Polyurie

VonGeetha Maddukuri, MD, Saint Louis University
Überprüft/überarbeitet Dez. 2022
Aussicht hier klicken.

Polyurie bezeichnet eine Urinausscheidung von > 3 l/Tag. Sie muss unterschieden werden von häufigem Harndrang, also dem Drang, bei normaler oder geringer Zufuhr viele Male am Tag oder in der Nacht geringe Mengen zu urinieren. Beide Veränderungen können zu einer Nykturie führen.

Pathophysiologie der Polyurie

Wasserhomöostase wird durch eine komplexe Balance der Wasseraufnahme (selbst eine Frage der komplexen Regulation), renale Perfusion, glomeruläre Filtration und tubuläre Reabsorption von löslichen Bestandteilen und Reabsorption von Wasser aus den renalen Sammelröhren gesteuert.

Wenn sich die Wasseraufnahme erhöht, erhöht sich das Blutvolumen und die Blutosmolalität nimmt ab, was die Freisetzung von antidiuretischen Hormonen (ADH; auch als Arginin-Vasopressin bezeichnet) aus dem Hypothalamus-Hypophysen-System verringert. Da ADH die Reabsorption von Wasser in den renalen Sammelröhren fördert, erhöhen erniedrigte ADH-Spiegel das Harnvolumen, sodass sich die Blutosmolalität wieder normalisiert.

Zusätzlich zu hohen Mengen an löslichen Bestandteilen innerhalb der renalen Tubuli eine passive osmotische Diurese (solute Diurese) und damit eine Erhöhung der Urinvolumen. Das klassische Beispiel für diesen Prozess ist die glukoseinduzierte osmotische Diurese bei unkontrolliertem Diabetes mellitus, wenn hohe Glukosewerte im Urin (> 250 mg/dl [13,88 mmol/l]) die tubuläre Reabsorptionskapazität überschreiten, was zu hohen Glukosespiegeln in den Nierentubuli führt. Wasser folgt passiv, was Glukosurie und ein erhöhtes Urinvolumen verursacht. Die glukosebedingte osmotische Diurese bei Diabetes mellitus wird durch die Einnahme von Natrium-Glukose-Cotransporter-2-Inhibitoren (SGLT2i), die den Plasmaglukosespiegel durch Hemmung der renalen Glukoserückresorption und Erhöhung der renalen Glukoseausscheidung senken, noch verstärkt.

Polyurie ist also das Ergebnis eines Prozesses, der einen oder mehrere der folgenden Punkte beinhaltet:

Ätiologie der Polyurie

Die häufigste Ursache der Polyurie bei Erwachsenen ist

  • Einnahme von Diuretika

Die häufigste Ursache der Polyurie (siehe Tabelle Ursachen für Polyurie) bei Erwachsenen und Kindern ist

Besteht kein Diabetes mellitus sind die häufigsten Ursachen

Tabelle
Tabelle

Bei Patienten, die sich von einer oligurischen akuten Nierenschädigung erholen, kann es zu einer osmotischen Diurese kommen.

Untersuchung der Polyurie

Anamnese

Bei der Anamnese der jetzigen Krankheit sollten die Mengen an zugeführter und ausgeschiedener Flüssigkeit erfragt werden, um zwischen Polyurie und häufigem Harndrang zu unterscheiden. Bei einer Polyurie, sollten die Patienten nach dem Alter bei Erkrankungsbeginn, zeitlichem Auftreten (z. B. abrupt oder schrittweise) und allen jüngsten klinischen Faktoren, die möglicherweise eine Polyurie hervorrufen (z. B. Infusionen, Sondenernährung, Beseitigung von Harnwegsobstruktion, Lösung einer akuten Nierenverletzung, Schlaganfall, Schädeltrauma, Operation) befragt werden. Die Patienten sollten nach dem Grad ihres Durstes befragt werden.

Bei der Überprüfung der Organsysteme sollte nach Symptome, die auf mögliche Ursachen hindeuten, geforscht werden; einschließlich trockener Augen und trockenem Mund (Sjögren-Syndrom) sowie Gewichtsverlust und Nachtschweiß (Krebs).

Bei der Anamnese sollten Beschwerden, die mit einer Polyurie in Zusammenhang stehen, einschließlich Diabetes mellitus, psychischen Erkrankungen, Sichelzellanämie, Sarkoidose, Amyloidose und Hyperparathyreoidismus überprüft werden. Eine positive Familienanamnese für Polyurie und exzessives Wassertrinken sollte beachtet werden. Bei der Medikamentenanamnese sollte die Verwendung aller Medikamente, die mit Diabetes insipidus in Zusammenhang stehen (siehe Tabelle Ursachen für Polyurie) sowie Substanzen, die die Urinausscheidung erhöhen, (z. B. Diuretika, Alkohol, koffeinhaltige Getränke) beachtet werden.

Körperliche Untersuchung

Bei der kompletten körperlichen Untersuchung sollte auf Anzeichen von Fettleibigkeit (als Risikofaktor für Typ-2-Diabetes mellitus) oder Unterernährung oder Kachexie, die eine zugrunde liegende Krebserkrankung oder eine Essstörung plus heimlicher Anwendung von Diuretika erkennen lassen könnten, geachtet werden.

Bei Untersuchung des Kopfes und des Halses sollte auf trockene Augen oder Mundtrockenheit (Sjögren-Syndrom) geachtet werden. Bei Untersuchung der Haut sollten hyperpigmentierte oder hypopigmentierte Läsionen, Geschwüre oder subkutane Knoten, die auf eine Sarkoidose hindeuten, beachtet werden. Die umfassende neurologische Untersuchung sollte jegliche fokale Defizite berücksichtigen, die auf einen zugrunde liegenden Hirninfarkt hindeuten und den mentalen Status auf Anzeichen von Denkstörungen beurteilen. Der Volumenstatus sollte bewertet werden. Extremitäten sollten auf Ödeme untersucht werden.

Warnzeichen

Die folgenden Befunde sind von besonderer Bedeutung:

  • Abrupter Beginn

  • Beginn in den ersten Lebensjahren

  • Nachtschweiß, Husten und Gewichtsverlust, vor allem, wenn in der Vergangeheit exzessiv geraucht wurde

  • Psychiatrische Störung

Interpretation der Befunde

Bei der Anamnese kann oft zwischen Polyurie und häufigem Harndrang unterschieden werden, aber manchmal ist eine Probe aus 24-Stunde-Sammelurinrin erforderlich.

Die klinische Bewertung kann einen Hinweis auf die Ursache geben (siehe Tabelle Ursachen für Polyurie), aber Tests sind in der Regel notwendig. Diabetes insipidus wird vermutet bei einer Vorgeschichte mit maligner Erkrankung oder chronischer granulomatöser Erkrankungen (aufgrund einer Hyperkalzämie) oder bei der Einnahme von bestimmten Medikamenten (Lithium, Cidofovir, Foscarnet) und seltenen Erkrankungen (Sichelzellanämie, renale Amyloidose, Sarkoidose, Sjögren-Syndrom), deren Manifestationen oft auffallender sind und der Polyurie vorausgehen.

Der abrupte Beginn einer Polyurie zu einem bestimmten Zeitpunkt lässt einen zentralen Diabetes insipidus vermuten, ebenso wie die Bevorzugung von extrem kaltem oder Eiswasser. Ein Auftreten in den ersten Lebensjahren steht in der Regel mit vererbtem zentralem Diabetes oder Diabetes insipidus oder unkontrollierter Diabetes mellitus Typ 1 in Zusammenhang. Anamnese von Diabetes mellitus deutet auf durch Diurese verursachte Polyurie hin. Eine psychogene Polydipsie ist häufiger bei Patienten mit vorangegangener psychiatrischen Störung (vor allem bipolare Störung,Schizophrenie oder) und nicht als erste Manifestation.

Tests

Wenn eine exzessive Urinausscheidung durch Anamnese oder Messungen bestätigt wurde, sollte eine Glukosebestimmung mittels Serum oder Fingerkuppentest durchgeführt werden, um einen unkontrollierten Diabetes auszuschließen.

Wenn es sich nicht um eine Hyperglykämie handelt, sind Tests erforderlich:

  • Serum- und Urinchemie (Elektrolyte, Kalzium)

  • Serum- und Urinosmolalität und manchmal der Gehalt an antidiuretischem Hormon (ADH) im Plasma

Mit diesen Tests wird auf Hyperkalzämie, Hypokaliämie (aufgrund von heimlicher Diuretikaeinnnahme) und Hypernatriämie oder Hyponatriämie geprüft.

  • Hypernatriämie (Natrium > 142 mEq/l [142 mmol/l]) deutet auf exzessiven freien Wasserverlust aufgrund zentraler Diabetes oder Diabetes insipidus hin.

  • Hyponatriämie (Natrium < 137 mEq/l [137 mmol/l]) deutet auf exzessive freie Wasseraufnahme als Folge einer Polydipsie hin.

  • Urinosmolalität ist in der Regel < 300 mOsm/kg (300 mmol/kg) bei Wasserdiurese und > 300 mOsm/kg (300 mmol/kg) bei soluter Diurese.

Wenn die Diagnose unklar bleibt, sollten Messungen von Serum und Natriumkonzentration im Urin sowie der Osmolalität als Reaktion auf einen Dursttest und Gabe von exogenem ADH durchgeführt werden. Weil eine schweren Dehydrierung Folge dieses Tests sein kann, sollte dieser nur durchgeführt werden, während Patienten unter ständiger Aufsicht sind. In der Regel ist ein Krankenhausaufenthalt erforderlich. Außerdem sollten Patienten, bei denen der Verdacht auf eine psychogene Polydipsie besteht, überwacht werden, um heimliches Trinken zu verhindern.

Verschiedene Protokolle können bei Wasserentzugtests verwendet werden. Jedes Protokoll hat einige Einschränkungen. Typischerweise beginnt der Test am Morgen mit der Feststellung des Gewichts des Patienten, einer Blutentnahme zur Messung der Serumelektrolytkonzentrationen und der Osmolalität und mit der Bestimmung der Urinosmolalität. Spontanurin wird zur Bestimmung des spezifischen Gewichts stündlich gesammelt und die Osmolalität gemessen. Der Wasserentzug wird fortgesetzt, bis orthostatische Hypotonie und posturale Tachykardie auftreten, sich das Körpergewicht um 5% reduziert hat oder die Urinkonzentration nicht mehr als > 30 mOsm/kg (30 mmol/kg)in aufeinander folgend abgenommenen Spontanurinproben angestiegen ist. Die Werte für Serumelektrolyte und Osmolalität werden erneut bestimmt und 5 Einheiten einer wässrigen Vasopressinlösung werden subkutan injiziert. 60 Minuten nach Injektion wird eine letzte Urinprobe zur Bestimmung von Osmolalität abgenommen und der Test damit beendet.

Eine normale Reaktion wäre ein maximaler Anstieg der Urinosmolalität nach Dehydratation (> 700 mOsm/kg [700 mmol/kg]), und nach Injektion von Vasopressin steigt die Osmolalität nicht um mehr als zusätzliche 5% an.

Bei zentralem Diabetes insipidus sind Patienten normalerweise nicht in der Lage, den Urin über die Plasmaosmolalität hinaus zu konzentrieren, können aber nach Gabe von Vasopressin ihre Urinosmolalität steigern. Der Anstieg bei Urinosmolalität beträgt 50–100% bei zentralem Diabetes insipidus gegenüber 15–45% bei teilweise zentralem Diabetes insipidus.

Bei Patienten mit nephrogenem Diabetes insipidus können Patienten den Urin nicht über die Plasmaosmolalität hinaus konzentrieren und zeigen auf die Gabe von Vasopressin keine Reaktion. Gelegentlich kann bei teilweisem Diabetes insipidus die Erhöhung der Urinosmolalität bis zu 45% betragen, aber insgesamt sind diese Zahlen deutlich niedriger als diejenigen, die bei teilweise zentralem Diabetes insipidus (in der Regel < 300 mOsm/kg [300 mmol/kg]) auftreten.

Bei psychogener Polydipsie beträgt die Urinosmolalität < 100 mOsm/kg (100 mmol/kg). Eine graduell sinkende Wasseraufnahme führt zu abnehmender Urinausscheidung, zunehmender Plasma- und Urinosmolalität und Serumnatriumkonzentration.

Messung der zirkulierenden ADH ist die direkteste Methode zur Diagnose von zentralem Diabetes insipidus. Die Konzentrationen sind am Ende des Dursttests (vor der Injektion mit Vasopressin) bei zentralem Diabetes insipidus niedrig und entsprechend beim Diabetes insipidus erhöht. ADH-Spiegel sind jedoch nicht routinemäßig verfügbar. Außerdem liefert der Durstversuch so genaue Ergebnisse, dass eine direkte ADH-Bestimmung selten nötig ist. Wenn gemessen wird, sollten ADH-Werte zu Beginn des Wasserentzugtests geprüft werden, wenn der Patient gut hydriert ist; ADH-Werte sollten abnehmen während sich das intravaskuläre Volumen erhöht.

Behandlung von Polyurie

Die Behandlung variiert je nach den Ursachen. Eine störende Nykturie kann durch Maßnahmen wie die Verringerung der Flüssigkeitsaufnahme vor dem Schlafengehen, den Einsatz von Desmopressin und/oder die Verbesserung der Schlafhygiene behandelt werden.

Wichtige Punkte

  • Verwendung von Diuretika und unkontrollierter Diabetes mellitus sind häufige Ursachen von Polyurie.

  • Sind kein Diabetes mellitus und kein Gebrauch von Diuretika diagnostiziert, sind die häufigsten Ursachen für chronische Polyurie primäre Polydipsie, zentraler Diabetes insipidus und nephrogener Diabetes insipidus.

  • Hypernatriämie kann auf zentralen oder nephrogenen Diabetes insipidus hindeuten.

  • Eine Hyponatriämie ist charakteristischer bei Polydipsie.

  • Plötzliche Auftreten von Polyurie deutet auf zentralen Diabetes insipidus hin.

  • Ein Dursttest kann bei der Diagnose helfen, sollte aber nur erfolgen, wenn der Patient engmaschig überwacht wird.