Ein vererbtes bzw. hereditäres Angioödem (eine genetische Erkrankung) und ein erworbenes Angioödem (erworbener C1-Inhibitor-Mangel) werden durch einen Mangel oder eine Fehlfunktion des C1-Inhibitors, einem Bestandteil des Immunsystems, verursacht. Beide führen zu wiederholten Schüben mit Schwellungen in der Unterhaut.
Unter einem Angioödem versteht man Gewebebereiche mit Schwellungen unter der Haut, die in einigen Fällen auch das Gesicht, den Hals und die Atemwege betreffen können.
In den meisten Fällen werden Angioödeme durch eine allergische Reaktion hervorgerufen, doch manchmal treten sie auch infolge einer Erbkrankheit oder einer anderen Erkrankung wie Krebs auf.
Im Gegensatz zu einem Angioödem infolge einer allergischen Reaktion verursachen das vererbte Angioödem und das erworbene Angioödem keine Quaddeln und keinen Juckreiz.
Bluttests helfen den Ärzten bei der Diagnose.
Bestimmte Medikamente können die Symptome lindern. Wenn ein Angioödem aber das Schlucken oder Atmen erschwert, ist eine umgehende Notfallbehandlung erforderlich.
(Siehe auch Übersicht über allergische Reaktionen.)
Das vererbte Angioödem ist eine genetische Erkrankung, die durch einen Mangel oder eine Fehlfunktion des C1-Inhibitors bedingt ist. Der C1-Inhibitor ist eines der Proteine im Komplementsystem, das wiederum Teil des Immunsystems ist. Die Symptome setzen meist im Kindes- oder Jugendalter ein.
Ein erworbenes Angioödem ist eine seltene Erkrankung, die sich von einem angeborenen Angioödem unterscheidet. Es entwickelt sich, wenn bestimmte Krebsarten (z. B. Lymphom) oder Autoimmunerkrankungen (z. B. systemischer Lupus erythematodes [„Lupus“] oder Dermatomyositis) einen Mangel des C1-Inhibitors verursachen. Die Symptome setzen in der Regel später im Leben ein, d. h., erst nachdem die Betroffenen eine Erkrankung entwickelt haben, die diesen Mangel hervorrufen kann.
Sowohl beim vererbten als auch beim erworbenen Angioödem kann eine Schwellung (Angioödem) durch Folgendes ausgelöst werden:
Eine geringfügige Verletzung, z. B. bei einer Zahnbehandlung
Eine Virusinfektion
Bestimmte Lebensmittel
Schwangerschaft
Medikamente, die Östrogen enthalten oder damit verwandt sind (z. B. Tamoxifen)
Bestimmte Medikamente gegen Bluthochdruck, wie ACE(Angiotensin-konvertierendes Enzym)-Hemmer und Angiotensin-II-Rezeptor-Blocker (ARB)
Einwirkung von Kälte
Obwohl bestimmte Nahrungsmittel und Medikamente ein Angioödem auslösen können, zählt dies nicht als eine allergische Reaktion auf diese Substanzen.
Stress, wie z. B. vor einem zahnmedizinischen oder chirurgischen Eingriff, kann das Angioödem verschlimmern.
Symptome
Gesicht, Lippen, Zunge, Hand- und Fußrücken, Genitalien und/oder andere Körperbereiche können anschwellen. Die geschwollenen Bereiche schmerzen üblicherweise leicht und sie jucken nicht. Quaddeln treten nicht auf. Die Schwellung geht normalerweise nach 1 bis 3 Tagen zurück.
Auch die Mund-, Rachen- und Atemwegsschleimhaut können anschwellen. Betroffene keuchen ggf. beim Einatmen. Solche Schwellungen können die Atmung beeinträchtigen und lebensbedrohlich sein. Wenn es zu diesen Symptomen kommt, sollte umgehend ein Arzt aufgesucht werden.
Auch die Schleimhäute des Verdauungstrakts können anschwellen. Übelkeit, Erbrechen und Krämpfe kommen häufig vor.
Dieses Foto zeigt die Schwellung der Lippen bei einer Person mit vererbtem (hereditärem) Angioödem.
Mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers. Aus Joe E, Soter N. Current Dermatologic Diagnosis and Treatment, herausgegeben von I Freedberg, IM Freedberg und MR Sanchez. Philadelphia, Current Medicine, 2001.
Diese Person hat eine geschwollene Zunge aufgrund eines Angioödems.
SCIENCE PHOTO LIBRARY
Diese Person hat geschwollene Lippen aufgrund eines Angioödems.
DR. P. MARAZZI/SCIENCE PHOTO LIBRARY
Diagnose
Bluttests
Der Arzt vermutet ein vererbtes oder erworbenes Angioödem, wenn die folgenden beiden Dinge vorliegen:
Der Patient hat Schwellungen im Gesicht, der Lippen, Zunge, Hände, Füße, Genitalien und/oder anderer Körperstellen, aber keine Quaddeln.
Die Schwellungen treten wieder auf, die Ursache ist jedoch nicht ersichtlich.
Ärzte vermuten eine dieser Erkrankungen ebenfalls, wenn das Angioödem infolge einer leichten Verletzung auftritt.
Der Verdacht auf ein vererbtes Angioödem besteht auch, wenn Familienmitglieder an diesen Symptomen leiden.
Ärzte diagnostizieren ein vererbtes oder erworbenes Angioödem, indem sie die Konzentration des C1-Inhibitors oder seine Aktivität in einer Blutprobe bestimmen.
Behandlung
Medikamente wie Ecallantid, Icatibant oder C1-Inhibitoren
Gefrorenes Frischplasma
Medikamente zur Verhinderung zukünftiger Attacken
Zu den Medikamenten, die manchmal die Schwellung lindern können, gehören unter anderem Ecallantid, Icatibant, gereinigter C1-Inhibitor (der aus menschlichem Blut gewonnen wird) und rekombinanter C1-Inhibitor (wird aus der Milch genetisch veränderter Hasen gewonnen). Durch die Verabreichung des C1-Inhibitors wird die Anzahl der fehlenden oder kaputten C1-Inhibitoren aufgestockt. Diese Medikamente werden über eine Vene oder als Spritze unter die Haut verabreicht.
Da hereditäre Angioödeme selten sind, prüft der Arzt der betroffenen Person in der Regel, ob eines dieser notwendigen Medikamente in der Gesundheitseinrichtung vor Ort verfügbar ist. Bei einer schweren Reaktion kann der Betroffene eines dieser Medikamente erhalten, um es mit nach Hause zu nehmen und es zur Behandlung einer Attacke anzuwenden. Der Betroffene oder die Familienmitglieder werden in der Verabreichung des Medikaments als Spritze geschult. Je eher die Behandlung eingeleitet wird, umso besser.
Sind diese Medikamente nicht verfügbar, kann gefrorenes Frischplasma oder in der Europäischen Union auch Tranexamsäure verabreicht werden. Antihistaminika und Kortikosteroide sind nicht wirksam.
Schmerzmittel, Medikamente zur Linderung von Übelkeit (Antiemetika) und Flüssigkeitszufuhr können zur Symptomlinderung beitragen.
Notfallbehandlung
Manchmal müssen die Ärzte die Atemwege öffnen, wenn sie plötzlich zuschwellen und der Patient Schwierigkeiten beim Atmen hat. Dafür müssen sie Adrenalin unter die Haut oder in einen Muskel spritzen (um die Schwellung zurückgehen zu lassen). Es kann jedoch sein, dass das Adrenalin die Schwellung nicht schnell oder lange genug zurückgehen lässt. In diesem Fall müssen die Ärzte einen Beatmungsschlauch durch den Mund oder die Nase des Patienten in die Luftröhre einführen (Intubation).
Manchmal müssen sie einen kleinen Einschnitt in die Haut über der Luftröhre (Trachea) machen, um einen Beatmungsschlauch einzuführen.
Medikamente zur Vorbeugung von Angioödem-Attacken
Bei Patienten mit hereditärem Angioödem können verschiedene Behandlungen eingesetzt werden, um dem Auftreten eines Angioödems vorzubeugen. Hierzu gehören:
C1-Inhibitoren, die aus menschlichem Blut gewonnen werden
Lanadelumab
Berotralstat
Synthetische männliche Hormone
Antifibrinolytika (z. B. Tranexamsäure)
Aus menschlichem Blut gewonnene C1-Inhibitoren können zur Vorbeugung von Attacken angewendet werden; rekombinante C1-Inhibitoren jedoch nicht.
Lanadelumab ist ein monoklonaler Antikörper (im Labor entwickelter Antikörper), der gegen eine der das Angioödem verursachenden Substanzen gerichtet ist und diese unterdrückt. Lanadelumab wird alle 2 Wochen unter die Haut gespritzt. Es kann zur Vorbeugung von Anfällen bei Patienten ab 12 Jahren angewendet werden.
Berotralstat unterdrückt dieselbe Substanz wie Lanadelumab und wird dreimal täglich eingenommen.
Stanozolol und Danazol (beides künstliche männliche Hormone) können dabei helfen, späteren Anfällen vorzubeugen. Diese oralen Medikamente können die Produktion des C1-Inhibitors im Körper stimulieren, sind aber bei einem erworbenen Angioödem unter Umständen weniger wirksam. Zu den Nebenwirkungen dieser Medikamente zählt eine Vermännlichung. Daher wird ihre Dosis bei der langfristigen Verabreichung an Frauen so weit wie möglich mengenmäßig und zeitlich eingeschränkt.
Stanozolol oder Danazol können 5 Tage vor einem zahnärztlichen oder chirurgischen Eingriff und bis zu 2 Tage nach dem Eingriff verabreicht werden. Alternativ können C1-Inhibitoren 1 Stunde vor einem zahnmedizinischen oder operativen Eingriff an Stelle von Stanozolol oder Danazol verabreicht werden, wenn diese zur Verfügung stehen.