Patienten mit multiplem Myelom leiden an einer Überproduktion von freien monoklonalen Ig-Leichtketten (Bence-Jones-Proteine). Diese Ketten werden durch die Glomeruli filtriert. Sie sind nephrotoxisch und können - in ihren verschiedenen Formen (frei, tubuläre Zylinder, Amyloid)- praktisch alle Regionen des Nierenparenchyms schädigen. Die Diagnose erfolgt durch Urintests (Sulfosalicylsäuretest oder Proteinelektrophorese) oder Nierenbiopsie. Die Behandlung konzentriert sich auf die des multiplen Myeloms und auf einen ausreichenden Harnfluss. Myelom-bedingte Nierenerkrankungen werden nur selten von schweren Ig-Ketten verursacht.
(Siehe auch Überblick zu den tubulointerstitiellen Krankheiten.)
Tubulointerstitielle Erkrankungen und glomeruläre Schäden sind die häufigsten Formen der Nierenschädigung. Die glomeruläre Schädigung ist normalerweise der vorherrschende Mechanismus. Die Mechanismen, durch die die Leichtketten direkt die Nephronen schädigen, sind unbekannt. Hyperkalzämie trägt zur Niereninsuffizienz durch eine Verringerung des renalen Blutflusses bei.
Tubulointerstitielle Krankheit
Typen von tubulo-interstitiellen Nierenerkrankungen bei multiplem Myelom sind
Myelom Niere ("myeloma cast nephropathy")
Erworben Fanconi-Syndrom (Erkrankung des proximalen Tubulus)
Interstitielle Ablagerung in den leichten Ketten, wodurch akute tubuläre Nekrose verursacht wird
Leichte Ketten saturieren die reabsorptive Kapazität der proximalen Tubuli, erreichen das distale Nephron, verbinden sich mit gefilterten Proteinen und Tamm-Horsfall-Mukoproteinen (sezerniert durch die Zellen des dicken aufsteigenden Schenkels) und bilden obstruierende Zylinder. Der Terminus Myelomniere oder Cast-Nephropathie bezieht sich im Allgemeinen auf die Niereninsuffizienz, die durch den daraus resultierenden tubulointerstitiellen Schaden verursacht wird. Zu den Faktoren, die für die Bildung von Zylinderformationen prädisponieren, gehören folgende:
Geringer Harnfluss
Röntgenkontrastmittel
Hyperurikämie
Nichtsteroidale Antirheumatika (= nonsteroidal anti-inflammatory drugs, NSAID)
Anstieg der luminalen Natriumchlorid-Konzentration (z. B. aufgrund eines Schleifendiuretikums)
Erhöhtes intratubuläres Kalzium aufgrund von Hyperkalzämie, das oft als Folge einer Knochenlyse bei multiplem Myelom auftritt.
Abbildung zur Verfügung gestellt von Agnes Fogo, MD, and the American Journal of Kidney Diseases' Atlas of Renal Pathology (siehe www.ajkd.org).
Andere Formen der tubulointerstitiellen Schädigung, die bei Bence-Jones-Proteinurie auftreten, sind eine Transportstörung im proximalen Tubulus, die ein Fanconi-Syndrom verursacht und eine interstitielle Leichtketten-Ablagerung mit entzündlichen Infiltraten und aktiver tubulärer Schädigung, die eine akute tubuläre Nekrose verursachen kann.
Glomerulopathien
Typen von glomerulären Nierenerkrankungen bei multiplem Myelom sind
Leichtketten-Speicherkrankheit
"Heavy chain deposition", selten
Eine AL-Amyloidose resultiert in einer glomerulären Ablagerung von AL-Amyloid in den mesangialen, subepithelialen oder subendothelialen Bereichen oder in einer Kombination. Die Amyolid-Ablagerung erfolgt mit zufällig angeordneten, ungleichmäßigen, nichtverzweigten Fibrillen, die aus der variablen Region von Leichtketten (Typ Lambda) bestehen. Als Leichtketten-Speicherkrankheit, die auch beim Lymphom und bei der Makroglobulinämie auftreten kann, bezeichnet man die glomeruläre Ablagerung von nichtpolymerisierten Leichtketten (d. h. ohne Fibrillen), meist der konstanten Region der Kappa-Leichtketten.
Selten kann sich eine proliferative, entzündliche Glomerulopathie, die eine Proteinurie im nephrotischen Bereich verursacht, zu einer fortgeschrittenen Myelom-bezogenen Nierenerkrankung entwickeln. Eine proliferative Glomerulonephritis entwickelt sich gelegentlich als eine frühe Form von Leichtketten-Speicherkrankheit mit Progression zu einer membranoproliferativen Glomerulonephritis und nodulärer Glomerulopathie, die an eine diabetische Nephropathie erinnert. Eine Proteinurie im nephrotischen Bereich ist weit verbreitet.
Symptome und Anzeichen einer myelombedingten Nierenerkrankung
Symptome und Beschwerden sind vornehmlich die des Myeloms (z. B. Skelettschmerzen, pathologische Frakturen, diffuse Osteoporose, bakterielle Infektionen, Hyperkalzämie, normochrom-normozytäre Anämie unverhältnismäßig zum Grad des Nierenversagens).
Diagnose einer myelombedingten Nierenerkrankung
Urineiweißelektrophorese (Myelomniere)
Biopsie (Glomerulopathie)
Die Verdachtsdiagnose einer Myelomnephropathie besteht bei der Kombination folgender Befunde:
Niereninsuffizienz
Unauffälliges Urinsediment
Negativer oder für Spurenmengen positiver Proteinstreifentest (außer wenn das Urin-Albumin bei einem Patienten mit begleitendem nephrotischen Syndrom erhöht ist)
Erhöhtes gesamtes Urinprotein
Die Verdachtsdiagnose sollte auch bei Patienten ohne ein multiples Myelom in der Anamnese oder entsprechenden Befunden gestellt werden, insbesondere dann, wenn das gesamte Urinprotein wesentlich gegenüber dem Urinalbumin erhöht ist. Das gesamte Urinprotein wird über 24 Stunden gemessen (und ist oft genug erhöht, um auf ein nephrotisches Syndrom hinzudeuten); das Albumin wird mit Teststreifen gemessen.
Die Diagnose einer Leichtketten-tubulointerstitiellen Krankheit (Myelomniere) wird durch Urineiweißelektrophorese (UPEP) bestätigt.
Die Diagnose einer Glomerulopathie wird durch die Nierenbiopsie gestellt. Trotz des Fehlens von nachweisbaren Serum- oder Urinparaproteinen in der Immunoelektrophorese kann die Nierenbiopsie bei 30–50% der Patienten mit Myelom Leichtkettenablagerungen nachweisen.
Behandlung der myelombedingten Nierenerkrankung
Behandlung des multiplen Myeloms
Vermeidung von Flüssigkeitsmangel und Aufrechterhaltung einer hohen Fließgeschwindigkeit des Urins
Behandlung des multiplen Myeloms und Prävention eines Volumenverlusts (z. B. unter Verwendung normaler Salzlösung zur Volumenausdehnung), um eine hohe Fließgeschwindigkeit des Urins zu halten, sind die primären Behandlungsschritte (1). Darüber hinaus sollten Faktoren, die die Nierenfunktion verschlechtern (z. B. Hyperkalzämie, Hyperurikämie, Verwendung von nephrotoxischen Arzneimittel) vermieden bzw. behandelt werden.
Verschiedene Maßnahmen werden oft empfohlen, deren Wirksamkeit aber nicht erwiesen ist. Durch einen Plasmaaustausch können möglicherweise Leichtketten entfernt werden. Eine Alkalisierung des Urins hilft, die Nettoladung der Leichtketten zu ändern, und vermindert die Ladungsinteraktion mit dem Tamm-Horsfall-Mukoprotein. So werden die Leichtkettenproteine löslicher. Colchicin kann gegeben werden, um die Sekretion von Tamm-Horsfall-Mukoprotein in das Lumen zu verringern, und um die Interaktion mit den Leichtketten und so auch die Toxizität zu mindern. Schleifendiuretika können vermieden werden, um einem Volumenverlust und hoher Natriumkonzentrationen vorzubeugen, die eine Myelomnephropathie verschlechtern können.
Literatur zur Therapie
1. Dimopoulos MA, Sonneveld P, Leung N, et al: International Myeloma Working Group Recommendations for the Diagnosis and Management of Myeloma-Related Renal Impairment. J Clin Oncol 34(13):1544-1557, 2016. doi: 10.1200/JCO.2015.65.0044
Prognose bei myelombedingter Nierenerkrankung
Nierenerkrankungen sind ein wichtiger Prädiktor für die allgemeine Prognose beim multiplen Myelom. Die Prognose ist gut für Patienten mit tubulointerstitieller und glomerulärer Leichtketten-Speicherkrankheit, die behandelt werden. Schlechter ist sie allerdings bei Patienten mit AL-Amyloidose, bei denen die Amyloidablagerung andauert und in den meisten Fällen bis zum Nierenversagen fortschreitet. Unbehandelt schreiten so gut wie alle Läsionen bis zum Nierenversagen fort.
Wichtige Punkte
Patienten mit multiplem Myelom können eine tubulointerstitielle und glomeruläre Schädigung durch verschiedene Mechanismen erlangen.
Die Verdachtsdiagnose einer Myelomnephropathie wird gestellt, wenn Patienten an unerklärlicher Niereninsuffizienz leiden, ein unauffälliges Harnsediment und/oder erhöhte "nonalbumin urinary proteins" aufweisen.
Behandlung des Myeloms und Aufrechterhaltung der Normovolämie.