Gastrointestinale Neuroendokrine Tumoren und Karzinoidsyndrom

VonB. Mark Evers, MD, Markey Cancer Center, University of Kentucky
Überprüft/überarbeitet Mai 2024
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Das Karzinoidsyndrom ist ein Komplex von Symptomen und Anzeichen, der sich bei einigen Menschen mit endokrinologisch aktiven neuroendokrinen Tumoren auftritt und durch Hautrötungen, Bauchkrämpfe und Diarrhö gekennzeichnet ist. Nach einigen Jahren kann sich eine rechtsseitige Herzklappenkrankheit zeigen. Das Syndrom wird durch vasoaktive Substanzen (einschließlich Serotonin, Bradykinin, Histamin, Prostaglandine, Polypeptidhormone) verursacht, die vom Tumor ausgeschüttet werden, bei dem es sich in der Regel um einen metastasierten intestinalen neuroendokrinen Tumor handelt. Die Diagnose erfolgt klinisch und durch den Nachweis erhöhter Urinspiegel des Serotonin-Metaboliten 5-Hydroxyindolessigsäure. Die Behandlung der Symptome erfolgt mit Somatostatin-Analoga (z. B. Octreotid, Lanreotid), aber auch eine chirurgische Resektion oder ein Debulking nach Tumorlokalisierung mittels Radionuklid-Scan oder Laparotomie kann zur Linderung der Symptome beitragen. Chemotherapie kann bei ausgewählten Patienten mit Metastasen eingesetzt werden.

(Siehe auch Übersicht über NET.)

Ätiologie des Karzinoidsyndroms

Endokrinologisch aktive neuroendokrine Tumore (NET) des diffusen peripheren endokrinen oder parakrinen Systems produzieren verschiedene Amine und Polypeptide mit entsprechenden Symptomen und Anzeichen, einschließlich des Karzinoidsyndroms. Das Karzinoidsyndrom wird in der Regel durch endokrinologisch aktive neuroendokrine Tumoren (NET) verursacht, die sich aus neuroendokrinen Zellen (meist im Ileum – siehe Dünndarmtumore) entwickeln und Serotonin produzieren. Es kann auch als Resultat anderer Tumoren des Gastrointestinaltrakts (besonders durch Tumoren des Appendix und des Rektums), des Pankreas, der Bronchien und sehr selten auch der Gonaden verursacht sein. Ganz selten sind auch bestimmte hochmaligne Tumoren (z. B. das kleinzellige Bronchialkarzinom, das Inselzellkarzinom des Pankreas oder das medulläre Schilddrüsenkarzinom) verantwortlich.

Ein Serotonin produzierendes NET im Darm verursacht normalerweise kein Karzinoidsyndrom, es sei denn, es sind Lebermetastasen aufgetreten, da die vom Tumor freigesetzten Stoffwechselprodukte durch Blut- und Leberenzyme im Portalkreislauf schnell abgebaut werden (z. B. Serotonin durch hepatische Monoaminoxidase). Jedoch sezernieren hepatische Metastasen metabolisch aktive Produkte über die hepatischen Venen direkt in die systemische Zirkulation. Metabolisch aktive Produkte aus primär pulmonalen oder ovarialen Karzinoiden umgehen die Pfortader und können ähnliche Symptome verursachen. Seltene intestinale NET, die sich nur intraabdominal ausbreiten, können direkt in den systemischen Kreislauf oder die Lymphgefäße abfließen und Symptome verursachen.

Pathophysiology of Carcinoid Syndrome

Serotonin, das primäre Hormon, das von einigen NET produziert wird, wirkt auf die glatte Muskulatur und verursacht Diarrhö, Koliken und Malabsorption. Histamin und Bradykinin, die in geringeren Mengen produziert werden, verursachen durch ihre gefäßerweiternde Wirkung einen Flush.

Die Rolle von Prostaglandinen und verschiedenen Polypeptidhormonen, die von parakrinen Zellen produziert werden können, muss noch weiter untersucht werden. Erhöhte humane Choriongonadotropin- und Pankreas-Polypeptid-Spiegel werden gelegentlich von NET produziert.

Einige Patienten entwickeln eine bevorzugt rechtsseitige Endokardfibrose, welche zu einer Pulmonalklappenstenose und zu einer Trikuspidalklappeninsuffizienz führen kann. Läsionen der linken Herzseite, die mit bronchialen NET in Verbindung gebracht wurden, sind selten, da Serotonin während der Lungenpassage zerstört wird.

Symptome und Anzeichen des Karzinoidsyndroms

Das häufigste (und oft früheste) Zeichen des Karzinoidsyndroms ist

  • Unangenehmes Erröten, typischerweise von Kopf und Hals

Erröten wird oftmals durch emotionalen Stress, Nahrungsmittel, heiße Getränke oder Alkohol ausgelöst.

Es treten auffallende Veränderungen der Hautfarbe auf, die von Blässe über eine Rötung bis zu einem violetten Farbton reichen können.

Außerdem treten abdominelle Krämpfe mit immer wiederkehrender Diarrhö auf, die den Patienten die heftigsten Beschwerden verursachen. Eine Malabsorption kann ebenfalls beobachtet werden.

Patienten mit Herzklappenfehlern können auch durch ein Herzgeräusch auffallen. Bei einigen Patienten kommt es aufgrund von Bronchospasmen zu Keuchen, und bei einigen Patienten kommt es zu einer verminderten Libido und zu erektiler Dysfunktion. Pellagra, die auf die Umleitung von Tryptophan zur Serotoninproduktion zurückzuführen ist, tritt selten auf.

Diagnose des Karzinoidsyndroms

  • Tests auf 5-Hydroxyindolessigsäure (5-HIAA) im Urin und Chromogranin A (CgA) im Serum

Serotonin-produzierende NET werden aufgrund ihrer Symptome und Anzeichen vermutet. Die Diagnose gilt als bestätigt, wenn ein Nachweis für eine erhöhte Ausscheidung des Serotoninmetaboliten 5-HIAA im Urin erbracht werden kann. Um falsch-positive Ergebnisse zu vermeiden, führen die Ärzte die Messung erst durch, wenn der Patient sich für mindestens 3 Tage von serotoninhaltigen Nahrungsmitteln (z. B. Bananen, Tomaten, Pflaumen, Avocados, Ananas, Auberginen und Walnüssen) ferngehalten hat. Bestimmte Medikamente, z. B. Guaifenesin, Methocarbamol und Phenothiazine, beeinflussen den Test ebenfalls und sollten vorübergehend abgesetzt werden. Am 3. Tag wird ein 24-h-Urin gesammelt. Die normale Ausscheidung von 5-HIAA beträgt < 10 mg/Tag (< 52 Mikromol/Tag); bei Patienten mit einem Karzinoidsyndrom beträgt die Ausscheidung > 50 mg/d (> 260 Mikromol/Tag).

Chromogranin A (CgA) im Serum, ein gut etablierter Marker für NET, ist bei der Diagnose von NET hilfreich. Die kombinierte Messung von Serum-CgA und 24-Stunden-Urin-5-HIAA führt bei Patienten mit Karzinoidsyndrom zu einer erhöhten Gesamtempfindlichkeit des Tests.

In der Vergangenheit wurden Provokationstests mit Kalziumgluconat, Catecholaminen, Pentagastrin oder Alkohol durchgeführt, um ein Flushing zu erzeugen. Obwohl diese Tests hilfreich sein können, wenn an der Diagnose noch Zweifel bestehen, werden sie selten eingesetzt und müssen sehr vorsichtig durchgeführt werden.

Lokalisation des Tumors

Die Lokalisierung von NET bei Patienten mit Karzinoid-Syndrom erfolgt mittels Angiographie, CT oder MRT. Dies sind die gleichen Techniken, die zur Lokalisierung eines endokrinologisch inerten NET verwendet werden. Lokalisierung kann eine umfangreiche Auswertung erfordern, manchmal auch Laparotomie. Ein Scan mit dem Radionuklid-markierten Somatostatinrezeptor-Liganden Indium-111-Pentetreotid, mit Iod-123-Metaiodbenzylguanidin oder mit Gallium-Ga-68-Dotat kann bei der Identifizierung von Metastasen mit hoher Sensitivität nützlich sein.

Ausschluss anderer Ursachen für Flushing

Andere Krankheiten, die mit einem Flushing einhergehen und daher mit einem Karzinoid verwechselt werden können, sollten ausgeschlossen werden. Bei Patienten, bei denen die 5-HIAA-Ausscheidung nicht erhöht ist, können Störungen, welche die systemische Aktivierung von Mastozyten (z. B. systemische Mastozytose mit erhöhten Urinwerten für Histaminmetabolite und erhöhten Serum-Tryptasespiegeln) beeinflussen, und eine idiopathische Anaphylaxie für ein Flushing verantwortlich sein.

Weitere Ursachen für Gesichtsrötungen umfassen: Menopause, Ethanol-Aufnahme, Medikamente wie Niacin, und selten bestimmte andere Tumoren, die kein Serotonin sezernieren (z. B. Vipome, Nierenzellkarzinom, medulläres Schilddrüsenkarzinom).

Behandlung des Karzinoidsyndroms

  • Somatostatin-Analoga (SSAs) und andere Medikamente gegen die Symptome

  • Chirurgische Resektion des Tumors

In den Leitlinien wird die Verwendung von Octreotid oder Lanreotid als Erstbehandlung für Patienten mit symptomatischem Karzinoidsyndrom empfohlen. Bestimmte Symptome, darunter auch das Flushing, können mit Somatostatin-Analoga (welches die Ausschüttung der meisten Hormone inhibiert) abgemildert werden. Die Werte für 5-HIAA im Urin oder für Gastrin bleiben unbeeinflusst. Zahlreiche Studien haben gute Ergebnisse mit langwirksamen Somatostatin-Analoga (SSA), einschließlich Octreotid und Lanreotid (1), gezeigt, die in den Leitlinien als Medikamente der Wahl zur Kontrolle von Diarrhö und Gesichtsrötung empfohlen werden. Bei refraktärer Diarrhö, die mit SSA nicht kontrolliert werden kann, empfehlen alle Leitlinien Telotristatetiprat, einen oralen Tryptophan-Hydroxylase-Inhibitor (2).

Die Resektion primärer gastrointestinaler und bronchialer NET bei Patienten mit Karzinoidsyndrom ist oft kurativ.

Bei Patienten mit Lebermetastasen kann eine chirurgische Entfernung des Tumors zwar nicht zur Heilung führen, aber die Symptome lindern und in bestimmten Fällen die Überlebenszeit verlängern (3). Darüber hinaus können lokoregionale Therapien gegen Lebermetastasen transarterielle Chemoembolisierung (TACE), milde Embolisierung, Radioembolisierung mit Yttrium-90-Mikrosphären oder Radiofrequenz-Ablation umfassen. Weitere vielversprechende Behandlungsmöglichkeiten für metastasierende oder rezidivierende Erkrankungen sind Everolimus, ein mTOR-Inhibitor (Mammalian Target of Rapamycin), und neu entwickelte Peptidrezeptor-Radionuklide-Behandlungen (PRRTs) (z. B. 177-Lutetium) (4).

Eine Strahlentherapie bleibt, unter anderem auch wegen der hohen Strahlenempfindlichkeit des gesunden Lebergewebes, ohne Erfolg.

Es gibt kein wirksames Chemotherapieschema. Eine Kombinationsbehandlung mit Streptozotocin, 5-Fluorouracil und Cyclophosphamid wird in der Regel nur bei symptomatischen Patienten mit metastasierter Erkrankung Grad 2 (mittlerer Grad) eingesetzt, die auf andere Therapien nicht ansprechen oder eine hohe Tumorproliferation aufweisen. Allerdings ist die Ansprechdauer kurz.

Literatur zur Behandlung

  1. 1. Caplin ME, Pavel M, Ćwikła JB, et al. Lanreotide in metastatic enteropancreatic neuroendocrine tumors. N Engl J Med 2014;371(3):224-233. doi:10.1056/NEJMoa1316158

  2. 2. Larouche V, Akirov A, Alshehri S, Ezzat S. Management of Small Bowel Neuroendocrine Tumors. Cancers (Basel) 2019;11(9):1395. doi:10.3390/cancers11091395

  3. 3. Farley HA, Pommier RF. Surgical Treatment of Small Bowel Neuroendocrine Tumors. Hematol Oncol Clin North Am 2016;30(1):49-61. doi:10.1016/j.hoc.2015.09.001

  4. 4. Herrera-Martínez AD, Hofland J, Hofland LJ, et al. Targeted Systemic Treatment of Neuroendocrine Tumors: Current Options and Future Perspectives. Drugs 2019;79(1):21-42. doi:10.1007/s40265-018-1033-0

Prognose für Karzinoidsyndrom

Die Prognose von neuroendokrinen Tumoren hängt von der primären Lokalisation, dem Grad und dem Stadium ab. Trotz metastasierender Erkrankung und des Karzinoidsyndroms, das sie begleiten kann, wachsen NET langsam und eine Überlebenszeit von 10 bis 15 Jahren ist nicht ungewöhnlich.

Wichtige Punkte

  • Nur einige Karzinoidtumoren sezernieren die Substanzen, die das Karzinoidsyndrom verursachen.

  • Die wichtigsten Substanzen, die Symptome verursachen, sind Serotonin, das Bauchkrämpfe und Diarrhö verursacht, und Histamin, das Gesichtsrötungen verursacht.

  • Die Diagnose wird durch den Nachweis des Serotonin-Metaboliten 5-Hydroxyindolessigsäure im Urin und Chromogranin A im Serum gestellt.

  • Somatostatin-Analoga wie Octreotid oder das länger wirkende Lanreotid können helfen, die Symptome zu kontrollieren.

  • Beim Fehlen von Metastasen kann eine chirurgische Resektion kurativ sein.

  • Chirurgische Entfernung, bildgesteuerte Ablation, milde Embolisation, Chemoembolisation oder Radioembolisation können bei Patienten mit Lebermetastasen zur Linderung der Symptome und möglicherweise zur Verlängerung der Überlebenszeit beitragen.

  • Standard-Chemotherapie und Strahlentherapie sind nicht wirksam, aber andere Behandlungen wie Everolimus und Peptidrezeptor-Radionuklid-Therapie (PRRT) mit 177-Lutetium können hilfreich sein.