Übelkeit und Erbrechen bei Säuglingen und Kindern

VonDeborah M. Consolini, MD, Thomas Jefferson University Hospital
Überprüft/überarbeitet Nov. 2022
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Übelkeit ist das Gefühl nahenden Erbrechens und wird häufig von autonomen Veränderungen wie erhöhte Herzfrequenz und Speichelfluss begleitet. Übelkeit und Erbrechen treten in der Regel hintereinander auf, aber sie können auch unabhängig voneinander einsetzen z. B. beim Erbrechen ohne vorhergehende Übelkeit als Folge eines erhöhten intrakraniellen Drucks.

Erbrechen ist unangenehm und kann Austrocknung verursachen, weil Flüssigkeit verloren geht und weil die Fähigkeit, durch das Trinken zu rehydratisieren, begrenzt ist.

Pathophysiologie

Erbrechen ist der letzte Teil einer Abfolge von Ereignissen, die durch das Brechzentrum in der Medulla koordiniert werden. Das Brechzentrum kann durch afferente Nervenbahnen vom Verdauungsorganen (z. B. Rachen, Magen, Dünndarm) und nondigestiven Organen wie Herz und Hoden die Chemorezeptortriggerzone der Area postrema auf dem Boden des 4. Ventrikels und andere Zentren des Zentralnervensystems aktivieren, wie z. B. Hirnstamm oder Gleichgewichtsorgan. Bei diesem Vorgang spielen Dopamin- und Serotonin-Rezeptoren eine Rolle.

Ätiologie

Die Ursachen von Erbrechen variieren mit dem Lebensalter und reichen von relativ gutartigen bis hin zu potenziell lebensbedrohlichen ( siehe Tabelle: Einige Ursachen von Erbrechen bei Säuglingen, Kindern und Jugendlichen). Erbrechen ist ein Schutzmechanismus, der dem Körper hilft, mögliche Giftstoffe auszustoßen. Es kann aber auch Indiz für eine schwerwiegende Krankheit sein (wie z. B. Darmverschluss). Giftgrünes Erbrechen deutet auf einen hohen Darmverschluss hin und erfordert vor allem bei einem Säugling eine sofortige Abklärung.

Säuglinge

Säuglinge spucken normalerweise kleine Mengen (in der Regel < 5–10 ml) während oder kurz nach dem Stillen, wenn sie aufstoßen müssen. Schnelle Fütterung, Luftschlucken und Überfütterung können Ursachen sein, obwohl Spucken auch ohne diese Faktoren auftreten kann. Gelegentliches Erbrechen kann ebenfalls normal sein, aber wiederholtes Erbrechen ist nicht normal.

Zu den häufigsten Ursachen von Erbrechen bei Neugeborenen und Säuglingen gehören:

Zu weiteren wichtigen Ursachen bei Neugeborenen und Säuglingen gehören:

Zu den weniger häufigen Ursachen von rezidivierendem Erbrechen gehören Sepsis und Nahrungsmittelunverträglichkeiten. Stoffwechselstörungen (z. B. Störungen des Harnstoffzyklus, organische Acidämie) sind selten, aber können sich mit Fieber manifestieren.

Ältere Kinder

Die häufigste Ursache ist

Auch ander Infektionen als gastrointestinale Infektionen können Episoden von Erbrechen zur Folge haben. Zu anderen Ursachen, die zu berücksichtigen sind, gehören schwere Infektionen (z. B. Meningitis, Pyelonephritis), akutes Abdomen (z. B. Appendizitis), erhöhter Hirndruck sekundär zu einer Raumforderung (z. B. verursacht durch ein Trauma oder einen Tumor) sowie zyklisches Erbrechen.

Zu den Ursachen für Erbrechen bei Jugendlichen gehören auch Schwangerschaft, Essstörungen und die Einnahme toxischer Substanzen (z. B. Acetaminophen, Eisen, Ethanol) oder Hyperemesis infolge des häufigen Konsums von Cannabis (Cannabinoid-Hyperemesis-Syndrom).

Tabelle
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Abklärung

Die Abklärung umfasst die Beurteilung der Schwere (z. B. Dehydratation, chirurgische oder andere lebensbedrohliche Erkrankung) und die Diagnose der Ursache.

Anamnese

Der Verlauf der aktuellen Krankheit sollte bestimmen, wann das Erbrechen anfing, wie häufig und welcher Art es war, z. B. schwallartig, gallig oder in geringer Menge oder wie Aufstoßen. Jedes Muster, das bei dem Erbrechen zu erkennen ist (z. B. nach der Fütterung, nur nach bestimmten Lebensmitteln, vor allem am Morgen oder in wiederkehrenden zyklischen Folgen) kann für die Diagnose wichtig sein. Wichtige Begleitsymptome sind Durchfall (mit oder ohne Blut), Fieber, Appetitlosigkeit und Bauchschmerzen, Blähungen, oder beides. Der Rhythmus der Darmentleerungen und ihre Konsistenz sowie die Urinausscheidung sollte beachtet werden. Es sollte eine Anamnese möglicher Ingestionen oder des Drogenkonsums (insbesondere des Konsums von Cannabinoiden) erhoben werden.

Eine Überprüfung der Organsysteme sucht nach Symptomen zugrunde liegender Störungen: Schwäche, Probleme beim Stillen, Gedeihstörung (metabolische Störungen), Verzögerung beim Mekoniumabgang, Bauchauftreibung, Lethargie (Darmverschluss), Kopfschmerzen, Nackensteifigkeit und Seestörungen (intrakranielle Störungen), Heißhungerattacken, gestörte Wahrnehmung des eigenen Körpers (Essstörungen), ausbleibende Menstruationsblutung, Schwellung der Brüste (Schwangerschaft), Hautausschläge (Exzeme oder Nesselsucht bei Nahrungsmittelallergien, Petechien bei Sepsis oder Meningitis), Ohren- oder Halsschmerzen (fokale nicht-GI-Unfektion), Fieber mit Kopfschmerzen, Nacken- oder Rückenschmerzen oder Bauchschmerzen (Meningitis, Pyelonephritis oder Appendizitis).

DIe Anamnese der Vorgeschichte sollte vorgenommene Reisen (mögliche infektiöse Gastroenteritis), kürzliche Kopfverletzungen oder ungeschützten Geschlechtsverkehr (Schwangerschaft) beachten.

Körperliche Untersuchung

Die vitalen Parameter werden auf Indikatoren einer Infektion (z. B. Fieber) oder eines Volumenmangels (z. B. Tachykardie, Hypotonie) überprüft

Während der allgemeinen Untersuchung werden Anzeichen von Schmerzen (z. B. Lethargie, Reizbarkeit, untröstliches Weinen) und Anzeichen von Gewichtsverlust (Kachexie) oder Gewichtszunahme festgestellt.

Weil die Untersuchung des Bauches Schmerzen verursachen kann, sollte die körperliche Untersuchung mit dem Kopf beginnen. Die Untersuchung von Kopf und Hals achtet besonders auf Anzeichen einer Infektion (z. B. rotes, pralles Trommelfell, sich ausbeulende Fontanelle, vergrößerte Mandeln) und Dehydratation (trockene Schleimhäute, fehlende Tränenflüssigkeit). Der Hals sollte passiv gebeugt werden, um Widerstand oder Unbehagen zu erkennen, was darauf auf Hirnhautreizung hindeuten kann.

Die kardiologische Untersuchung achtet auf Tachykardie (Dehydratation, Fieber, Unwohlsein). Die Untersuchung des Bauches achtet auf Ausdehnung (Aufgetriebenheit), Darmgeräusche (z. B hohe Töne, normale Geräusche, fehlende Geräusche), Weichheit der Bauchdecke, Anzeichen von Anspannung, Steifigkeit oder Klopfschmerz (peritoneale Zeichen) und ob eine Organvergrößerung oder eine Raumforderung ertastet werden kann.

Die Haut und die Extremitäten werden auf Petechien oder Purpura (schwere Infektion) oder andere Hautausschläge (mögliche Virusinfektion oder Anzeichen von Atopie) untersucht, sowie auf Gelbsucht (mögliche Stoffwechselstörung) und Anzeichen von Austrocknung wie z. B schlechter Hautturgor, verzögerte Rekapillarisierungszeit.

Wachstumsparameter und Zeichen der Entwicklungsfortschritte sind ebenfalls zu beachten.

Warnhinweise

Die folgenden Befunde sind von besonderer Bedeutung:

  • Galligens Erbrechen

  • Lethargie oder Lustlosigkeit

  • Untröstlichkeit und pralle Fontanelle bei Säuglingen

  • Nackensteifigkeit, Lichtempfindlichkeit und Fieber bei älteren Kindern

  • Peritoneale Zeichen oder Bauchauftreibung (chirurgisches Abdomen)

  • Persistierendes Erbrechen bei schlechtem Wachstum oder verzögerter Entwicklung

Interpretation der Befunde

Erste Befunde helfen dabei zu bestimmen, wie schwerwiegend die Erkrankung ist und wie notwendig eine sofortige Intervention ist.

  • Alle Neugeborenen oder Säuglinge mit rezidivierendem oder galligem (gelbem oder grünem) oder schwallartigen Erbrechen hat höchstwahrscheinlich einen gastrointenstinale Obstruktion und erfordert wahrscheinlich einen chirurgischen Eingriff.

  • Ein Säugling oder Kind mit kolikenartigen Bauchschmerzen, Anzeichen von intermittierenden Schmerzen oder Apathie begleitet von fehlendem oder blutigem Stuhlgang muss auf Invagination untersucht werden.

  • Ein Kind oder Jugendlicher mit Fieber, Nackensteifigkeit und Lichtempfindlichkeit sollte auf Meningitis untersucht werden.

  • Ein Kind oder Jugendlicher mit Fieber und Bauchschmerzen mit Erbrechen, Appetitlosigkeit und verminderten Darmgeräuschen sollte auf eine Blinddarmentzündung untersucht werden.

  • Jede jüngste Geschichte von Kopfverletzungen oder chronischen progressiven Kopfschmerzen mit Erbrechen am Morgen und Sehstörungen deuten auf intrakranielle Hypertension hin.

Andere Befunde werden in erster Linie abhängig vom Alter beurteilt ( siehe Tabelle: Einige Ursachen von Erbrechen bei Säuglingen, Kindern und Jugendlichen).

Unruhe, Würgen, sowie respiratorische Symptome und Krankheitszeichen wie Stridor bei Säuglingen können Manifestationen eines gastroösophagealen Refluxes sein. Ein Entwicklungsrückstand und neurologische Auffälligkeiten lassen eine Störung des Zentralnervensystems oder eine metabolische Erkrankung vermuten. Verzögerter Mekoniumabgang, gefolgt von Erbrechen oder beides zugleich können Hinweise auf Morbus Hirschsprung oder intestinale Stenose sein.

Bei Kindern und Jugendlichen kann Fieber auf eine Infektion hinweisen. Die Kombination von Erbrechen und Durchfall deutet auf akute Gastroenteritis. Läsionen an Fingern und Erosion des Zahnschmelzes oder ein Jugendlicher, der sich um seinen Gewichtsverlust keine Sorgen macht oder ein gestörtes Körperbild hat, lassen eine Essstörung vermuten. Morgendliche Übelkeit und Erbrechen, Amenorrhö und möglicherweise Gewichtszunahme deuten auf eine Schwangerschaft. Episoden von Erbrechen in der Vergangenheit, die episodisch, von kurzer Dauer und ohne weitere Begleitsymptome weisen auf zyklisches Erbrechen hin.

Tests

Tests sollten je nach der vermuteten Grunderkrankung vorgenommen werden ( siehe Tabelle: Einige Ursachen von Erbrechen bei Säuglingen, Kindern und Jugendlichen). Bildgebende Untersuchungen werden in der Regel durchgeführt, um Pathologien des Abdomens oder des zentralen Nervensystems zu untersuchen. Verschiedene spezielle Blutuntersuchungen oder --kulturen können durchgeführt werden, um ererbte Stoffwechselstörungen oder ernste Infektionen zu diagnostizieren.

Bei Verdacht auf Dehydratation oder bei längerem Erbrechen sollten die Serumelektrolyte gemessen werden (siehe auch Pathophysiologie der Dehydratation bei Kindern.)

Behandlung

Die Behandlung von Übelkeit und Erbrechen richtet sich nach der Grunderkrankung. Rehydratation ist wichtig.

Medikamente, die häufig bei Erwachsenen eingesetzt werden, um Übelkeit und Erbrechen zu minimieren, werden bei Kindern seltener genutzt. Gründe dafür sind: Die Wirksamkeit der Behandlung ist nicht erwiesen, es sind Nebenwirkungen möglich und die Medikamente können die ursächliche Erkrankung maskieren. Wenn die Übelkeit oder das Erbrechen jedoch schwer oder unablässig ist, können Antiemetika bei Kindern > 2 Jahren vorsichtig eingesetzt werden. Geeignete Medikamente umfassen

  • Promethazin: bei Kindern > 2 Jahren, 0,25 bis 1 mg/kg (maximal 25 mg) p.o., i.m., IV oder rektal alle 4 bis 6 Stunden

  • Prochlorperazin: bei Kindern > 2 Jahren, die zwischen 9 und 13 kg wiegen, 2,5 mg p.o. alle 12 bis 24 Stunden; für diejenigen, die zwischen 13 und 18 kg wiegen, 2,5 mg p.o. alle 8 bis 12 Stunden; für diejenigen, die 18 bis 39 kg wiegen, 2,5 mg p.o. alle 8 Stunden; für diejenigen > 39 kg, 5 bis 10 mg p.o. alle 6 bis 8 Stunden

  • Metoclopramid: 0,1 mg/kg p.o. oder IV alle 6 Stunden (maximal 10 mg/Dosis)

  • Ondansetron: 0,15 mg/kg (maximal 8 mg) IV alle 8 Stunden oder, wenn die orale Form verwendet wird, für Kinder zwischen 2 und 4 Jahren, 2 mg alle 8 Stunden; für diejenigen zwischen 4 und 11 Jahren, 4 mg alle 8 Stunden; für diejenigen ≥ 12 Jahren, 8 mg alle 8 Stunden

Promethazin ist ein H1-Rezeptor-Blocker (Antihistaminikum), der die Brechzentrumsreaktion auf periphere Stimulanzien hemmt. Die häufigsten unerwünschten Wirkungen sind Atemdepression, Sedierung, Schwindel, Angstzustände, verschwommenes Sehen, Mundtrockenheit, Impotenz und Obstipation; das Medikament ist bei Kindern < 2 Jahren kontraindiziert. Therapeutische Dosen von Promethazin können extrapyramidale Nebenwirkungen, einschließlich Torticollis, verursachen.

Prochlorperazin ist ein schwacher Dopamin-Rezeptor-Blocker, der die Chemorezeptor-Trigger-Zone unterdrückt. Schläfrigkeit, Schwindel, Angstzustände, seltsame Träume, Schlaflosigkeit, Galaktorrhö, Akathisie und Dystonie sind die häufigsten unerwünschten Wirkungen.

Metoclopramid ist ein Dopamin-Rezeptor-Antagonist, der sowohl zentral als auch peripher durch Erhöhung der Magenmotilität und Abnahme der Afferenzen auf die Chemorezeptor-Triggerzone wirkt. Schläfrigkeit, Schwindel, Unruhe, Kopfschmerzen, Diarrhö, Akathisie und Dystonie sind die häufigsten unerwünschten Wirkungen.

Ondansetron ist ein selektiver Serotonin-(5-HT3)-Rezeptor-Blocker, der die Einleitung des Brechreflexes in der Peripherie hemmt. Eine Einzeldosis von Ondansetron ist sicher und wirksam bei Kindern, die eine akute Gastroenteritis haben und eine orale Rehydratationstherapie (ORT) nicht vertragen. Durch die Erleichterung von ORT kann dieses Medikament den Bedarf intravenöser Flüssigkeiten oder, bei Kindern, die Infusionen erhalten, einen Krankenhausaufenthalt verhindern. In der Regel wird nur eine Einzeldosis verwendet, da wiederholte Dosen persistenten Durchfall verursachen können. Weitere häufige unerwünschte Wirkungen sind Kopfschmerzen, Schwindel, Schläfrigkeit, verschwommenes Sehen, Obstipation, Muskelsteifheit, Tachykardie und Halluzinationen.

Wichtige Punkte

  • Im Allgemeinen ist die häufigste Ursache von Erbrechen akute virale Gastroenteritis.

  • Assoziierter Durchfall deutet auf eine infektiöse Ursache des Gastrointestinaltrakts hin.

  • Galliges Erbrechen, blutige Stühle oder das Ausbleiben von Stuhlgang weist auf eine obstruktive Ursache hin.

  • Persistierendes Erbrechen (vor allem bei einem Säugling) erfordert eine sofortige Abklärung.