Sichelzellanämie

(Hämoglobin-S-Krankheit)

VonGloria F. Gerber, MD, Johns Hopkins School of Medicine, Division of Hematology
Überprüft/überarbeitet Apr. 2024
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Die Sichelzellanämie (eine Hämoglobinopathie) iverursacht eine chronische hämolytische Anämie, die häufig bei Menschen afrikanischer Abstammung auftritt. Die Sichelzellenanämie wird durch homozygote Vererbung von Genen für Hämoglobin (Hb) S oder Hb S beta 0 Thalassämie verursacht. Die Sichelzellanämie umfasst sowohl Personen mit Sichelzellanämie als auch solche mit HbSC-Krankheit, HbS beta+Thalassämie und anderen seltenen, die Sichelzellanämie verursachenden Varianten. Sichelförmige Erythrozyten verursachen Vasookklusion und sind anfällig für Hämolyse, was zu starken Schmerzkrisen, Organischämie und anderen systemischen Komplikationen führt. Häufig entwickeln sich akute Schmerzen (Krisen). Infektionen, Knochenmarkaplasie und Lungenbeteiligung (akutes Thoraxsyndrom) können akut auftreten und tödlich verlaufen. Anämie ist vorhanden, und Sichelzellen sind normalerweise am peripheren Abstrich erkennbar. Die Diagnose wird mittels Hämoglobinelektrophorese gestellt. Schmerzhafte Krisen werden mit Analgetika und supportiven Maßnahmen behandelt. Gelegentlich sind Transfusionen notwendig. Impfungen gegen bakterielle Infektionen, prophylaktische Antibiotikagabe und eine aggressive Behandlung von Infektionen verlängern das Überleben. Hydroxyharnstoff kann die Häufigkeit von Krisen und das akute Brustsyndrom verringern.

Hämoglobinopathien sind genetische Erkrankungen, die das Hämoglobinmolekül betreffen. Hämoglobin S war das erste anormale Hämoglobin, das identifiziert wurde. Patienten, die homozygot für HbS sind (etwa 0,3 % der Menschen afrikanischer Abstammung in den Vereinigten Staaten), haben Sichelzellenanämie; Patienten, die heterozygot sind (etwa 8 % der Menschen afrikanischer Abstammung in den Vereinigten Staaten), sind nicht anämisch, haben aber ein Risiko für andere Komplikationen (1).

Allgemeine Literatur

  1. 1. Centers for Disease Control and Prevention: Sickle cell disease (SCD): Data and statistics on sickle cell disease. Überarbeitet am 6. Juli 2023.

Pathophysiology of Sickle Cell Disease

Hämoglobinmoleküle bestehen aus Polypeptidketten, deren chemische Struktur genetisch festgelegt ist. Das normale Hämoglobinmolekül (Hämoglobin A) des Erwachsenen besteht aus 2 Paaren einer Kette, die als alpha und beta bezeichnet werden. Normales Erwachsenenblut enthält auch 2,5% Hämoglobin A2 (bestehend aus Alpha- und Delta-Ketten) und < 1,4% Hämoglobin F (fetales Hämoglobin), das anstelle von Beta-Ketten Gamma-Ketten aufweist (siehe auch Hämoglobinopathien in der Schwangerschaft). Hämoglobin F überwiegt während der Schwangerschaft und nimmt vor allem in den ersten Lebensmonaten allmählich ab; seine Konzentration steigt bei bestimmten Störungen der Hämoglobinsynthese sowie bei aplastischer Anämie anderen Störungen des Knochenmarks und myeloproliferativen Neoplasien an.

Einige Hämoglobinopathien führen zu Anämien, die bei Homozygoten schwer, bei Heterozygoten schwach ausfallen. Einige Patienten sind Compound-Heterozygoten für 2 verschiedene Hämoglobinopathien und haben Anämien unterschiedlichen Schweregrades.

Verschiedene Hämoglobinmoleküle werden durch ihre Wanderung bei der Elektrophorese unterschieden und alphabetisch in der Reihenfolge ihrer Entdeckung (z. B. A, B, C) benannt. Ausnahme ist das zuerst entdeckte pathologische Sichelzellhämoglobin, das als Hämoglobin S bezeichnet wurde. Strukturell unterschiedliche Hämoglobine mit der gleichen elektrophoretischen Wanderungsgeschwindigkeit sind nach der Stadt oder nach dem Ort ihrer Entdeckung benannt (z. B. Hämoglobin S Memphis, Hämoglobin C Harlem). Die Standardbeschreibung der Hämoglobinzusammensetzung eines Patienten führt zuerst das Hämoglobin mit der höchsten Konzentration auf (z. B. AS bei Sichelzelleigenschaften).

Zu den in den USA verbreiteten Anämien gehören die durch genetische Mutationen verursachten Hämoglobin Hb S- oder Hb C-Krankheiten sowie Thalassämien. Hb-E-Krankheitist bei Menschen mit südostasiatischer Abstammung weit verbreitet.

Beim Hämoglobin S ist die Glutaminsäure an der 6. Aminosäurenstelle der Beta-Kette gegen Valin ausgetauscht. Desoxygeniertes Hb S ist viel weniger löslich als oxygeniertes Hb A; es polymerisiert und bildet ein halbfestes Gel, das dazu führt, dass sich die Erythrozyten an Orten mit niedrigem Sauerstoffpartialdruck (PO2) sichelförmig verformen. Verzerrte, unflexible Erythrozyten haften am vaskulären Endothel, verursachen eine Entzündung und Vasokonstriktion und verstopfen kleine Arteriolen und Kapillaren, was zu einem Infarkt sowohl der Mikrogefäße als auch der großen Gefäße führt (z. B. verursacht Schlaganfall). Eine Vaso-Okklusion verursacht auch eine endotheliale Verletzung, die zu einer Entzündung führt und zu Thrombosen führen kann. Da Sichelzellen fragil sind, führt das mechanische Trauma der Zirkulation zur Hämolyse (siehe Hämolytische Anämien im Überblick). Chronische kompensatorische Hyperaktivität des Knochenmarks und ischämische Schädigung verformen die Knochen.

Akute Exazerbationen

Akute Exazerbationen (Krisen) treten intermittierend und häufig ohne bekannten Grund auf. In einigen Fällen scheint die Krise hervorgerufen zu werden durch

  • Fieber

  • Virale Infektion

  • Lokales Trauma

Die vaso-okklusive Krise (Schmerzkrise) ist der häufigste Typ; sie wird durch Gewebehypoxie verursacht und führt zu Ischämie und Infarkt, typischerweise in den Knochen, aber auch in Milz, Lunge oder Nieren.

Aplastische Krise tritt auf, wenn die Markerythropoese während einer akuten Infektion durch das menschliche Parvovirus verlangsamt wird, wobei eine akute Erythroblastopenie auftreten kann.

Das akute Thoraxsyndrom entsteht durch die mikrovaskuläre Okklusion in der Lunge und ist mit Mortalitätsraten von bis zu 10% eine häufige Todesursache. Es tritt in allen Altersgruppen auf, am häufigsten jedoch bei Kindern. Wiederholte Episoden sowie andere Faktoren prädisponieren für eine chronische pulmonale Hypertonie.

Die Sequestrierungskrise tritt typischerweise bei Kindern auf, deren Milz durch wiederholte Milzinfarkte noch nicht fibrotisch geworden ist. Die akute Sequestrierung von Sichelzellen in der Milz verschlimmert die Anämie.

Hepatische Sequestrierung kann bei Kindern oder Erwachsenen auftreten und Schmerzen im rechten oberen Quadranten verursachen. Es kann zu einer raschen Vergrößerung der Leber kommen, die von intrahepatischer Cholestase und Nierenversagen begleitet sein kann.

Ein Priapismus, eine schwere Komplikation, die zur erektilen Dysfunktion führen kann, tritt am häufigsten bei jungen Männern auf.

Komplikationen

Chronische Milzschäden können zu Autoinfarkt führen und die Anfälligkeit für Infektionen, insbesondere Pneumokokken- und SalmonellaSalmonellenSalmonellainfektionen (einschließlich Salmonellenosteomyelitis), erhöhen. Diese Infektionen treten besonders häufig in der frühen Kindheit auf und können tödlich verlaufen.

Rezidivierende Ischämie und Infarkte können chronische Funktionsstörungen mehrerer verschiedener Organsysteme verursachen. Zu den Komplikationen gehören ischämischer Schlaganfall, Moyamoya, Anfälle, avaskuläre Nekrose, Nierenkonzentrationsstörungen, renale Papillennekrose, chronische Nierenerkrankung, Herzinsuffizienz, pulmonale Hypertonie, Lungenfibrose sowie Retinopathie.

Heterozygote Patienten

Patienten, die heterozygot sind (Hb AS), erfahren keine Hämolyse oder schmerzhafte Krisen. Sie haben jedoch ein erhöhtes Risiko von chronischem Nierenleiden und Lungenembolie (1). Darüber hinaus kann Rhabdomyolyse selten bei anhaltender, anstrengender körperlicher Betätigung auftreten. Häufig findet man eine verminderte Fähigkeit der Urinkonzentration (Hypostenurie). Eine unilaterale Hämaturie, die über unbekannte Mechanismen auftritt und meist die linke Niere betrifft, kann vorkommen, ist aber selbstlimitierend. Es können typische Papillennekrosen der Nieren auftreten, die jedoch seltener sind als bei homozygoten Patienten und es besteht ein Zusammenhang mit dem extrem seltenen Markraumkarzinom der Niere.

Hinweis zur Pathophysiologie

  1. 1. Naik RP, Smith-Whitley K, Hassell KL, et al. Clinical Outcomes Associated With Sickle Cell Trait: A Systematic Review. Ann Intern Med 2018;169(9):619-627. doi:10.7326/M18-1161

Symptome und Anzeichen von Sichelzellenanämie

Die meisten Symptome treten nur bei homozygoten Patienten auf und sind Folge der

  • Anämie

  • Anämie und von Venenverschlüssen, die zu Gewebe-Ischämie und Infarzierung führen.

Die Anämie kann schwerwiegend sein, variiert jedoch je nach Patient und Genotyp und wird in der Regel kompensiert; leichte Gelbsucht und Blässe sind häufig.

Bei Kindern findet man häufig eine Hepatosplenomegalie. Bei Erwachsenen ist die Milz jedoch aufgrund von wiederholten Infarzierungen und nachfolgenden Fibrosen (Autosplenektomie) meist atrophiert. Kardiomegalie und systolische Ejektionsgeräusche kommen häufig vor. Cholelithiasis und chronische, ausgestanzte Hautgeschwüre an den Knöcheln treten auf.

Die schmerzhafte vaso-okklusive Krise verursacht starke Schmerzen in langen Knochen, Händen und Füßen, Rücken und Gelenken.

Charakteristisch für das akute Thoraxsyndrom ist das plötzliche Auftreten von Fieber, Thoraxschmerzen und pulmonalen Infiltraten. Eine bakterielle Lungenentzündung kann folgen. Es kann sich schnell eine Hypoxie entwickeln, was Atemnot zur Folge hat.

Diagnose von Sichelzellenanämie

  • DNA-Test (Pränataldiagnostik)

  • Peripherer Blutausstrich

  • Untersuchung der Löslichkeit

  • Hämoglobinelektrophorese (oder Dünnschicht-isoelektrische Fokussierung)

Die Art des durchzuführenden Tests ist abhängig vom Alter des Patienten. DNA-Tests können in der pränatalen Diagnostik oder zur Diagnosebestätigung eines Sichelzellanämie-Genotyps eingesetzt werden. Das Screening von Neugeborenen beinhaltet eine Hämoglobinelektrophorese. Screening und Diagnose bei Kindern und Erwachsenen umfasst die Untersuchung des peripheren Blutausstrichs, die Hämoglobinlöslichkeit und die Hämoglobinelektrophorese.

Pränatale Diagnostik

Die PCR (Polymerase-Kettenreaktion) ist sensitiv, wenn sie zur pränatalen Diagnose eingesetzt wird. Sie wird für Familien mit einem erhöhten Risiko für Sichelzellenanämie empfohlen (z. B. Paare mit Anämie in der eigenen Vorgeschichte oder Familienanamnese oder mit einem angenommenen ethnischen Hintergrund). DNA-Proben können durch Chorionzottenbiopsie in der 10.–12. Schwangerschaftswoche gewonnen werden. Das Fruchtwasser kann auch in der 14.–16. Woche getestet werden. Die Diagnose ist wichtig für die genetische Beratung.

Neugeborenenscreening

Allgemeines Testen wird empfohlen. Der Test auf Sichelzellenanämie ist häufig Teil einer Reihe von Screening-Tests für Neugeborene. Um zwischen Hämoglobin F, S, A und C zu unterscheiden, wird eine Hämoglobinelektrophorese auf Celluloseacetat oder saurem Citratagar, eine Dünnschicht-isoelektrische Fokussierung oder eine Hämoglobinfraktionierung mittels Hochleistungsflüssigkeitschromatographie (HPLC) empfohlen. Zur Bestätigung sollte der Test im Alter von 3–6 Monaten wiederholt werden. Der Löslichkeitstest für Hämoglobin S ist in den ersten Lebensmonaten unzuverlässig.

Screening und Diagnose bei Kindern und Erwachsenen

Patienten mit Sichelzellanämie in der Familienanamnese sollten mittels peripherem Blutausstrich, Löslichkeitstest für Hämoglobin und Hämoglobinelektrophorese untersucht werden.

Patienten mit Symptomen oder Anzeichen, die auf die Erkrankung oder ihre Komplikationen hindeuten (z. B. schlechtes Wachstum, akute und ungeklärte Knochenschmerzen, insbesondere in den Fingern, aseptische Nekrose des Hüftkopfes, ungeklärte Hämaturie), und Patienten afrikanischer Abstammung mit normozytärer Anämie (insbesondere wenn eine Hämolyse vorliegt) benötigen Labortests für hämolytische Anämie Hämoglobinelektrophorese und Untersuchung der Erythrozyten auf Sichelzellenbildung. Die Zellen sind normozytär (Mikrozytose deutet auf eine begleitende Alpha- oder Beta-Thalassämie hin). Kernhaltige Erythrozyten kommen häufig im peripheren Blut vor, und eine Retikulozytose von 10% ist häufig. Getrocknete Blutausstriche zeigen häufig Sichelzellen (sichelförmig, oft mit verlängerten oder spitzen Enden).

Der homozygote Zustand wird von anderen Hämoglobinopathien durch eine Elektrophorese unterschieden, die nur Hb S mit einem variablen Anteil an Hb F zeigt. Bei Heterozygoten zeigt sich in der Elektrophorese ein Überwiegen von Hämoglobin A gegenüber Hämoglobin S.

Für die Diagnose ist keine Knochenmarkuntersuchung notwendig. Wird sie zur Differenzierung von anderen Anämieformen durchgeführt, zeigt sie eine Hyperplasie, bei der Normoblasten überwiegen; das Knochenmark kann bei schweren Infektionen oder Krisen aplastisch werden. Die Erythrozytensedimentationsrate (ESR), die zum Ausschluss anderer Krankheiten (z. B. juvenile rheumatoide Arthritis, die zu Hand- und Fußschmerzen führt) bestimmt wird, zeigt niedrige Werte.

Zu den begleitenden, radiologisch nachweisbaren Skelettveränderungen gehören die Erweiterung der Diploeräume des Schädels und das Bild eines Bürstenschädels aufgrund von Trabekelveränderungen in den Diploeräumen. Die langen Röhrenknochen zeigen häufig eine kortikale Verschmälerung, unregelmäßige Dichten und Zeichen der Knochenneubildung im Markraum.

Bei einer unerklärten Hämaturie sollte an eine Sichelzellkrankheit gedacht werden, auch wenn bei dem Patienten eine solche bisher nicht vermutet wurde.

Diagnostik bei Exazerbationen

Bei Patienten mit einer bekannten Sichelzellkrankheit und einer akuten Exazerbation mit Schmerzen, Fieber oder anderen Symptomen einer Infektion sollten eine aplastische Krise in Erwägung gezogen und ein Blutbild gemacht und die Retikulozytenwerte bestimmt werden. Ein Retikulozytenwert < 1% ist ein Hinweis auf eine aplastische Krise, vor allem wenn der Hämoglobinwert unter den für den Patienten üblichen Wert sinkt. Während einer schmerzhaften Krise ohne Aplasie steigt der Leukozytenwert, oft mit einer Verschiebung nach links (besonders während einer bakteriellen Infektion). Die Thrombozytenzahl ist in der Regel erhöht, kann aber mit dem akuten Brustkorbsyndrom sinken. so auch die Serumbilirubinwerte, z. B. 2–4 mg/dl (34–68 Mikromol/l). Im Urin kann Urobilinogen nachweisbar sein. Die vasookklusive Krise ist eine klinische Diagnose und kann nicht durch spezifische Laborbefunde bestätigt werden, obwohl bestimmte Laborbefunde auf den Schweregrad der Erkrankung und das Risiko einer Dekompensation hinweisen können (z. B. Thrombozyopenie, Retikulozytopenie, erhöhte Leberfunktionstests oder Kreatininwerte und erhöhte Troponinwerte).

Thoraxschmerzen oder Dyspnoe deuten auf ein akutes Thoraxsyndrom oder eine Lungenembolie hin. In diesem Fall sind eine Röntgenaufnahme des Brustkorbs und Pulsoxymetrie notwendig. Da das akute Thoraxsyndrom die Haupttodesursache bei Sichelzellenanämie ist, sind Früherkennung und Behandlung von entscheidender Bedeutung. Eine Hypoxämie oder parenchymale Infiltrate auf dem Röntgenthoraxbild deuten auf ein akutes Thoraxsyndrom oder eine Pneumonie hin, Eine neu aufgetretene Hypoxämie ohne pulmonale Infiltrate kann auf eine Lungenembolie hindeuten.

Bei Patienten mit Fieber sollte eine Infektion oder ein akutes Thoraxsyndrom in Erwägung gezogen werden. Es sollten Blutkulturen entnommen, eine Röntgenaufnahme des Brustkorbs und weitere entsprechende Untersuchungen durchgeführt werden.

Behandlung der Sichelzellanämie

  • Breitspektrumantibiotikum (bei Infektion)

  • Analgetika und IV Flüssigkeitszufuhr (bei gefäßverschließender schmerzhafter Krise)

  • Sauerstoff (bei Hypoxie)

  • Gelegentlich Transfusionen

  • Impfungen, Folsäuresubstitution und Hydroxyharnstoff (zur Erhaltung der Gesundheit)

  • Stammzelltransplantation (bei fortgeschrittenen Komplikationen)

Die Therapie umfasst regelmäßige Maßnahmen zur Erhaltung der Gesundheit sowie die spezifische Behandlung von auftretenden Komplikationen. Komplikationen werden supportiv behandelt.

Eine stationäre Aufnahme ist indiziert, wenn der Verdacht auf eine schwere (lokale oder systemische) Infektion, eine aplastische Krise oder ein akutes Thoraxsyndrom besteht. Indikationen für eine Hospitalisierung sind häufig auch nicht beherrschbare Schmerzen. Fieber allein sollte kein Grund für eine stationäre Aufnahme sein. Patienten, die akut krank erscheinen und eine Temperatur > 38° C haben, sollten jedoch stationär aufgenommen werden, damit Kulturen angelegt und Antibiotika IV verabreicht werden können.

Antibiotika

Patienten, bei denen eine schwere bakterielle Infektion oder ein akutes Thoraxsyndrom vermutet wird, benötigen umgehend ein Breitspektrumantibiotikum.

Analgetika

Schmerzhafte Sichelzellkrisen werden mit großzügiger Verabreichung von Analgetika, üblicherweise Opioiden, therapiert. Meperidin sollte mit Vorsicht angewendet werden. Nichtsteroidale entzündungshemmende Medikamente (NSAIDS) sind oft nützlich bei der Verringerung der Opioid-Anforderungen; sie müssen jedoch bei Patienten mit Nierenerkrankungen vorsichtig angewendet werden.

Intravenöse Hydratation

Obwohl eine Dehydrierung die Sichelzellbildung fördert und eine Krise auslösen kann, ist unklar, ob eine intensive Hydratation während einer Krise hilfreich ist. Dennoch ist die Aufrechterhaltung des normalen intravenösen Volumens ein wesentlicher Bestandteil der Therapie.

Sauerstoff

Bei Bedarf wird Sauerstoff verabreicht, um eine Hypoxie zu behandeln.

Transfusion

Transfusionen werden in vielen Situationen verabreicht, in denen ihre Wirksamkeit nicht systematisch untersucht worden ist. Allerdings ist eine chronische Transfusionstherapie zur Vorbeugung von rezidivierenden zerebralen Thrombosen, insbesondere bei Kindern, angezeigt, um den Hämoglobin-S-Anteil unter 30% zu halten.

In der Akutsituation gehören zu den spezifischen Indikationen für eine Transfusion:

  • Akute Milzsequestrierung

  • Aplastische Krise

  • kardiopulmonale Symptome oder Beschwerden (z. B. hochgradige Herzinsuffizienz, Hypoxämie mit PO2 < 65 mmHg)

  • präoperative Anwendung

  • Priapismus

  • Lebensbedrohliche Ereignisse, die von einer verbesserten Sauerstoffversorgung profitieren würden (z. B. Sepsis, schwere Infektionen, akutes Thoraxsyndrom, akuter Schlaganfall, akute Organischämie)

  • gelegentlich Schwangerschaft

Die Transfusion ist während einer unkomplizierten schmerzhaften Krise nicht hilfreich.

Eine einfache Transfusion kann durchgeführt werden, wenn das Ziel eine Anämie ist, beispielsweise während einer aplastischen Krise oder einer Milz- oder Hepatischsequestration.

Austauschtransfusionen werden bei schweren akuten Ereignissen wie dem akuten Brustkorbsyndrom oder Schlaganfall durchgeführt, um den Hämoglobin-S-Prozentsatz zu senken und eine Ischämie zu verhindern. Wenn das Ausgangshämoglobin niedrig ist (< 7 g/dl, [< 70 g/l]), kann eine Austauschtransfusion nicht eingeleitet werden, bevor nicht zuerst Erythrozyten transfundiert wurden. Partielle Austauschtransfusionen minimieren die Eisenansammlung und Hyperviskosität.

Heilbehandlungen

Die hämatopoetische Stammzellentransplantation bleibt die einzige heilende Behandlung für Sichelzellenkrankheit. Angesichts der mit dieser Therapie verbundenen Risiken ist es im Allgemeinen auf Patienten mit fortgeschrittenen Krankheitskomplikationen beschränkt.

Gentherapie oder Gen-Editing-Techniken, die die Menge an Hb F erhöhen, sind seit kurzem verfügbar. Dieser Bereich entwickelt sich rasch weiter, und die Anwendung der Stammzelltherapie zur Behandlung der Sichelzellenanämie wird wahrscheinlich weiter zunehmen.

Erhaltung der Gesundheit

In der Langzeitbehandlung haben folgende Maßnahmen die Mortalität, insbesondere bei Kindern, reduziert:

  • Impfstoffe gegen Pneumokokken, Haemophilus influenzae (inaktiviert, nicht lebend) und Meningokokken. COVID-19 und Grippeimpfungen werden ebenfalls empfohlen. Die RSV-Impfung kann bei Erwachsenen über 60 Jahren von Vorteil sein.

  • Frühe Erkennung und Behandlung von schweren bakteriellen Infektionen

  • Prophylaktisch Antibiotika, einschließlich kontinuierliche Prophylaxe mit Penicillin im Alter von 4 Monaten bis 6 Jahren

  • Gabe von Hydroxyharnstoff und Folsäuresubstitution

Üblich ist auch die Gabe von zusätzlichem Folsäurepräparat (1 mg p.o. einmal täglich).

Hydroxyharnstoff erhöht den Hb F und verringert dadurch die Sichelzellenbildung, wodurch schmerzhafte Krisen verringert werden (z. B. um etwa 45% [1, 2); er verringert das akute Thoraxsyndrom und den Transfusionsbedarf (2). Er wird bei allen Kindern empfohlen und im Allgemeinen bis ins Erwachsenenalter fortgesetzt. Bei Erwachsenen, die nicht bereits Hydroxyharnstoff einnehmen, ist es bei Patienten mit wiederkehrenden Schmerzkrisen oder anderen Komplikationen angezeigt. Die Dosis von Hydroxyharnstoff ist variabel und wird aufgrund von Blutwerten und Nebenwirkungen angepasst. Hydroxyharnstoff verursacht Neutropenie und Thrombozytopenie. Er ist auch ein Teratogen und sollte nicht an Frauen während der Schwangerschaft oder bei der Planung einer Schwangerschaft verabreicht werden.

Zur Behandlung der Sichelzellkrankheit stehen drei weitere Medikamente zur Verfügung. Sowohl L-Glutamin als auch Crizanlizumab zielen auf die Gefäßverstopfung ab und konnten in kontrollierten, randomisierten Studien Schmerzkrisen verringern (3, 4). Es wird angenommen, dass L-Glutamin den oxidativen Stress in Sichelzellen reduziert, während Crizanlizumab P-Selectin hemmt, das zur Adhäsion von Sichelzellen am Gefäßendothel beiträgt. Voxelotor hemmt die Polymerisation von Hb S, stabilisiert sauerstoffhaltiges Hämoglobin und hat in einer randomisierten, kontrollierten Studie gezeigt, dass es den Hämoglobinspiegel erhöht (5). Diese Medikamente werden zwar in die Behandlungsschemata für Patienten mit Sichelzellanämie aufgenommen, die Daten über ihre Wirksamkeit sind jedoch begrenzt und widersprüchlich.

Transkranielle Dopplerfluss-Studien bei Kindern können dabei helfen, das Schlaganfallrisiko vorherzusagen, und viele Experten empfehlen jährliche Screenings für Kinder im Alter von 2 bis 16 Jahren. Kinder mit einem hohen Risiko scheinen von prophylaktischen, chronischen Austauschtransfusionen zu profitieren, die Hämoglobin S bei < 30% des gesamten Hämoglobin halten; eine Eisenüberladung ist üblich und muss überprüft und behandelt werden.

Bei Patienten, die häufig Erythrozytentransfusionen erhalten, sollte eine Chelattherapie in Betracht gezogen werden, um Komplikationen aufgrund von Eisenüberladung zu verhindern oder zu verzögern.

Literatur zur Therapie

  1. 1. Charache S, Terrin ML, Moore RD, et al: Effect of hydroxyurea on the frequency of painful crises in sickle cell anemia. Investigators of the Multicenter Study of Hydroxyurea in Sickle Cell Anemia. N Engl J Med 332(20):1317–1322, 1995. doi:10.1056/NEJM199505183322001

  2. 2. Rankine-Mullings AE, Nevitt SJ: Hydroxyurea (hydroxycarbamide) for sickle cell disease. Cochrane Database Syst Rev 9(9):CD002202, 2022. Veröffentlicht am 2022 Sep 1. doi:10.1002/14651858.CD002202.pub3

  3. 3. Ataga KI, Kutlar A, Kanter J, et al: Crizanlizumab for the prevention of pain crises in sickle cell disease. N Engl J Med 376(5):429–439, 2017. doi: 10.1056/NEJMoa1611770

  4. 4. Niihara Y, Miller ST, Kanter J, et al: A phase 3 trial of l-glutamine in sickle cell disease. N Engl J Med 379(3):226–235, 2018. doi: 10.1056/NEJMoa1715971

  5. 5. Vichinsky E, Hoppe CC, Ataga KI, et al: A phase 3 randomized trial of voxelotor in sickle cell disease. N Engl J Med 381(6):509–519, 2019. doi: 10.1056/NEJMoa1903212

Prognose für Sichelzellenanämie

Die Lebenserwartung von homozygoten Patienten verbessert sich ständig und liegt derzeit bei > 50 Jahren (1, 2). Zu den häufigen Todesursachen gehören das akute Thoraxsyndrom, rezidivierende Infektionen, Lungenembolien, Infarzierung von lebenswichtigen Organenn pulmonale Hypertonie, und chronische Nierenerkrankungen.

Literatur zur Prognose

  1. 1. Platt OS, Brambilla DJ, Rosse WF, et al. Mortality in sickle cell disease. Life expectancy and risk factors for early death. N Engl J Med 1994;330(23):1639-1644. doi:10.1056/NEJM199406093302303

  2. 2. Wierenga KJ, Hambleton IR, Lewis NA. Survival estimates for patients with homozygous sickle-cell disease in Jamaica: a clinic-based population study. Lancet 2001;357(9257):680-683. doi:10.1016/s0140-6736(00)04132-5

Wichtige Punkte

  • Patienten, die homozygot für Hämoglobin S (Hb S) sind, haben eine abnorme Betakette, die zu fragilen, relativ unflexiblen Erythrozyten führt, wenn Hb S polymerisiert; die Erythrozyten können am Endothel haften und Gefäßverengungen und Entzündungen verursachen, was zu Gewebsinfarkten führen kann, und sind anfällig für Hämolyse, was Anämie verursacht.

  • Die Patienten haben verschiedene akute Exazerbationen, einschließlich schmerzhafte Krise, Sequestrierungskrise, aplastische Krise und akutes Brust-Syndrom.

  • Zu den langfristigen Folgen gehören pulmonale Hypertonie, Bluthochdruck, chronische Nierenerkrankung, Schlaganfall, aseptische Nekrose und ein erhöhtes Infektionsrisiko.

  • Die Diagnose erfolgt über die Nutzing von Hämoglobinelektrophorese.

  • Bei akuten Krisen Opioid-Analgetika gegen die Schmerzen verabreichen, auf eine Verschlechterung der Anämie (was auf eine aplastische Krise oder eine Sequestrationskrise hindeutet) und Anzeichen eines akuten Thoraxsyndroms oder einer Infektion achten, normales intravasales Volumen wiederherstellen.

  • Vorbeugung von Infektionen durch Impfungen und prophylaktische Antibiotika; Begrenzung schmerzhafter Krisen und des Risikos von Krankheitskomplikationen durch Verabreichung von Hydroxyharnstoff.

Weitere Informationen

Die folgenden englischsprachigen Quellen können nützlich sein. Bitte beachten Sie, dass das MSD-Manual nicht für den Inhalt dieser Quellen verantwortlich ist.

  1. Sickle Cell Disease Association of America: provides comprehensive patient education and support, including peer mentoring, to patients with sickle cell disease