Wirtschaftliche Analyse als Teil der klinischen Entscheidungsfindung

VonBrian F. Mandell, MD, PhD, Cleveland Clinic Lerner College of Medicine at Case Western Reserve University
Überprüft/überarbeitet Juli 2024
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Angesichts begrenzter gesellschaftlicher und personeller Ressourcen und Restriktionen der Krankenversicherungen sind Kostenüberlegungen in klinischen Entscheidungen zunehmend wichtiger geworden. Begrenzte Ressourcen sollte nicht verschwendet werden, ihre Zuteilung hängt von einer genauen Kenntnis über die verschiedenen Pflegekosten ab.

Kosten bei der klinischen Entscheidungsfindung

Welche Elemente in sie einfließen, wird oft vom Gesichtspunkt der Analyse bestimmt. Unterschiedliche Gesichtspunkte führen oft zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen darüber, welche Kosten und Folgen betrachtet werden sollen.

  • Dienstleister (z. B. praktizierende Ärzte, Institutionen) betrachten in der Regel nur die Kosten innerhalb der Organisation (z. B. Personal-, Liefer-, Betriebskosten).

  • Kostenerstatter (z. B. Versicherungen) betrachten nur die Kosten, die sie erstatten müssen.

  • Patienten betrachten eigene Ausgaben (z. B. Kosten für die Versicherung, Selbstbeteiligungen, Transport, Parkplatz) und das entgangene Einkommen (für sich und ihre Familie).

Aus gesellschaftlicher Sicht werden alle diese Kosten zusammengezählt mit den Kosten für die verlorene Produktivität und den Kosten für die Behandlung anderer Krankheiten (iatrogene und natürlich vorkommende), die sich bei Patienten durch die Behandlung oder in der Rekonvaleszenz entwickeln können. Noch Jahre nach Ausheilung eines Lymphoms könnte sich z. B. bei einem jungen Mann eine Leukämie oder koronare Herzkrankheit entwickeln. Die Kostenanalyse eines Screening-Programms muss auch die Kosten der Rechtsverfolgung falsch-positiver Ergebnisse einbeziehen, welche bei einem Screeningtest für eine Krankheit mit einer niedrigen Prävalenz oft die Kosten für die Bewertung und Behandlung von Patienten, die tatsächlich die Krankheit sind, übersteigen.

Marginalkosten

Marginalkosten sind die Kosten für die Verwendung (oder das Vorenthalten) einer zusätzlichen Serviceeinheit. Diese Kosten gehören oft zu den wichtigsten Faktoren für die Entscheidungsfindung eines einzelnen Arztes und unterscheiden sich von den Kosten, die allgemein für diese Dienstleistung angesetzt werden. Zum Beispiel kann ein Krankenhaus festgestellt haben, dass die Anfertigung einer Thorax-Röntgenaufnahme $ 50 kostet. Ein klinisches Protokoll, das Patienten besser identifiziert, die einen Röntgenthorax benötigen, könnte zwar zu weniger Röntgenaufnahmen pro Tag führen (ohne eine Veränderung der Resultate), es würde aber zu keiner wirklichen Einsparung von $ 50 für das Krankenhaus führen, denn die Personal- und Betriebskosten blieben unverändert, nur der Aufwand für einen Röntgenfilm würde entfallen. Die Marginalkosten der Thoraxröntgenaufnahmen wären dann die Kosten für die Röntgenfilme, und da diese mehr und mehr durch digitale Techniken abgelöst werden, fallen selbst diese weg. Es sollte beachtet werden, dass die Marginalkosten mit der Menge variiert. Das Hinzufügen oder das Zurückhalten einer größeren Anzahl von Röntgenaufnahmen würde irgendwann eine personelle Veränderung und einen Abbau der Röntgengeräte zur Folge haben, was wieder zu anderen Marginalkosten führen würde. Darüber hinaus sind die Marginalkosten für die verschiedenen Kostenträger und Patienten verschieden; das Vorenthalten eines Röntgenthorax würde den Kostenträgern eine Menge sparen, eine Menge die weit höher als die Marginalkosten des Krankenhauses sind. Die Patienten würden die Kosten für ihre Zuzahlung, falls vorhanden, sparen.

Ergebnis

Der Nutzen der medizinischen Versorgung wird an den Ergebnissen gemessen. Ergebnisse sind z. B.

  • Patientenbezogen

  • Prozessbezogen

  • Krankheitsbezogen

Patientenorientierte Ergebnisse können auf einen der folgenden Punkte reduziert werden:

  • Sterben

  • Behinderung

  • Beschwerden (körperlich oder emotional)

Patientenbezogene Ergebnisse sind unumstritten die wichtigsten.

Prozessverbesserungen (z. B. Verkürzung der Zeit bis zur Verabreichung von Antibiotika oder bis zum Operationssaal) oder Verbesserungen bei Krankheitsmanifestationen (z. B. Verkleinerung des Tumors, Verbesserung der O2-Sättigung), die nicht die Mortalität, die Behinderung oder die Beschwerden verringern, können kaum als Nutzen für den Patienten angesehen werden. So wurde zum Beispiel Lidocain vor Jahren routinemäßig bei Patienten mit Myokardinfarkt verabreicht, da es bekannt war, dass es das Auftreten von Kammerflimmern reduzieren und somit den Krankheitsverlauf verbessern kann. Die Lidocainbehandlung wurde über viele Jahre fortgeführt, bevor Studien zeigten, dass es die Mortalität nicht verringert hat und somit den Kranheitsverlauf nicht verbessert. Daraufhin wurde die Lidocainbehandlung bei MI eingestellt.

Quality-adjusted life year (QALY)

Eine Veränderung der Mortalitätsraten ist das probateste Mittel, einen Einfluss auf die Mortalität zu bewerten. Bei komplexeren Analysen werden Tod und Invalidität oft in Kombination als qualitätsabhängiges Lebensjahr (life year, QALY) ausgewertet. Die Behandlung, die dazu führt, dass es ein zusätzliches Lebensjahr bei 100% der normalen Funktionsweise gibt, wird mit 1 QALY bewertet, die Behandlung, die zu einem zusätzlichen Lebensjahr bei nur 75% der normalen Funktionsweise führt, wird mit 0,75 QALY bewertet.

QALY ist schwieriger für Beschwerden anzuwenden, aber einige glauben, dass es durch den Zeitkompromiss abgeschätzt werden kann: Eine Person schätzt, wie viele Jahre mit Beschwerden gegenüber einem kürzeren Zeitraum mit perfekter Gesundheit gerade noch akzeptabel wäre. Wenn zum Beispiel eine Person 9 Jahre Gesundheit den 10 Jahren mit chronischen Schmerzen vorziehen würde (aber die 10 Jahre mit Schmerzen nur 8 Jahren Leben vorziehen würde), dann wird jedes Lebensjahr mit diesen besonderen Schmerzen mit 9:10 = 0,9 QALY bewertet. Alle diese QALY-Schätzungen sind etwas problematisch, weil die Menschen in Bezug auf Risikotoleranz und Akzeptanz verschiedener Resultate stark unterschiedlich sind.

Anzahl der notwendigen Behandlungen

Der Wert, die benötigt ist, um zu behandeln (NNT) oder der Schaden ist ein weiterer Weg, um das Resultat der Patienten zu quantifizieren; NNT ist der Kehrwert der absoluten Veränderung eines dichotomen Ergebnisses (Tod, Invalidität). Wenn ein Medikament also einen 3%igen Rückgang der Sterblichkeit, bewirkt, müssen 1:0,03 = 33,3 Patienten behandelt werden, um einen einzigen Todesfall zu verhindern.

Die Zahl, die für eine Schädigung notwendig ist, ist ähnlich. Daher gilt für ein Medikament, das bei 8% der Patienten eine Leukopenie verursacht, dass 1:0,08 oder 12,5 Patienten behandelt werden müssen, um einer Person zu schaden. Zeigt eine andere Methode, von 12,5 behandelten Personen, wird 1 Person geschädigt.

Die Angemessenheit des NNT ist klarer, wenn die Sterblichkeit mit schwachen schädlichen Auswirkungen einer Behandlung verglichen wird. Sie wird undeutlicher, wenn die Reduktion bei einer bestimmten Morbidität mit einer schwerwiegenden unerwünschten Wirkung verglichen wird. Aus der Sicht des Arztes kann es jedoch ein sehr nützliches Werkzeug sein, um dem Patienten das Nutzen-Risiko-Verhältnis der Behandlung zu erklären.

Da die NNT von der absoluten Veränderung abgeleitet ist, im Gegensatz zur relativen Veränderung, ist sie für einen bestimmten Patienten klinisch relevanter. Eine Behandlung, die die Sterblichkeit von 2% auf 1% reduziert, verringert beispielsweise die relative Sterblichkeit um 50%, die absolute Sterblichkeit jedoch nur um 1%. Dies ist leicht zu erkennen, wenn man eine NNT von 1/0,01 = 100 Behandlungen zur Verhinderung eines Todesfalls zugrunde legt. Das Konzept der relativen Veränderung ist eher für die Hypothesenprüfung (Nachweis der Wirksamkeit einer Therapie) relevant als für einen einzelnen Patienten.

Klinisch vs. statistisch signifikantes Outcome

Selbst wenn geeignete Outcome-Messungen verwendet und korrekt analysiert werden, ist es von entscheidender Bedeutung zu beachten, dass ein statistisch signifikantes Outcome in einer klinischen Studie (d. h. mit einem hervorragenden p-Wert) nicht unbedingt klinisch signifikant für einen Patienten ist. Die statistische Signifikanz hängt in hohem Maße von der Stichprobengröße ab; bei einer ausreichend großen Stichprobe könnte ein minimaler Unterschied ohne klinische Bedeutung für einen Patienten (z. B. eine Verkürzung der Dauer der Symptome einer Infektion der oberen Atemwege von 7 auf 6,5 Tage) durchaus statistisch signifikant sein. Das Ausmaß des Unterschieds zwischen zwei Gruppen in einer klinischen Studie wird als Effektgröße bezeichnet; wie im obigen Beispiel kann eine Effektgröße klein, aber dennoch statistisch hoch signifikant sein.

Kosten-Nutzen-Analyse in der klinischen Entscheidungsfindung

Eine einfache Analyse der wirtschaftlichen Folgen der Ergebnisse (Kosten-Nutzen-Rechnung) beruht auf Annahmen über den wahrgenommenen Geldwert einer längeren Lebensdauer und einer besseren Gesundheit. Solche Annahmen sind oft fragwürdig und komplex. Auch wenn solche Analysen feststellen können, ob eine bestimmte Strategie Kosten spart oder die Nettoausgaben vorhandener Ressourcen erhöht, zeigen sie nicht an, ob diese Ausgaben lohnenswert sind.

Bei Kosten-Nutzen-Analysen werden die medizinischen Kosten und Auswirkungen auf die Gesundheit getrennt untersucht. Beide Effektmaße können stark von Perspektive und Dauer der Analyse sowie von zugrunde liegenden Annahmen beeinflusst werden. Aus dem Vergleich der Kosten und gesundheitlichen Folgen von zwei Behandlungsstrategien ergibt sich eine von neun möglichen Beziehungen (siehe Tabelle Kosten-Nutzen-Vergleich von Managmentstrategien A und B). Sind die gesundheitlichen Folgen beider Behandlungen gleichwertig (mittlere Spalte), sollte sich die Wahl an den Kosten orientieren, und wenn die Kosten gleich hoch sind (mittlere Zeile), sollte sich die Wahl am Therapieerfolg (Outcome) ausrichten. Wenn eine Behandlungsstrategie besseren Erfolg hat und kostengünstiger ist (oben rechts und unten links), ist die Entscheidung eindeutig. Schwierig wird die Entscheidung nur, wenn eine Behandlung zwar teurer ist, aber auch zu besseren Ergebnissen führt (oben links und unten rechts). In solchen Fällen sollte das Verhältnis von Marginalkosten zum Nutzen analysiert werden.

Tabelle
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Marginalkosten-Nutzen-Verhältnis

Das Marginalkosten-Nutzen-Verhältnis sind die zusätzlichen Kosten einer Strategie geteilt durch das zusätzliche Gesundheitsergebnis, das es erreicht. Dies betrifft die Situationen, wo es eine Wahl zwischen 2 effektiven Behandlungsstrategien gibt. Eine größere Gesundheitsverbesserung bei einer bestimmten Ausgabe kann errechnet werden, wenn die Rate niedriger ist.

Bei wirtschaftspolitischen Analysen ist die Methode, die am häufigsten verwendet wird, die QUALY, sodass die Einheiten des entsprechenden Marginalkosten-Nutzen-Verhältnisses in Verbindung mit Kostenersparnissen gebracht werden. Allerdings wurde das Marginalkosten-Nutzen-Verhältnis als Methode kritisiert, weil ältere Patienten oder Patienten mit lebensbedrohlichen Begleiterkrankungen einen kleineren potenziellen Gewinn beim Überleben nach einer Behandlung haben und daher ein höheres (weniger vorteilhaftes) Kosten-Nutzen-Verhältnis aufweisen.

Ziehen wir z. B. (siehe Tabelle Berechnung eines Marginalkosten-Nutzen-Verhältnisses, Analysis 1), für Patienten, die mehrere Monate nach einem akuten Vorderwandinfarkt überlebt haben und bei denen die Auswurffraktion leicht erniedrigt (zwischen 0,3 und 0,4) ist, z. B. eine konventionelle Behandlung (ohne Antiarrhythmika) oder die prophylaktische Anwendung eines implantierbaren Kardioverter-Defibrillators (ICD) als Möglichkeiten in Betracht. (Alle Zahlen und Kosten in diesem Beispiel sind hypothetisch und dienen nur zur Veranschaulichung.) Beide Strategien haben einen ähnlichen Kostenaufwand ($78.300), aber die Behandlung mit einem Defibrillator verursacht zusätzliche Marginalkosten von $53.100, wegen der Material- und Personalkosten, der Kosten durch die stationäre Aufnahme und die weitere medizinische Betreuung (z. B. Arztbesuche, Labortests, Medikamente, erneute Krankenhausaufenthalte bei Komplikationen und bei der Erneuerung des Gerätes oder der Batterien). Wenn Patienten mit einem implantierten Defibrillator eine leicht erhöhte Lebenserwartung (7,87 vs 7,42 QALY) haben, ist die marginale Wirksamkeit der ICD-Therapie 7,87 7,42 = 0,45 QALY. Somit verbessert ein prophylaktischer Defibrillator das Überleben im Vergleich zu keiner antiarrhythmischen Therapie zu einem Preis von 53.100 $/0,45 QALY oder 118.000 $/QALY.

Angenommen, es gäbe noch eine dritte prophylaktische Behandlungsstrategie mit Amiodaron, die billiger, aber auch weniger wirksam als ein Defibrillator ist. Der Effekt der dieser dritten Möglichkeit für die Analyse ist bemerkenswert, weil Marginalkosten-Nutzen-Verhältnisse sequenziell berechnet werden, wenn es mehrere Möglichkeiten gibt (siehe Tabelle Berechnung eines Marginalkosten-Nutzen-Verhältnisses, Analyse 2). Das Marginalkosten-Nutzen-Verhältnis von Amiodaron ist niedriger (68.519 $/QALY) als die für einen Defibrillator wie im vorherigen Beispiel berechnet, und auch deswegen, weil der Nutzen eines Defibrillators jetzt mit dem Nutzen durch Amiodaron verglichen wird. Die zusätzliche Möglichkeit erhöht das Marginalkosten-Nutzen-Verhältnis des Defibrillators auf $ 118.000 bis hin zu $ 192.222/QALY. Aufgrund dieser Analyse erscheint es naheliegend, dass eine teure Defibrillatortherapie ausschließlich Personengruppen vorbehalten sein sollte, bei denen sie voraussichtlich den größten gesundheitlichen Nutzen erbringt. Es lohnt sich daher, solche Personengruppen zu identifizieren.

Tabelle
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