Psychosoziale Entwicklung bei Jugendlichen

VonSarah M. Bagley, MD, MSc, Boston University Chobanian & Avedisian School of Medicine
Überprüft/überarbeitet Nov. 2024
DIE AUSGABE FÜR MEDIZINISCHE FACHKREISE ANSEHEN

Im Jugendalter wachsen Kinder zu jungen Erwachsenen heran, die unabhängig werden. Sie durchlaufen auffällige körperliche, kognitive, soziale und emotionale Veränderungen. Der Weg zum Erwachsensein läuft allerdings nicht geradlinig ab. Jugendliche werden mit der Zeit nicht einfach immer ein bisschen mehr wie Erwachsene. Es ist eher so, dass Jugendliche zwischen dem Verhalten eines Kindes und eines Erwachsenen hin und her wechseln. Mit der Entwicklung der Jugendlichen verhalten sie sich immer öfter wie Erwachsene und fallen nur noch selten in ein kindliches Verhalten zurück. Für Eltern kann es eine Herausforderung darstellen, Jugendliche durch diese Phase zu führen.

Kognitive Entwicklung bei Jugendlichen

„Kognitiv“ bezieht sich auf die geistigen Prozesse, die am Lernen, Denken, Argumentieren und Verstehen beteiligt sind. Mit zunehmendem Alter entwickeln sich die kognitiven Prozesse der Kinder weiter.

Die kognitive Entwicklung wirkt sich auch darauf aus, wie Jugendliche ihr Leben betrachten und beschreiten. In der frühen Adoleszenz beginnt das Kind, seine Fähigkeit zum abstrakten, logischen Denken zu entwickeln. Diese Bewusstseinserweiterung führt zu einer verstärkten Selbstaufmerksamkeit und der Fähigkeit, über sein eigenes Selbst nachzudenken. Aufgrund der vielen sichtbaren körperlichen Veränderungen, die in der Adoleszenz eintreten, wird die Selbstaufmerksamkeit zum „Selbstbewusstsein“, das häufig von einem Gefühl der Unbeholfenheit begleitet wird. Ihr äußeres Erscheinungsbild und ihre Attraktivität nehmen bei Heranwachsenden einen großen Raum ein, und sie sind sich stark ihres Gleich- und Anderssein gegenüber Altersgenossen bewusst. Diese Gefühle werden auch durch soziale Erwartungen und sozialen Druck beeinflusst.

In der Mitte des Jugendalters wird die Belastung einer Entscheidung über die berufliche Zukunft immer größer. Die meisten Jugendlichen haben noch kein klar definiertes Ziel, obwohl sie langsam ihre Interessen und Begabungen erkennen. Die Eltern müssen auf die Fähigkeiten des Jugendlichen achten und ihm helfen, sich realistische Ziele zu setzen.

Der Heranwachsende wendet seine neu erworbene Fähigkeit zur Reflexion auf moralische Werte an. Vor Erreichen der Adoleszenz versteht ein junger Mensch „richtig“ und „falsch“ in der Regel noch als feststehende, absolute Werte. Jugendliche stellen oft Verhaltensstandards infrage und können tradierte Gebräuche und Werte ablehnen – manchmal zum Entsetzen der Eltern. Im Idealfall mündet diese Reflexion bei dem Heranwachsenden in die Entwicklung und Verinnerlichung eines eigenen Moralkodex.

Schulprobleme bei Jugendlichen

Ein Umfeld, in dem die kognitive Entwicklung stark gefördert wird, ist die Schule. Die Schule nimmt im Leben eines Jugendlichen einen großen Raum ein. Schwierigkeiten in fast jedem Lebensbereich beeinflussen oft, wie sich ein Jugendlicher sozial verhält und in der Schule mitkommt.

Bestimmte Probleme mit der Schule können sein:

  • Angst, in die Schule zu gehen

  • Schulangst

  • Schulabbruch

  • Schlechte schulische Leistungen

Diese Schulangst kann allgemeiner Natur sein oder mit einer bestimmten Person (wie einem Lehrer oder Mitschüler – siehe Mobbing) oder mit einem speziellen Ereignis wie einer schlechten Erfahrung im Sportunterricht in Zusammenhang stehen. Der Jugendliche kann körperliche Symptome, wie Bauchschmerzen, entwickeln oder sich einfach weigern, zur Schule zu gehen. Das Kollegium in der Schule und die Angehörigen der Familie sollten versuchen, den Grund zu verstehen und zu thematisieren und den Jugendlichen dazu zu ermutigen, die Schule zu besuchen.

Jugendliche, die regelmäßig in der Schule fehlen oder die Schule abbrechen, treffen die bewusste Entscheidung, den Unterricht zu versäumen. Diese Jugendlichen bringen im Allgemeinen schlechte Leistungen in der Schule und beziehen kaum Erfolgserlebnisse und Befriedigung aus schulischen Aktivitäten.

Potenzielle Schulabbrecher sollten rechtzeitig auf andere Ausbildungsmöglichkeiten hingewiesen werden, etwa eine Lehre, einen den Schulabschlüssen entsprechenden Ausbildungsabschluss oder ein anderes alternatives Ausbildungsprogramm.

Probleme mit der Schule im Jugendalter können durch eine Kombination aus Folgendem ausgelöst werden:

Manchmal treten Schulprobleme auf, wenn ein Jugendlicher nicht in der richtigen Schulstufe oder Gruppe ist, insbesondere bei Jugendlichen mit einer Lernbehinderung oder einer leichten geistigen Behinderung, die bislang nicht erkannt wurde.

Eine Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) und Lernstörungen, die typischerweise bereits in der Kindheit beginnen, können auch im Jugendalter noch die Ursache für Schulprobleme sein. Gelegentlich werden diese Störungen erstmals im Jugendalter erkannt, wenn die Schularbeit immer schwieriger wird.

Im Allgemeinen sollten sich Jugendliche mit großen Problemen in der Schule einem vollständigen pädagogischen Test und einer Prüfung zur Feststellung der psychischen Verfassung unterziehen. Ein speziell ausgebildeter Pädagoge kann zur Unterstützung der Teilnahme am Schulbetrieb von Nutzen sein.

Spezifische Probleme werden bedarfsgerecht behandelt. Zudem werden die Jugendlichen allgemein unterstützt und ermutigt. Veränderungen des Lernumfeldes und manchmal eine medikamentöse Therapie können Jugendlichen, die ins Straucheln geraten sind, ebenfalls oft helfen.

Das bundesweit gültige Bildungsgesetz für Amerikaner mit Behinderungen Individuals with Disabilities Education Act (IDEA) sieht vor, dass Schüler mit Lernstörungen und andere, die ihr akademisches Potenzial nicht erreichen, beurteilt und mit persönlichen Bildungsplänen (individualized education plans [IEPs]) angemessen unterrichtet werden.

Emotionale Entwicklung von Jugendlichen

In der Adoleszenz reifen die Bereiche des Gehirns, die Emotionen steuern. Diese Phase ist gekennzeichnet durch scheinbar spontane Ausbrüche, was für Eltern und Lehrer sehr anstrengend sein kann, da häufig sie es sind, gegen die sich die Ausbrüche richten. Jugendliche lernen mit der Zeit, unangemessene Gedanken und Aktionen zu unterdrücken und sie durch zielgerichtetes Verhalten zu ersetzen.

Auch die Kommunikation kann sehr herausfordernd sein, da Eltern und Jugendliche ihre Beziehungen neu finden. All diese Herausforderungen können weiter verstärkt werden, wenn Familien anderem Stress ausgesetzt sind oder wenn Eltern selber emotionale Schwierigkeiten haben, weil der Jugendliche weiterhin die Führung durch die Eltern benötigt.

Ärzte können helfen, Kommunikationskanäle zu eröffnen, indem sie den Jugendlichen und Eltern vorsichtige, praktische und hilfreiche Ratschläge geben.

Entwicklung einer Unabhängigkeit bei Jugendlichen

In der Jugend liegt der Schwerpunkt auf der Entwicklung der eigenen Unabhängigkeit (Autonomie). „Wer bin ich, wohin gehe ich und wie stehe ich zu all diesen Menschen in meinem Leben?“ sind bei den meisten Jugendlichen Fragen, die sie beschäftigen. Diese Entwicklungsphase bietet Jugendlichen die Möglichkeit, mehr darüber zu erfahren, wie sie sich um ihre eigene Gesundheit kümmern und gesunde Verhaltensweisen annehmen können, geht aber häufig auch mit risikofreudigem Verhalten oder Anfälligkeit für Gesundheitsrisiken einher.

Das normale Verlangen des Jugendlichen nach mehr Freiheit kann mit dem instinktiven Verhalten der Eltern kollidieren, die ihr Kind vor Schaden bewahren möchten. Durch die Versuche auf vielen Ebenen zu wachsen, macht sich Frustration breit.

Die Jugendlichen sind um einiges unabhängiger und mobiler, als sie es in der Kindheit waren, daher können die Erwachsenen wesentlich weniger direkte physische Kontrolle auf sie ausüben. Unter diesen Umständen wird das Verhalten von Jugendlichen durch ihre eigene Entscheidungsfindung bestimmt, die noch nicht ausgereift ist. Den Eltern kommt jetzt eher eine beratende als eine kontrollierende Funktion zu.

Eine typische Form von Jugendlichen, ihre Unabhängigkeit auszuleben, ist, dass die von den Eltern aufgestellten Regeln hinterfragt oder angezweifelt und dabei manchmal auch gebrochen werden. Risiken einzugehen und Grenzen und Möglichkeiten auszureizen sind alles normale Handlungen und im Jugendalter entwicklungsgerecht. Viele Jugendliche beginnen z. B. damit, ein riskantes Verhalten an den Tag zu legen. Dazu gehören Aktivitäten wie schnelles Fahren. Viele fangen mit sexuellen Experimenten an und manche nehmen risikoreiche sexuelle Handlungen vor. Manche Jugendliche können mit dem Alkohol- und Substanzkonsum beginnen. Experten vermuten, dass dieses Verhalten teilweise darauf zurückzuführen ist, weil Jugendliche dazu neigen, ihre eigenen Fähigkeiten zu überschätzen, was eine Vorbereitung auf das Verlassen des häuslichen Umfelds darstellt. Studien zum Nervensystem belegen, dass die Bereiche des Gehirns, die Impulse unterdrücken, bis zum frühen Erwachsenenalter noch nicht völlig ausgereift sind.

Eltern/Betreuungspersonen und medizinische Fachkräfte müssen zwischen gelegentlichen Fehlentscheidungen, die bei dieser Altersgruppe zu erwarten sind, und einem Verhaltensmuster unterscheiden, bei dem tatsächlich eingegriffen werden muss. So sind etwa regelmäßiges Trinken, häufige Schlägereien, regelmäßiges unerlaubtes Schuleschwänzen und Stehlen als weitaus schwerwiegender zu beurteilen als vereinzelte Episoden solcher Regelverstöße. Wenn eine Verhaltensauffälligkeit die Funktionsfähigkeit eines Jugendlichen beeinträchtigt, sind ein Abfall der Schulleistungen und das Weglaufen von zu Hause einige der Warnzeichen. Besondere Sorge bereiten jene Fälle, in denen Jugendliche andere Menschen oder sich selbst schwer verletzen oder bei Streitigkeiten eine Waffe einsetzen.

Jugendliche, die Wärme und Unterstützung vonseiten ihrer Eltern spüren und deren Eltern klare Erwartungen an das Verhalten ihrer Kinder vermitteln, ihnen konsequent Grenzen setzen und diese auch überwachen, entwickeln seltener ernsthafte Probleme.

Erziehungsstile für Jugendliche

Häufig kommt es zu Konflikten zwischen Eltern und Jugendlichen. In diesen Situationen kann darum gehen, wer die Macht oder die Kontrolle hat. Jugendliche möchten das Gefühl haben, dass sie Entscheidungen über ihr Leben treffen oder dazu beitragen können, und Eltern haben Angst, ihren Kindern zu erlauben, schlechte Entscheidungen zu treffen. In dieser Situation profitieren beide Seiten davon, wenn sich die Eltern auf das Tun des Jugendlichen konzentrieren (Schulbesuch, Erledigen der Haushaltspflichten) und nicht auf Äußerlichkeiten (Kleidung, Haarschnitt und bevorzugte Unterhaltung).

Es gibt 4 wesentliche Erziehungsstile:

  • Autoritativ

  • Autoritär

  • Permissiv

  • Laissez-faire

Unter autoritativer Erziehung versteht man einen Erziehungsstil, bei dem Kinder am Aufstellen von Familienregeln und Erwartungen beteiligt sind. Dieser Erziehungsstil fördert am wahrscheinlichsten reife Verhaltensweisen, da er Grenzen setzt, was für eine gesunde Entwicklung bei Jugendlichen wichtig ist.

Eltern, die ihre Kinder autoritativ erziehen, setzen ein System mit gestaffelten Privilegien ein, wobei die Jugendlichen nach und nach mehr Verantwortung übernehmen. Beispielsweise wird ihnen die Verantwortung für ein Haustier übertragen, sie müssen im Haushalt mithelfen, dürfen sich selbst Kleidungsstücke kaufen, ihr Zimmer nach ihren eigenen Vorstellungen einrichten oder Taschengeld verwalten. Wenn die Jugendlichen einige Zeit lang gut mit dieser Verantwortung zurechtkommen, werden ihnen weitere Verantwortungen oder Privilegien zugestanden, wie zum Beispiel Ausgehen mit Freunden ohne Eltern und Autofahren. Fehlentscheidungen oder Verantwortungslosigkeit führen hingegen dazu, dass Privilegien entzogen werden. Jedes neue Privileg muss von den Eltern genau überwacht werden, um sicherzustellen, dass die Jugendlichen die vereinbarten Regeln einhalten.

Die autoritäre Erziehung ist von mangelnder Flexibilität gekennzeichnet. Die Eltern legen Regeln fest, die die Kinder zu befolgen haben. Bei den Entscheidungen, die sie treffen, haben die Kinder kaum Mitspracherecht. Es gibt kaum Verhandlungsspielraum, und die Kommunikation geht nur in eine Richtung, d. h., die Eltern hören ihren Kindern nicht zu.

Die permissive Erziehung ist durch eine gewisse Flexibilität, aber geringere Erwartungen gekennzeichnet, und die Eltern setzen wenige Grenzen. Obwohl dieser Stil dazu führen kann, dass Kinder lernen, sich mehr zu trauen und Risiken einzugehen, kann er auch dazu führen, dass Kinder negative Gewohnheiten entwickeln, weil permissive Eltern nicht viel Anleitung bieten.

Die Laissez-faire-Erziehung ist ebenfalls durch ein hohes Maß an Flexibilität gekennzeichnet. Eltern mit Laissez-faire-Erziehungsstil sorgen zwar unter Umständen dafür, dass die Grundbedürfnisse der Kinder befriedigt werden (z. B. Essen, Unterkunft und Kleidung), beteiligen sich aber ansonsten wenig an deren Erziehung. Es gibt viele Gründe, warum die Eltern nicht eingreifen. Manche Eltern haben einfach nicht genug Zeit, weil sie für den Familienunterhalt aufkommen müssen.

Soziale Entwicklung bei Jugendlichen

Während der Kindheit ist die Familie Dreh- und Angelpunkt im Leben des Kindes. In der Adoleszenz löst die Gruppe Gleichaltriger allmählich die Familie als wichtigsten Sozialpartner ab. Ein Wir-Gefühl, das aus gemeinsamen Charakteristika, wie einer Besonderheit im Kleidungsstil und äußerem Erscheinungsbild, einem besonderen Verhalten, besonderen Hobbys und Interessen, erwächst, mit denen sich die Gruppenmitglieder von Außenstehenden abheben, führt oft zur Bildung einer so genannten Peer-Gruppe. Anfangs setzt sich die Peer-Gruppe aus gleichgeschlechtlichen Mitgliedern zusammen, später tritt dann auch das andere Geschlecht hinzu. Diese Gruppe hat für den Heranwachsenden eine große Bedeutung, da er durch sie bei seinen Entscheidungen Bestätigung und in belastenden Situationen Unterstützung erfährt.

Jugendliche, die keiner Peer-Gruppe angeschlossen sind, entwickeln häufig das intensive Gefühl, anders zu sein und nicht dazuzugehören. Dieses Gefühl kann sich in der sensiblen Entwicklungsphase des Jugendlichen ungünstig auswirken und die Gefahr für die Entstehung psychischer Probleme und in seltenen Fällen auch für antisoziales Verhalten verstärken. Umgekehrt kann die Peer-Gruppe zu wichtig werden, was auch zu einem herausfordernden Verhalten führt, das durch Druck von Gleichaltrigen oder die Angst, ausgeschlossen oder übergangen zu werden, verursacht wird.

Weitere Informationen

Bei dem Folgenden handelt es sich um ein englischsprachiges Hilfsmittel, das nützlich sein kann. Bitte beachten Sie, dass MSD MANUAL nicht für den Inhalt dieser Quelle verantwortlich ist.

  1. Individuals with Disabilities Education Act (IDEA): Umfassende Informationen darüber, wie IDEA infrage kommenden Kindern eine öffentlich geförderte Ausbildung ermöglicht und spezielle Aufklärung und ähnliche Dienste für Kinder gewährleistet