Tinnitus

VonDavid M. Kaylie, MS, MD, Duke University Medical Center
Überprüft/überarbeitet Dez. 2022
Aussicht hier klicken.

Bei Tinnitus handelt es sich um Geräusche in den Ohren. Rund 10–15% der Bevölkerung haben bereits einen Tinnitus erlebt.

Als subjektiver Tinnitus wird die Wahrnehmung von Tönen ohne akustischen Reiz bezeichnet, die nur für den Patienten hörbar sind. In den meisten Fällen ist der Tinnitus subjektiv.

Ein objektiver Tinnitus ist ungewöhnlich und das Resultat von Geräuschen, die durch Strukturen in Ohrnähe erzeugt werden. Manchmal ist ein Tinnitus laut genug, um für den Untersucher hörbar zu sein.

Merkmale

Ein Tinnitus kann als Summen, Klingeln, Dröhnen, Pfeifen oder Zischen in den Ohren beschrieben werden, das sich manchmal verändert und komplexer wird. Ein objektiver Tinnitus ist typischerweise pulsierend (synchron mit dem Herzschlag) oder intermittierend. Ein Tinnitus ist am deutlichsten wahrnehmbar in ruhiger Umgebung und in Abwesenheit von störenden Reizen, weshalb er sich häufig vor dem Schlafengehen verschlimmert.

Er kann intermittierend oder kontinuierlich sein. Anhaltender Tinnitus ist bestenfalls nur lästig, oft aber ziemlich entnervend. Manche Patienten gewöhnen sich besser an den Zustand als andere; gelegentlich kann es zu Depressionen kommen. Durch Stress verstärkt sich der Tinnitus im Allgemeinen.

Pathophysiologie des Tinnitus

Vom subjektiven Tinnitus wird angenommen, dass er durch abnorme neuronale Aktivität im auditorischen Kortex verursacht ist. Zu solcher Aktivität kommt es, wenn der Input über die Hörbahn (Hörschnecke, Hörnerv, Kerne im Hirnstamm, auditorischer Kortex) gestört ist oder in irgendeiner Weise verändert wird. Diese Störung kann zum Verlust der Unterdrückung der inneren kortikalen Aktivität und vielleicht zur Schaffung von neuen neuronalen Verbindungen führen. Einige glauben, das Phänomen sei ähnlich der Entwicklung von Phantomschmerz nach einer Amputation. Eine Schallleitungsschwerhörigkeit (z. B. verursacht durch einen Zeruminalpfropf, eine Otitis media oder Funktionsstörungen der Tuba Eustachii) kann auch mit subjektivem Tinnitus assoziiert sein, indem der Geräuschinput zum zentralen auditorischen System verändert wird.

Ein objektiver Tinnitus steht für das tatsächlich vorhandene Rauschen, das durch physiologische Phänomene in der Nähe des Mittelohrs erzeugt wird. In der Regel stammt das Rauschen aus den Blutgefäßen, entweder von normalen Gefäßen unter Bedingungen erhöhter oder turbulenter Strömung (z. B. verursacht durch Arteriosklerose) oder von anomalen Gefäßen (z. B. bei Tumoren oder Gefäßfehlbildungen). Gelegentlich verursachen Muskelkrämpfe oder eine Myoklonie der Gaumenmuskeln oder von Muskeln im Mittelohr (M. stapedius, M. tensor tympani) Klickgeräusche.

Ätiologie des Tinnitus

Die Ursachen können danach eingeteilt werden, ob sie zu einem subjektiven oder einem objektiven Tinnitus führen (siehe Tabelle Ursachen von Tinnitus).

Subjektiver Tinnitus

Zu einem subjektiven Tinnitus kann fast jede die Hörbahn betreffende Störung führen.

Am häufigsten sind Störungen, die mit einer Schallempfindungsschwerhörigkeit einhergehen, insbesondere

Infektionen und Zentralnervensystem-Läsionen (z. B. verursacht durch Tumor, Schlaganfall, multiple Sklerose), die die Hörbahn betreffen, können ebenfalls ursächlich sein.

Auch Störungen, die zu Schallleitungsschwerhörigkeit führen, können Tinnitus verursachen. Hierzu zählen Verlegung des Gehörgangs durch Zerumen, ein Fremdkörper oder eine externe Otitis. Otitis media, Barotrauma, Funktionsstörungen der Tuba Eustachii und Otosklerose können ebenfalls mit Tinnitus assoziiert sein.

Bei einigen Patienten wird eine Dysfunktion des Kiefergelenks mit Tinnitus in Verbindung gebracht.

Objektiver Tinnitus

Ein objektiver Tinnitus umfasst in der Regel die vaskulären Strömungsgeräusche, die einen hörbaren pulsierenden Ton synchron mit dem Puls verursachen. Ursachen sind:

  • turbulente Strömung durch die Karotisarterie oder Jugularvene

  • gefäßreiche Tumoren im Mittelohr

  • arteriovenöse Malformationen (AVM) der Dura mater

Muskelkrämpfe oder eine Myoklonie der Gaumenmuskeln oder jener des Mittelohrs (M. stapedius, M. tensor tympani) können ein wahrnehmbares Geräusch verursachen, in der Regel ein rhythmisches Klicken. Solche Krämpfe können idiopathisch oder durch Tumoren, Schädeltrauma sowie infektiöse oder demyelinisierende Erkrankungen (z. B. multiple Sklerose) verursacht sein. Eine palatale Myoklonie führt zu einer sichtbaren Bewegung des Gaumens und/oder Trommelfells, die mit dem Tinnitus übereinstimmt.

Tabelle
Tabelle

Untersuchung von Tinnitus

Anamnese

Die Anamnese des Krankheitsverlaufs sollte die Dauer des Tinnitus beachten, ob er ein- oder beidseitig auftritt und ob es sich um einen konstanten oder intermittierenden Ton handelt. Wenn intermittierend, sollte der Arzt bestimmen, ob er regelmäßig ist und ob er etwa der Pulsfrequenz entspricht oder sporadisch auftritt. Jegliche Exazerbation oder lindernde Faktoren (z. B. Schlucken, Kopfposition) sind zu beachten. Wichtige assoziierte Symptome sind Schwerhörigkeit, Schwindel, Ohrenschmerzen und Ohrausfluss.

Bei der Anamneserehebung sollte nach Symptomen möglicher Ursachen gesucht werden, einschließlich Diplopie und Schwierigkeiten beim Schlucken oder Sprechen (Läsionen des Hirnstamms) sowie fokale Schwäche und sensorische Veränderungen (periphere Nervenstörungen, einschließlich einer Funktionsstörung des 8. Hirnnervs). Die Auswirkungen des Tinnitus auf den Patienten sollten ebenfalls eingeschätzt werden. Ob der Tinnitus ausreichend belastend ist, um Angst, Depression oder Schlaflosigkeit zu verursachen, sollte vermerkt werden.

Die Anamnese sollte nach Risikofaktoren für Tinnitus fragen, einschließlich der Exposition gegenüber Lärm, plötzlicher Druckveränderung (beim Tauchen oder auf Flugreisen), Ohr- oder Zentralnervensystem-Infektionen in der Vorgeschichte oder Traumata, Bestrahlung des Kopfes sowie kürzlich eingetretenem Gewichtsverlust (Gefahr der Dysfunktion der Tuba Eustachii). Die Anwendung von Medikamenten sollte ermittelt werden, insbesondere von Salicylaten, Aminoglykosiden oder Schleifendiuretika.

Körperliche Untersuchung

Bei den klinischen Untersuchungen stehen das Ohr und das Nervensystem im Mittelpunkt.

Der Gehörgang sollte auf Ausfluss, Fremdkörper und Zerumen inspiziert werden. Das Trommelfell sollte auf Anzeichen für eine akute Infektion (z. B. Rötung, Vorwölbung), eine chronische Infektion (z. B. Perforation, Cholesteatom) und einen Tumor (rote oder bläuliche Masse) untersucht werden. Es sollte ein Hörtest am Krankenbett durchgeführt werden, einschließlich Weber- und Rinne-Tests mit einer 512-Hz-Stimmgabel.

Die Hirnnerven, inbesondere die vestibuläre Funktion (siehe Benommenheit und Schwindel), werden ebenso überprüft wie periphere Motorik, Sensorik und Reflexe. Ein Stethoskop wird verwendet, um ein vaskuläres Rauschen im Verlauf von Karotisarterie und Jugularvene sowie über und neben dem Ohr festzustellen.

Warnzeichen

Die folgenden Befunde sind von besonderer Bedeutung:

  • Gefäßgeräusch, insbesondere über dem Ohr oder dem Schädel

  • begleitende neurologische Symptome oder Beschwerden (außer Hörverlust)

  • einseitiger Tinnitus

Interpretation der Befunde

In einigen Fällen kann Tinnitus auf eine retrocochleäre Pathologie hinweisen wie etwa ein vestibuläres Schwannom (gutartiger, aber invasiver Tumor mit Ursprung aus dem vestibulären Anteil des 8. Hirnnerven im inneren Gehörgang).

Es ist wichtig, darauf zu achten, ob der Tinnitus einseitig ist, da sich Vestibularisschwannome nur mit einseitigem Tinnitus manifestieren können. Diese Diagnose ist umso wahrscheinlicher, wenn zugleich eine einseitige Schallempfindungsschwerhörigkeit besteht oder eine asymmetrische Schwerhörigkeit mit schlechterem Hörvermögen in dem von Tinnitus betroffenen Ohr.

Es ist auch wichtig, die seltenen Fälle von objektivem Tinnitus von den sehr viel häufigeren Fällen von subjektivem Tinnitus zu unterscheiden. Ein pulsierender oder intermittierender Tinnitus ist fast immer objektiv (wenn auch für den Untersucher nicht immer nachweisbar), ebenso wie er mit einem Gefäßgeräusch assoziiert ist. Ein pulsierender Tinnitus ist fast immer gutartig. Ein konstanter Tinnitus ist in der Regel subjektiv (vielleicht mit der Ausnahme, dass er durch ein venöses Summen verursacht ist, das durch das Vorhandensein eines Gefäßgeräusches und häufig durch die Veränderung des Tinnitus bei einer Drehung des Kopfes oder einer Kompression der Jugularvene identifiziert werden kann).

Spezifische Ursachen können oft aufgrund der Untersuchungsbefunde vermutet werden (siehe Tabelle Ursachen von Tinnitus). Insbesondere Lärmexposition, Barotrauma oder die Einnahme bestimmter Medikamente vor dem Beginn legen diese Faktoren als Ursache nahe.

Tests

Alle Patienten mit Tinnitus sollten für eine umfassende audiologische Abklärung überwiesen werden, um Vorhandensein, Grad und Art der Schwerhörigkeit zu bestimmen.

Bei Patienten mit einseitigem Tinnitus und Hörverlust sollte ein Vestibularisschwannom durch eine gadoliniumverstärkte MRT ausgeschlossen werden. Bei Patienten mit einseitigem Tinnitus und normalem Hörvermögen sowie unauffälliger körperlicher Untersuchung ist ein MRT nicht notwendig, es sei denn, der Tinnitus besteht > 6 Monate.

Das weitere Vorgehen richtet sich nach dem klinischen Bild (siehe Tabelle Ursachen von Tinnitus).

Patienten mit einem sichtbaren vaskulären Tumor im Mittelohr benötigen ein CT, ein Gadolinium-MRT und die Überweisung an einen Spezialisten, wenn sich die Diagnose bestätigen sollte.

Bei Patienten mit einem pulsierenden, objektiven Tinnitus und ohne Auffälligkeiten bei Untersuchung oder Audiologie sind weitere Untersuchungen des Gefäßsystems (Karotis-, Vertebral- und Hirngefäße) erforderlich. Nach der üblichen Untersuchungsreihenfolge beginnt man mit einer CT-Angiographie (CTA). Da die CTA jedoch nicht sehr sensitiv für arteriovenöse Malformationen der Dura mater ist, ziehen viele Ärzte dann ein MR-Angiogramm oder ein konventionelles Arteriogramm in Betracht. Da arteriovenöse Malformationen der Dura mater allerdings selten auftreten, sind die erheblichen Risiken einer Angiographie gegen den möglichen Nutzen für Diagnose und therapeutische Embolisierung dieser vaskulären Anomalie sorgfältig abzuwägen.

Patienten, die davon berichten, dass sie Klickgeräusche in einem oder beiden Ohren hören, sollten auf Tinnitus unersucht werden. Diese Bewertung kann durch Auskultation mit einem Stethoskop erfolgen oder durch Tympanometrie, um den Klonus des Tensor tympani, des M. stapedius und/oder der Gaumenmuskulatur zu identifizieren. Eine palatale Myoklonie sollte bei körperlicher Untersuchung der Mundhöhle sichtbar sein.

Behandlung von Tinnitus

Durch Behandlung der zugrunde liegenden Erkrankung verringert sich möglicherweise auch der Tinnitus. Bei rund 50% der Tinnitus-Patienten wird dieser durch eine Korrektur des Hörverlustes (z. B. mit einem Hörgerät) gelindert.

Da Stress und andere psychische Faktoren (z. B. eine Depression) die Symptome verschlimmern können, sind alle Bemühungen hilfreich, um diese Faktoren zu erkennen und zu behandeln. Viele Patienten lassen sich durch die Versicherung beruhigen, dass ihr Tinnitus kein ernsthaftes medizinisches Problem darstelle. Ein Tinnitus kann auch durch Koffein und andere Stimulanzien verschlechtert werden, weshalb die Patienten auf die Verwendung dieser Stoffe zu verzichten versuchen sollten.

Obwohl es keine spezifische medikamentöse oder chirurgische Therapie gibt, finden viele Patienten, dass es ihnen beim Einschlafen hilft, wenn Hintergrundgeräusche den Tinnitus maskieren. Daher profitieren einige Patienten von einem „Tinnitus-Maskierer“, den sie wie ein Hörgerät tragen und der mit seinem leisen Geräuschpegel den Tinnitus überdecken kann. Eine Tinnitus-Retraining-Therapie, angeboten im Rahmen von Programme, die sich auf Tinnitus-Behandlung spezialisiert haben, ist für manche Patienten hilfreich. Gelegentlich lässt sich ein Tinnitus auch durch elektrische Reize (z. B. ein Cochleaimplantat) im Innenohr abschwächen, doch die Methode eignet sich nur für hochgradig schwerhörige (fast taube) Patienten.

Grundlagen der Geriatrie: Tinnitus

Eine von 4 Personen > 65 Jahre leidet unter erheblicher Schwerhörigkeit. Da Tinnitus unter Menschen mit Schallempfindungsschwerhörigkeit verbreitet ist, ist Tinnitus eine häufige Krankheit unter älteren Menschen.

Wichtige Punkte

  • Ein subjektiver Tinnitus wird durch eine Anomalie irgendwo in der Hörbahn verursacht.

  • Ein objektiver Tinnitus wird durch ein tatsächliches Geräusch verursacht, das in einer vaskulären Struktur in der Nähe des Ohres entsteht.

  • Laute Geräusche, Alterung, Menière-Krankheit, Migräne und Medikamente sind die häufigsten Ursachen für subjektiven Tinnitus.

  • Ein einseitiger Tinnitus mit Schwerhörigkeit oder Schwindel/Gleichgewichtsstörungen rechtfertigt eine gadoliniumverstärkte MRT, um ein Vestibularisschwannom auszuschließen.

  • Jeder Tinnitus, der mit einem neurologischen Defizit einhergeht, sollte eine neurologische Beurteilung veranlassen.