Nervenkampfstoffe

(Nervengas; Nervengifte)

VonJames M. Madsen, MD, MPH, University of Florida
Überprüft/überarbeitet Jan. 2023
DIE AUSGABE FÜR MEDIZINISCHE FACHKREISE ANSEHEN

Es gibt viele Arten von chemischen Waffen, die auf verschiedene Körperteile abzielen. Nervengifte (die manchmal fälschlicherweise „Nervengas“ bezeichnet werden) beeinflussen, wie Nerven Signale an Muskeln und andere Nerven übermitteln. Es gibt mehrere Arten von Nervengiften:

  • Stoffe der Reihe G

  • Stoffe der Reihe V

  • Stoffe der Reihe A

Zu den Stoffen der Reihe G zählen GA (Tabun), GB (Sarin), GD (Soman) und GF (Zyklosarin), die vor und während des zweiten Weltkriegs von den Nazis entwickelt wurden. Zu den Stoffen der Reihe V zählt VX. Komponenten der Reihe V wurden nach dem zweiten Weltkrieg synthetisch hergestellt. Nervengifte ähneln organophosphathaltigen Insektiziden, sind aber sehr viel wirksamer. Stoffe der Reihe A werden auch Novichok-Stoffe genannt und umfassen A-230, A-232 und A-234. Ein Mittel der A-Reihe wurde bei einem Ermordungsversuch 2018 in Großbritannien und Nordirland verwendet, und ein anderes Mittel der A-Reihe wurde bei dem Ermordungsversuch 2020 auf den russischen Aktivisten Alexei Navalny eingesetzt.

Bei Raumtemperatur sind die Stoffe der Reihe G wässrige Flüssigkeiten, die leicht verdunsten und sowohl bei Hautkontakt als auch bei Einatmen gefährlich sind. VX ist eine Flüssigkeit mit der Konsistenz von Motoröl, die relativ langsam verdunstet und hauptsächlich bei Hautkontakt gefährlich wird. A-230, A-232 und A-234 sind Flüssigkeiten, die noch hartnäckiger als die Stoffe der Reihe V sind. Keine der drei Arten von Nervenwirkstoffen hat einen ausgeprägten Geruch oder reizt die Haut.

Nervengifte wirken, indem sie Enzyme blockieren, die eine bestimmte Art eines chemischen Stoffes aufspalten, den Nervenzellen nutzen, um Signale an andere Nervenzellen und an die Muskeln zu übermitteln (Neurotransmitter). Da der Signalstoff, Acetylcholin, nicht normal aufgespalten wird, sammelt er sich an und stimuliert die Nerven, Muskeln und Drüsen (auch die Tränendrüsen, Speicheldrüsen und Schweißdrüsen) im Körper. Zuerst zucken die gereizten Muskeln und ziehen sich unkontrolliert zusammen, später aber ermüden sie und werden schwach.

Der Kontakt mit Nervengiften kann langfristig neurologische und neuropsychologische Probleme, unter anderem Angst, Depression, Reizbarkeit und Gedächtnisschwierigkeiten, nach sich ziehen.

Symptome von Verletzungen durch Nervenkampfstoffe

Einem Nervengas ausgesetzt zu sein verursacht verschiedene Symptome, je nach Stoff, Einwirkung und Dosis.

Dämpfe wirken schnell. Die Einwirkung von Dampf auf das Gesicht führt innerhalb von Sekunden dazu, dass sie die Pupillen verengen, die Nase zu laufen beginnt und sich Brustbeklemmung einstellt. Falls Dampf eingeatmet wird, kann der Betroffene innerhalb von Sekunden zusammenbrechen.

Flüssige Nervengifte wirken langsamer. Die Einwirkung auf die Haut verursacht erst einmal ein Zucken und dann Schwitzen an der betreffenden Stelle. Schon ein ganz kleiner Tropfen der G- oder V-Reihe kann sich auf den gesamten Körper auswirken, dies mit einer Verzögerung von bis zu 18 Stunden nach der Exposition. Selbst tödliche Dosen entfalten sich erst nach 20 bis 30 Minuten, um Symptome und Anzeichen zu bewirken, zu denen plötzliche Zusammenbrüche und Krämpfe ohne Vorwarnung gehören. Eine geringe Menge der Stoffe aus der A-Reihe auf der Haut kann Symptome hervorrufen, die sich erst ein bis zwei Tage später zeigen.

Nervengifte stimulieren die Nervenzellen im Gehirn, so dass die Betroffenen erregt und konfus werden und Krämpfe bekommen oder bewusstlos werden können. Die Stimulierung von Nervenzellen außerhalb des Gehirns verursacht Übelkeit, Erbrechen und übermäßige Bildung von Tränenflüssigkeit, Nasensekrete, Speichelbildung, Lungensekrete, Keuchatmung, Verdauungssekret (Übelkeit und Erbrechen) und Schwitzen. Die Stimulierung der Muskelzellen verursacht Krämpfe, gefolgt von Schwäche und Lähmungserscheinungen. Die Schwäche der Atemmuskeln und die Unterbrechung des Atmungszentrums innerhalb des Gehirns sind für gewöhnlich die Todesursache.

Diagnose von Verletzungen durch Nervenkampfstoffe

  • Untersuchung durch den Arzt

Die Ärzte stützen ihre Diagnose einer Einwirkung von Nervengas auf die Symptome des Betroffenen und seine Vorgeschichte. Besondere Labortests können die Einwirkung bestätigen.

Behandlung von Verletzungen durch Nervenkampfstoffe

  • Spritzen mit Atropin und Pralidoxim

Bei Einwirkung von Nervengas können zwei Medikamente, Atropin und Pralidoxim, verabreicht werden. Atropin blockiert die Wirkung des Neurotransmitters Acetylcholin, der bei Kontakt mit dem Gift in zu großen Mengen angehäuft wird. Deshalb wird Atropin als Anticholinergikum bezeichnet. Pralidoxim und ein neues Medikament, MMB-4, helfen, das Enzym zu reaktivieren, das Acetylcholin aufspaltet.

Vor Erreichen des Krankenhauses können Erstversorger einen Autoinjektor mit diesen beiden Medikamenten in einen großen Muskel (z. B. den Oberschenkel) spritzen. Weitere Dosen der Medikamente werden intravenös verabreicht.

Benzodiazepine (z. B. Diazepam oder Midazolam) sind als Autoinjektor erhältlich und sollten jedem mit Krampfanfällen verabreicht werden. Sie sollten auch jedem Patienten verabreicht werden, der die vollen drei Anfangsdosen Atropin und ein Oxim (Pralidoxim oder MMB-4) benötigt, selbst wenn keine Krampfanfälle vorliegen.

Die Haut wird so schnell als möglich dekontaminiert, wobei ein im Handel erhältliches Hautdekontaminierungsprodukt mit einer besonderen Formel (Reactive Skin Decontamination Lotion bzw. RSDL® genannt) verwendet wird, eine Lösung aus Haushaltsbleiche, Seife und Wasser. Als erstes untersuchen die Helfer alle möglicherweise kontaminierten Wunden, entfernen alle Partikel und spülen die Wunde mit klarem oder salzigem Wasser. Es können dennoch schwere Symptome und der Tod eintreten, weil die Dekontaminierung das Nervengift unter Umständen nicht vollständig entfernen kann, welches schon begonnen hat, durch die Haut einzudringen.

Ärzte behandeln eine Vergiftung mit Nervengiften in der Regel durch eine konsequente und sorgfältige Überwachung der Herzfrequenz, der Kerntemperatur des Körpers und des Enzyms während der Behandlung.

Die in diesem Artikel zum Ausdruck gebrachten Ansichten entsprechen denen des Autoren und spiegeln nicht die offizielle Politik des US-Militärministeriums, des US-Verteidigungsministeriums oder der US-amerikanischen Regierung wieder.