Eine zweite Meinung einholen

VonMichael R. Wasserman, MD, California Association of Long Term Care Medicine
Überprüft/überarbeitet Apr. 2023
DIE AUSGABE FÜR MEDIZINISCHE FACHKREISE ANSEHEN

    Obwohl Ärzte weitgehend gleich geschult sind, können ihre Ansichten über die Diagnose und Therapie einer Krankheit auseinandergehen. Solche Abweichungen können unter den besten Ärzten auftreten. Unterschiedliche Meinungen treten oft auf, wenn das beste Vorgehen nicht absolut klar erwiesen ist. Zum Beispiel können die Meinungen darüber auseinandergehen, ob und wann das prostataspezifische Antigen (PSA) bei Männern, die keine Symptome haben, gemessen werden muss, um festzustellen, ob Prostatakrebs vorliegt. Unterschiedliche Empfehlungen können zudem darauf basieren, wie ein Arzt zu den wissenschaftlichen Informationen über eine Untersuchung oder Behandlung steht und mögliche Nutzen und Risiken für den Patienten gegeneinander abwägt, ob er bereit ist, sich auf neue Untersuchungen und Behandlungen einzulassen, und ob diese Untersuchungen und Behandlungen vor Ort verfügbar sind.

    Aus diesen Gründen kann eine zweite Arztmeinung dem Patienten zusätzlichen Einblick und Informationen über das weitere Vorgehen geben. Falls die zweite Meinung identisch mit der ersten ist, kann sie auf den Patienten beruhigend wirken und seine Ängste abbauen. Falls die Meinungen unterschiedlich sind, können sie gegeneinander abgewogen werden; so kann der Patient letztlich eine fundiertere Entscheidung treffen. Der Patient kann auch eine dritte Meinung einholen, insbesondere wenn die zweite Meinung von der ersten abweicht.

    (Siehe auch Einführung in die optimale medizinische Versorgung.)

    Wie wird eine zweite Meinung eingeholt?

    • Der Patient sollte mit seiner Krankenversicherung abklären, ob die Kosten für die Zweitmeinung übernommen werden. Er sollte sich zudem nach dem Verfahren erkundigen, das beim Einholen einer zweiten Meinung zu befolgen ist.

    • Der Patient kann seinen Arzt bitten, ihm einen Kollegen oder Spezialisten zu empfehlen. Die meisten Ärzte begrüßen eine zweite Meinung. Der zweite Arzt sollte jedoch nicht mit dem ersten eng zusammenarbeiten, weil er in diesem Fall vielleicht dieselbe Ansicht teilt. Falls der Patient Hemmungen hat, seinen Arzt darum zu bitten, kann er einen anderen Arzt seines Vertrauens fragen. Falls diese Möglichkeit nicht besteht, teilen oftmals Universitätskliniken, medizinische Gesellschaften (etwa das American College of Surgeons) oder Versicherungsgesellschaften Ärztenamen mit. Auch wenn manche Menschen sich damit schwertun, ihren Arzt um eine zweite Meinung zu bitten, kann es der Kommunikation zwischen Arzt und Patient guttun, wenn man offen und aufrichtig darüber spricht, warum eine Zweitmeinung nützlich sein könnte, und um eine Überweisung an eine geeignete Fachperson bittet. Dies führt letztlich auch zu besseren Entscheidungen.

    • Der Patient sollte vor dem Termin mit dem zweiten Arzt diesem seine Krankenakte zusenden. So hat der Arzt Zeit, die Unterlagen einzusehen. Das vermeidet eine unnötige Wiederholung diagnostischer Untersuchungen. Nach dem Health Insurance Portability and Accountability Act (HIPAA – Gesetz zur Portabilität und Verantwortlichkeit in der Krankenversicherung) muss der Patient seinem ursprünglichen Arzt ein schriftliches Einverständnis zur Weiterleitung von Unterlagen und Untersuchungsergebnissen erteilen.

    • Der Patient sollte seine Fragen und Bedenken über seine Krankheit aufschreiben und die Notizen zum Termin mit dem zweiten Arzt zwecks Erörterung mitbringen.

    • Die Betroffenen sollten sich beim Einholen einer Zweitmeinung in der Regel persönlich zum Arzt begeben und sich nicht auf Telemedizin verlassen. Damit die zweite Meinung fundiert ist, sollte der Arzt die Krankenakte sorgfältig durchgehen und alle relevanten körperlichen Untersuchungen durchführen. Häufig möchte der Arzt einige der bildgebenden Verfahren (nicht nur die Berichte) oder Pathologieproben sehen, sodass entsprechende Kopien im Voraus angefordert werden sollten.