidität, dichotom (d. h. ja/nein), während Surrogat-Endpunkte meist kontinuierliche und numerische Variablen (z. B. Blutdruck, Blutzucker) sind. Im Gegensatz zu dichotomen Ereignissen geben numerische Variablen einen Hinweis auf die Größe eines Effekts hin. Somit liefern Surrogat-Endpunkte oft deutlich mehr Daten für die Auswertung als klinische Endpunkte, sodass klinische Studien mit einem geringeren Patientenkollektiv durchgeführt werden können.

Allerdings sollten idealerweise die Surrogat-Endpunkte mit den klinischen Endpunkten korrelieren. Es gibt zahlreiche Studien, bei denen eine solche Korrelation scheinbar gegeben ist, aber nicht wirklich vorhanden war. Beispielsweise führt die Behandlung mit Östrogen und Progesteron bei manchen postmenopausalen Frauen zu einem günstigeren Lipidprofil, geht aber nicht einher mit einer entsprechenden Senkung des Risikos eines Myokardinfarkts oder Herztods. Ebenso führt eine Blutzuckersenkung auf etwa normale Werte bei Diabetespatienten auf der Intensivstation zu einer höheren Mortalität und Morbidität (eventuell durch eine auftretende Hypoglykämie) als bei Patienten, bei denen der Blutzucker nicht ganz so tief gesenkt wurde. Einige orale Antidiabetika senken den Blutzucker, einschließlich des HbA1C-Wertes, verringern aber nicht das Risiko für kardiale Ereignisse. Manche Antihypertensiva senken zwar den Blutdruck, verringern aber nicht das Risiko für einen Schlaganfall.

Nebenwirkungen

Klinisch relevante Nebenwirkungen stellen ebenfalls klinische Endpunkte dar; zum Beispiele:

  • Sterben

  • Disability – neurologischer Status

  • Beschwerden

Das Surrogat Nebenwirkungen (z. B. Veränderung in der Konzentrationen von Serummarkern) wird oft verwendet, aber wie bei dem Surrogat Wirksamkeit (Wirkungsvermögen) sollte es idealerweise mit den klinischen Nebenwirkungen korrelieren. Klinische Studien, die sorgfältig konzipiert wurden, um die Wirksamkeit nachzuweisen, können immer dann Nebenwirkungen schwierig erkennen, wenn die Nebenwirkung sehr selten auftritt oder die Zeit bis zum Auftreten der Nebenwirkungen länger ist als bis zum Nachweis der Wirksamkeit. Da beispielsweise Cyclooxygenase-2-Inhibitoren (COX-2-Hemmer) Schmerzen schnell lindern, kann ihre Wirksamkeit in einer vergleichsweise kurzen Studie nachgewiesen werden. Jedoch zeigt sich die bei einigen COX-2-Hemmern erhöhte Inzidenz für Myokardinfarkt erst über einen längeren Zeitraum und ist nicht in kürzeren, kleineren Studien ersichtlich. Aus diesem Grund, und weil klinische Studien bestimmte Patientengruppen und Hoch-Risiko-Patienten ausschließen können, sind unerwünschte Wirkungen nicht vollständig bei Markteinführung bekannt, sondern können sich in der breiten klinischen Anwendung erst nach Jahren zeigen (siehe Arzneimittelentwicklung).

Viele unerwünschte Arzneimittelwirkungen sind dosisabhängig.

Ausgewogenheit zwischen Nutzen und Nebenwirkungen von Arzneimitteln

Ob ein Arzneimittel indiziert ist, hängt von der Nutzen-Risiko-Abwägung ab. Bei diesen Bewertungen fließen bei Ärzten oft subjektive Faktoren ein, wie persönliche Erfahrungen, Erzählungen, Erfahrungen von Kollegen und Expertenmeinungen.

Die Anzahl der notwendigen Behandlungen (number needed to treat, NNT) ist ein objektiverer Faktor für den wahrscheinlichen Nutzen eines Arzneimittels (oder jede andere Intervention). Die Anzahl der notwendigen Behandlungen ist die Zahl der Patienten, die behandelt werden müssen, damit ein Patient von der Behandlung profitiert. Wenn zum Beispiel ein Arzneimittel die Mortalität einer Krankheit von 10% auf 5% verringert, liegt eine absolute Risikoreduktion von 5% (1 von 20) vor. Das bedeutet, dass von 100 Patienten 90 auch ohne Behandlung überleben und somit nicht von dem Arzneimittel profitieren würden. Und 5 von 100 Patienten werden sterben, obwohl sie das Arzneimittel nehmen. Aber nur 5 von 100 Patienten (1 von 20) profitieren von der Einnahme des Arzneimittels; das heißt, es müssen 20 Patienten behandelt werden, damit ein Patient ein Nutzen von der Behandlung hat, die NNT ist 20. Die Anzahl der notwendigen Behandlungen kann einfach als Kehrwert der absoluten Risikoreduktion berechnet werden; z. B. die absolute Risikoreduktion beträgt 5% (0,05), NNT = 1/0,05 = 20. Die Anzahl der notwendigen Behandlungen kann auch zur Berechnung von Nebenwirkungen verwendet werden, wobei dann von der number needed to harm (NNH) gesprochen wird, also der Anzahl der zu behandelnden Patienten, die notwendig sind, um eine unerwünschte Nebenwirkung zu erhalten.

Wichtig ist, dass die Anzahl der notwendigen Behandlungen auf der absoluten Risikoveränderung basiert, sie kann nicht aus einer Veränderung des relativen Risikos berechnet werden. Das relative Risiko ist die proportionale Differenz zwischen zwei Risikostufen. Beispielsweise hat ein Arzneimittel, das die Sterblichkeit von 10% auf 5% senkt, eine absolute Mortalitätsreduktion um 5%, die relative Mortalität nimmt aber um 50% ab (d. h. bei einer Mortalität von 5% treten 50% weniger Todesfälle auf als bei einer Mortalität von 10%). In den meisten Fällen beziehen sich die Angaben in der Literatur auf die relative Risikoreduktion, da dadurch ein Arzneimittel wirksamer erscheint als bei der absoluten Risikoreduktion (im genannten Beispiel hört sich eine Reduktion der Mortalität um 50% viel besser als eine Reduktion um 5%). Im Gegensatz dazu werden Nebenwirkungen häufig als absolute Risikozunahme dargestellt, da sie ein Arzneimittel sicherer erscheinen lassen. Wenn zum Beispiel ein Arzneimittel die Inzidenz an Blutungen von 0,1% auf 1% erhöht, wird eher von einer Zunahme von 0,9% als von 1000% berichtet.

Tipps und Risiken

  • Die Anzahl der notwendigen Behandlungen (NNT) sollte anhand der absoluten und das Risiko anhand relativen Veränderung berechnet werden.

Werden NNT und NNH gegenüber gestellt, ist es wichtig, den Umfang des spezifischen Nutzens und des möglichen Schadens abwägen. Zum Beispiel kann es sinnvoll sein, ein Arzneimittel, das deutlich mehr Nebenwirkungen als Nutzen hat, dennoch zu verschreiben, wenn diese schädigenden Wirkungen von geringer Bedeutung sind (z. B. reversibel, schwach), dagegen der Nutzen aber entscheidend ist (z. B. Prävention der Mortalität und Morbidität). In jedem Fall sind die klinischen Endpunkte am besten geeignet.

Es werden zunehmend Patientengruppen mithilfe des genetischen Profilings identifiziert, die besser auf bestimmte Arzneimittel hinsichtlich Nutzen und Nebenwirkungen ansprechen. So können beispielsweise Brustkrebspatienten auf den genetischen Marker HER2 getestet werden, der eine Vorhersage über die Wirkung bestimmter Chemotherapeutika erlaubt. Patienten mit HIV/AIDS können auf das Allel humanes Leukozytenantigen-B*57:01 getestet werden, was Auskunft über eine etwaige Überempfindlichkeit gegenüber Abacavir gibt; dadurch verringert sich die Inzidenz von Hypersensitivitätsreaktionen und erhöht sich die NNH. Genetische Varianten bei Arzneimittel-metabolisierenden Enzymen erlauben eine Vorhersage, wie Patienten auf Arzneimittel reagieren (siehe Pharmakogenetik); sie beeinflussen oft die Wahrscheinlichkeit des Nutzens, der schädigenden Wirkung oder beidem.

Therapeutischer Index

Ein Ziel bei der Arzneimittelentwicklung ist es, ein möglichst großer Abstand zwischen der therapeutischen Dosis und der Dosis, die Nebenwirkungen verursacht, zu haben. Ein großer Abstand wird als große therapeutische Breite, therapeutisches Verhältnis oder therapeutisches Fenster bezeichnet. Wenn der therapeutische Index gering ist (z. B. < 2), können Faktoren, die normalerweise klinisch unbedeutend sind (z. B. Lebensmittel-Arzneimittel-Wechselwirkungen, Arzneimittel-Arzneimittel-Wechselwirkungen, kleinere Fehler in Dosierung) schädigende klinische Folgen haben. Zum Beispiel hat Warfarin einen geringen therapeutischen Index und interagiert mit zahlreichen Arzneimitteln und Lebensmitteln. Eine unzureichende Antikoagulation erhöht das Komplikationsrisiko einer Erkrankung, die mit Antikoagulanzien behandelt wird (z. B. erhöhtes Schlaganfallrisiko bei Vorhofflimmern), während eine übermäßige Antikoagulation das Blutungsrisiko erhöht.