Familiäre periodische Lähmung

VonMichael Rubin, MDCM, New York Presbyterian Hospital-Cornell Medical Center
Überprüft/überarbeitet Jan. 2022
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Die familiäre periodische Lähmung ist eine seltene autosomale Krankheit mit beträchtlichen Unterschieden in der Schwere. Sie ist gekennzeichent durch Episoden schlaffer Paralyse mit Verlust der tiefen Sehnenreflexe und fehlender elektrischer Stimulation des Muskels. Es gibt 4 Formen: hypokaliämisch, hyperkaliämisch, thyreotoxisch und Andersen-Tawil-Syndrom. Die Diagnose wird aufgrund der Anamnese gestellt und wurde durch Provokation einer Episode bestätigt (Verabreichung eines Glukose-Insulin-Gemischs, um eine Hypokalämie bzw. Kaliumchlorid, um eine Hyperkalämie auszulösen). Diese Provokationstests wurden durch einen Belastungstest, der sicherer ist, und durch Gentests ersetzt. Die Behandlung hängt von der vorliegenden Form ab.

Jede Form von familiärer periodischer Paralyse betrifft einen anderen Gen- und Elektrolytkanal.

Bei der hypokaliämischen Form haben 70% der Betroffenen eine Mutation in der Alpha-Untereinheit des spannungsempfindlichen Muskelcalciumkanal-Gens auf Chromosom 1q (HypoPP Typ I). In einigen Familien ist die Mutation in der Alpha-Untereinheit des Natriumkanal-Gens auf Chromosom 17 (HypoPP Typ II). Obwohl die hypokaliämische Form die häufigste Form der familiären periodischen Lähmung ist, ist sie mit einer Prävalenz von 1/100.000 dennoch recht selten.

Die hyperkalämische Form beruht auf Mutationen in einem Gen, das für die Alpha-Untereinheit des Skelettmuskelnatriumkanals (SCN4A) kodiert.

Bei der thyreotoxischen Form sind die Mutationen und die betroffenen Elektrolytkanäle nicht bekannt, aber diese Form geht in der Regel mit einer Hypokaliämie einher und ist mit Symptomen einer Thyreotoxikose assoziiert. Die Prävalenz der thyreotoxischen Form ist bei asiatischen Männern am höchsten.

Das Andersen-Tawil-Syndrom ist eine seltene, autosomal-dominant Störung, die in der Regel durch Mutationen im KCNJ2-Gen auf Chromosom 17q24.3 oder seltener im KCNJ5-Gen verursacht wird. Die Patienten können einen hohen, einen niedrigen oder einen normalen Serumkaliumspiegel haben.

Symptome und Anzeichen einer familiären periodischen Paralyse

Hypokaliämische periodische Paralyse

Vorfälle beginnen in der Regel vor dem Alter von 16 Jahren. Oft wachen die Patienten morgens mit einer Muskelschwäche auf, nachdem sie am vorangegangenen Tag schwere körperliche Arbeit geleistet haben. Die Schwäche kann leicht sein und auf bestimmte Muskelgruppen beschränkt bleiben oder sie kann alle vier Extremitäten erfassen. Vorfälle werden auch durch kohlenhydratreiche Mahlzeiten, emotionalen oder körperlichen Stress, Alkoholkonsum und Kälteexposition ausgelöst. Oropharyngeale Muskeln und die Atemmuskulatur bleiben meistens verschont. Das Bewusstsein ist nicht verändert. Serum- und Urinkalium sind vermindert. Die Schwäche dauert bis zu 24 h. (Siehe auch Hypokaliämie.)

Hyperkaliämische periodische Paralyse

Vorfälle beginnen oft in jüngeren Jahren. Sie sind gewöhnlich kürzer, häufiger und weniger schwer. Die Anfälle können durch Ruhe nach einer körperlichen Anstrengung, körperliche Belastung nach Mahlzeiten oder durch Fasten ausgelöst werden. Eine Myotonie (verlängerte Erholung nach einer Muskelkontraktion) ist häufig zu beobachten. Ein myotoner Lidschlag kann das einzige Symptom sein. (Siehe auch Hyperkaliämien)

Thyrotoxische periodische Lähmung

Anfälle können von Stunden bis zu Tagen andauern und werden in der Regel durch Bewegung, Stress, Belastung oder Kohlenhydrataufnahme, ähnlich wie bei der hypokaliämischen Form ausgelöst. Die Symptome sind die einer Hyperthyreose (z. B. Angst, emotionale Labilität, Schwäche, Zittern, Herzklopfen, Hitzeintoleranz, vermehrtes Schwitzen, Gewichtsverlust). Den klinischen Merkmalen einer Hyperthyreose gehen oft periodischen Lähmungen über Monate und Jahre voraus. Allerdings werden die klinischen Merkmale einer Hyperthyreose aber auch zur selben Zeit wie diese Lähmungen festgestellt (bei bis zu 60% der Patienten) oder nach der Entwicklung einer periodischen Paralyse (bei bis zu 17% der Patienten).

Andersen-Tawil-Syndrom

Vorfälle beginnen in der Regel vor dem 20. Lebensjahr mit allen oder manchen Komponenten der folgenden Triade

  • Periodische Lähmung

  • Verlängertes QT-Intervall und ventrikuläre Arrhythmien

  • Dysmorphe physikalische Merkmale

Zu den dysmorphen physikalischen Merkmalen gehören Kleinwuchs, hoher Gaumen, tiefsitzende Ohren, breite Nase, Mikrognathie, Hypertelorismus, Klinodaktylie der Finger, kurze Zeigefinger und Syndaktylie der Zehen.

Die Anfälle können durch Ruhe nach einer körperlichen Anstrengung ausgelöst werden, mehrere Tage andauern und monatlich auftreten.

Diagnose der familiären periodischen Paralyse

  • Verlauf typischer Episoden

  • Serum-Kalium-Bestimmung während Symptome

  • Belastungstest

  • Gentests

Der beste Fingerzeig ist eine Anamnese mit typischen Anfällen. Während der Vorfälle ist die Bestimmung des Serum-Kaliums wichtig. Zuvor wurde für die Diagnose versucht, Episoden durch Gabe von Dextrose und Insulin (um die hypokaliämische Form zu verursachen) oder Kaliumchlorid (um die hyperkalämische Form zu verursachen), aber da diese Tests Atemlähmung oder Herzleitungsstörungen verursachen können und nicht für die Diagnose erforderlich sind, wurden sie durch einen sichereren Belastungstest ersetzt. Beim Belastungstest belastet der Patient einen einzelnen Muskel 2 bis 5 Minuten lang kräftig, um eine fokale Muskelschwäche hervorzurufen. Die Schwäche wird durch eine elektrophysiologische Untersuchung, das sogenannte Compound Muscle Action Potential (CMAP), beurteilt, die vor und nach dem Training durchgeführt wird. Eine Abnahme von ≥ 40% nach der Belastung ist auffällig und steht im Einklang mit einer periodischen Lähmung.

Die Diagnose der hyperkaliämischen Form basiert auf klinischen Befunden und/oder der Identifizierung einer heterozygoten pathogenen Variante in der Alpha-Untereinheit des Natriumkanals des Skelettmuskels.

Behandlung der familiären periodischen Paralyse

  • Richtet sich nach Art und Schwere

Hypokaliämische periodische Paralyse

Die Anfälle der hypokalämischen Paralyse kann man mit der Gabe von Kaliumchlorid 2–10 g in einer ungezuckerten oralen Lösung oder mit IV Kaliumchöorid behandeln. Das Vermeiden einer kohlenhydratreichen Ernährung, eine natriumarme Ernährung, die Vermeidung von schwerer körperlicher Aktivität oder Alkohol nach Ruhephasen sowie Acetazolamid 250 mg oral 2-mal täglich kann hypokalämischen Anfällen vorbeugen.

Hyperkaliämische periodische Paralyse

Vorfälle mit leichter Lähmung können beim Einsetzen durch leichte Bewegung und durch eine orale Einnahme von 2-g/kg Kohlehydraten gestoppt werden Ein vollständig ausgebildeter Vorfall erfordert die Zufuhr von Thiazid, Acetazolamid oder inhalativen Beta-Mimetika. Schwere Episoden erfordern Kalziumglukonat und Insulin und Dextrose IV (siehe auch Behandlung von schwerer Hyperkalämie). Die häufige Einnahme einer kohlenhydratreichen, kaliumarmen Mahlzeit und ein Verzicht auf Fasten, körperliche Belastung und Kälteexposition können zur Vermeidung eines hyperkalämischen Anfalls beitragen.

Thyrotoxische periodische Lähmung

Akute Vorfälle werden mit Kaliumchlorid behandelt. Die Serum-Kalium-Spiegel werden genau kontrolliert. Vorfälle werden durch die Aufrechterhaltung eines euthyreoten Zustands und durch die Gabe eines Beta-Blockers (z. B. Propranolol) verhindert (siehe Behandlung von Hyperthyreose)

Andersen-Tawil-Syndrom

Neben Änderungen des Lebensstils einschließlich streng kontrollierter Übungen oder Aktivität, können Anfälle durch die Gabe eines Carboanhydrasehemmers (z. B. Acetazolamid) verhindert werden. Die Hauptkomplikation des Andersen-Tawil-Syndroms ist ein plötzlicher Tod aufgrund von kardialen Arrhythmien und ein Herzschrittmacher oder implantierbare Kardioverter-Defibrillator kann erforderlich sein, um die kardialen Symptome zu kontrollieren.

Wichtige Punkte

  • Es gibt 4 Typen von familiärer periodischer Paralyse, die durch seltene Mutationen von Membran-Elektrolyt-Kanälen verursacht werden.

  • Das Serum Kalium ist in der Regel, aber nicht immer, ungewöhnlich hoch oder niedrig.

  • Die Patienten haben intermittierende Episoden von Schwäche, in der Regel ausgelöst durch Bewegung und manchmal durch Mahlzeiten (vor allem wenn sie Kohlenhydrate enthalten) oder Alkohol.

  • Die Diagnose wird durch typische Symptome und Messung des Serumkaliums während der Symptome gestellt; manchmal wird ein Belastungstest durchgeführt.

  • Vorfälle werden durch Korrektur des Kaliumspiegels behandelt, und durch eine Änderung des Lebensstils.