Physiologie der Schwangerschaft

VonRaul Artal-Mittelmark, MD, Saint Louis University School of Medicine
Überprüft/überarbeitet Juli 2024
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Das früheste Anzeichen einer Schwangerschaft ist das Ausbleiben der Regelblutung. Bei sexuell aktiven Frauen im gebärfähigen Alter mit regelmäßigen Perioden ist eine Periode, die 1 Woche zu spät kommt, sehr wahrscheinlich auf eine Schwangerschaft zurückzuführen, obwohl auch andere Faktoren eine sekundäre Amenorrhö verursachen können.

Eine Schwangerschaft dauert:

  • 266 Tage nach der Empfängnis

  • 280 Tage ab dem ersten Tag der letzten Menstruationsperiode, wenn die Perioden regelmäßig alle 28 Tage auftreten

Der voraussichtliche Geburtstermin beruht auf der letzten Menstruationsblutung. Eine Möglichkeit, den errechneten Geburtstermin zu bestimmen, besteht darin, 3 Monate von der letzten Regelblutung abzuziehen und 7 Tage hinzuzufügen (Naegele-Regel).

Eine Geburt bis zu 3 Wochen vor oder 2 Wochen nach dem voraussichtlichen Geburtstermin gilt als normal. Eine Entbindung vor 37 Schwangerschaftswochen gilt als Frühgeburt, eine Entbindung nach 42 Schwangerschaftswochen gilt als Nachgeburt.

Physiologie der Schwangerschaft

Eine Schwangerschaft verursacht in allen mütterlichen Organsystemen physiologische Veränderungen; die meisten kehren nach der Geburt in ihren Normalzustand zurück. Im Allgemeinen sind diese Veränderungen in einer Mehrlingsschwangerschaft drastischer als in Einlingsgraviditäten.

Kardiovaskulär

Das Herzzeitvolumen (HZV), das sich aus der Multiplikation von Herzfrequenz und Schlagvolumen ergibt, steigt ab der sechsten Schwangerschaftswoche um 30 bis 50 % an und erreicht zwischen der 16. und 28. Woche (in der Regel nach etwa 24 Wochen) seinen Höchstwert. Eine leichte mütterliche Tachykardie wird erwartet. HZV bleibt bis nach der 30. Schwangerschaftswoche in der Nähe des Höchstwerts. wird dann abhängig von der Körperlage. Lagen, die aufgrund des sich vergrößernden Uterus die Vena vava am meisten behindern (z. B. die liegende Position), reduzieren das HZV am stärksten. Das HZV nimmt im Durchschnitt gewöhnlich leicht ab der 30. Schwangerschaftswoche ab bis die Wehentätigkeit beginnt. Während der Wehentätigkeit nimmt das HZV um weitere 30% zu. Nach der Geburt kontrahiert der Uterus, und das HZV fällt bis auf einen Wert ca. 15–25% oberhalb des Normwertes schnell ab. Dann vermindert es sich weiter schrittweise (meist über die nächsten 3–4 Wochen), bis es ca. 6 Wochen post partum den Ausgangswert vor der Schwangerschaft erreicht.

Die Ursache für die Zunahme des HZV während der Schwangerschaft sind die Anforderungen des uteroplazentaren Kreislaufs. Das Volumen der uteroplazentaren Zirkulation nimmt deutlich zu, und die Zirkulation innerhalb des intervillösen Raums verhält sich wie ein arteriovenöser Shunt. Da sich die Plazenta und der Fetus weiterentwickeln, muss bis zum Termin der Blutfluss zum Uterus auf bis etwa 1 l/min (20% des normalen HZV) zunehmen. Der erhöhte Bedarf der Haut (zur Temperaturregulierung) und der Nieren (zur Ausscheidung fetaler Stoffwechselprodukte) erklären einen Teil des angestiegenen HZV.

Um das HZV zu erhöhen, nimmt der Puls von normalerweise 70 bis auf 90 Schläge/Minute (beats/min, bpm) zu, und das Schlagvolumen vergrößert sich. Während des 2. Trimesters fällt normalerweise der Blutdruck (und die Blutdruckamplitude wird weiter), obwohl das HZV und Renin- und Angiotensinspiegel steigen, weil sich der uteroplazentare Kreislauf ausweitet (die intervillösen Räume der Plazenta entwickeln sich) und der systemische Gefäßdruck abnimmt. Der Widerstand lässt nach, weil Blutviskosität und Empfindlichkeit gegenüber Angiotensin abnehmen. Während des 3. Trimesters kann sich der Blutdruck normalisieren. Bei Zwillingen erhöht sich das HZV stärker, und der diastolische Blutdruck ist in der 20. SSW niedriger als bei einer Einlingsgravidität.

Körperliche Betätigung erhöht HZV, Herzfrequenz, Sauerstoffverbrauch und Atemvolumen / Minute noch mehr während der Schwangerschaft.

Die Hyperzirkulation der Schwangerschaft erhöht die Frequenz funktioneller Herzgeräusche und betont die Herztöne. Im Röntgenbild oder EKG zeigt sich das Herz nach links gedreht mit vergrößertem Querschnitt in eine horizontale Position verlagert. Vorhof- und Kammer-Extrasystolen treten während der Schwangerschaft häufig auf. Alle diese Veränderungen sind normal und sollten nicht irrtümlicherweise als Herzerkrankung diagnostiziert werden; sie lassen sich meistens allein durch einfühlsames Erklären gut beherrschen. Paroxysmale Vorhoftachykardien treten jedoch bei schwangeren Frauen häufiger auf und erfordern in manchen Fällen eine prophylaktische Digitalisierung oder andere Antiarrhythmika. Eine Schwangerschaft beeinflusst nicht die Indikationen für oder die Sicherheit einer Kardioversion.

Hämatologisch

Das Gesamtblutvolumen steigt proportional zum Herzminutenvolumen an, dabei ist aber die Zunahme des Plasmavolumens größer (bis nahe an 50%, gewöhnlich bei etwa 1600 ml bei einem Gesamtvolumen von 5200 ml) als die der Erythrozytenmasse (ca. 25%), sodass der Hämoglobinwert durch Verdünnung von ca. 13,3 auf 12,1 g/dl erniedrigt ist. Diese Verdünnungsanämie verringert die Viskosität des Blutes. Bei Zwillingen steigt das mütterliche Gesamtblutvolumen stärker an (näher an 60%).

Die Leukozytenzahl steigt leicht auf 9.000 bis 12.000/mcl an. Eine deutliche Leukozytose ( 20.000/mcl) tritt während der Geburt und der ersten Tage post partum auf.

Der Eisenbedarf wächst während der gesamten Schwangerschaft um insgesamt 1 g und ist in der zweiten Hälfte der Schwangerschaft höher (6–7 mg/Tag). Fetus und Plazenta benötigen ca. 300 mg Eisen, und die erhöhte mütterliche Erythrozytenmasse erfordert zusätzliche 500 mg. 200 mg sind der Ausscheidung zuzurechnen. Um einer Abnahme der Hämoglobin-Werte vorzubeugen, sind zusätzliche Eisenpräparate erforderlich, da die Menge des aus der Nahrung resorbierten und aus den Eisenspeichern rekrutierten Eisens (durchschnittlich gesamt 300–500 mg) meist nicht genügt, um den Bedarf der Schwangerschaft zu decken.

Urologisch

Die Veränderungen der Nierenfunktion sind denen der kardialen Funktion ungefähr vergleichbar. Die glomeruläre Filtrationsrate (GFR) wächst um 30–50%, gipfelt zwischen der 16. und 24. SSW und hält sich auf diesem Niveau bis nahe am Termin, um dann leicht abzufallen, weil der Druck des Uterus auf die Vena cava oft eine venöse Stauung in den unteren Extremitäten verursacht. Der renale Blutfluss (RBF) steigt proportional zur glomeruläre Filtrationsrate an. Als Folge nimmt der Blutharnstoff bis ca. < 10 mg/dl ab (< 3,6 mmol Harnstoff/l), und die Kreatininspiegel sinken entsprechend auf 0,5–0,7 mg/dl (44–62 Mikromol/l). Eine deutliche Weitstellung der Ureteren (Hydroureter) ist durch hormonelle Einflüsse (überwiegend Progesteron) und durch einen Rückstau verursacht, der durch den Druck des vergrößerten Uterus auf die Ureteren ausgelöst wird und in manchen Fällen auch zu einer Hydronephrose führt. Nach der Geburt dauert es manchmal bis zu 12 Wochen, ehe die Harnwege sich wieder in ihrem Normalzustand befinden.

Lageveränderungen wirken sich während der Schwangerschaft mehr auf die Nierenfunktion aus als zu irgendeiner anderen Zeit; d. h. die liegende Position erhöht die Nierenfunktion mehr und die aufrechte Position vermindert sie mehr als sonst. Die Nierenfunktion verstärkt sich auch deutlich in Seitenlage, besonders auf der linken Seite; wenn schwangere Frauen liegen, nimmt diese Position den Druck, den der vergrößerte Uterus auf die großen Gefäße ausübt. Diese lageabhängige Zunahme der Nierenfunktion ist ein Grund, weshalb schwangere Frauen häufiger urinieren müssen, wenn sie einzuschlafen versuchen.

Respiratorisch

Die Lungenfunktion verändert sich, zum Teil, weil das Progesteron zunimmt, und zum Teil, weil der größer werdende Uterus die Ausdehnung der Lungen beeinträchtigt. Progesteron signalisiert dem Gehirn, den Kohlendioxidspiegel zu verringern. Um die CO2-Spiegel zu senken, werden Atemzug- und Minutenvolumen erhöht, was den Serum-pH ansteigen lässt. Der Sauerstoffverbrauch nimmt um ca. 20% zu, um dem vermehrten metabolischen Bedarf des Fetus, der Plazenta und einiger mütterlicher Organe gerecht zu werden. Inspiratorisches und exspiratorisches Reservevolumen, Residualvolumen und -kapazität und der PCO2 im Serum nehmen ab. Die Vitalkapazität ändert sich nicht. Der Thoraxumfang nimmt um ca. 10 cm zu.

Eine erhebliche Hyperämie und ein Ödem des Respirationstraktes treten auf. Gelegentlich kommt es zu einer symptomatischen nasopharyngealen Obstruktion und einer verstopften Nase. Die Eustachischen Röhren sind vorübergehend blockiert, und Klang und Charakter der Stimme ändern sich.

Eine leichte Belastungsdyspnoe ist normal, und die Frequenz tiefer Atemzüge nimmt zu.

Gastrointestinal (GI) und hepatobiliär

Mit fortschreitender Schwangerschaft kann der Druck des größer werdenden Uterus auf das Rektum und den unteren Anteil des Kolons Obstipation verursachen. Gastrointestinale Bewegungen werden spärlicher, weil die erhöhten Progesteronspiegel die glatte Muskulatur entspannen. Sodbrennen und Aufstoßen sind häufig, möglicherweise als Folge einer verzögerten Magenentleerung und eines gastroösophagealen Refluxes, die auf die Entspannung des unteren Ösophagussphinkters und des Hiatus diaphragmaticus zurückzuführen sind. Die Salzsäure-Produktion vermindert sich, sodass Magengeschwüre während der Schwangerschaft ungewöhnlich sind, und vorbestehende Ulzera werden oft weniger quälend.

Die Inzidenz von Gallenblasenerkrankungen nimmt eher zu. Eine Schwangerschaft wirkt sich auf subtile Weise auf die Leberfunktion, insbesondere die Beförderung der Gallenflüssigkeit aus. Die Werte der Routine-Leberfunktionstests sind normal, außer die Spiegel der alkalischen Phosphatase, die während des 3. Trimesters kontinuierlich ansteigen und am Termin auf das 2- oder 3-Fache erhöht sein können. Der Anstieg ist auf die Produktion dieses Enzyms in der Plazenta und weniger auf eine Funktionsstörung der Leber zurückzuführen.

endokrines System

Eine Schwangerschaft verändert die Funktion fast aller endokrinen Drüsen, zum Teil, weil die Plazenta Hormone produziert, zum Teil, weil die meisten Hormone in proteingebundener Form zirkulieren und die Proteinbindung in der Schwangerschaft zunimmt.

In der Plazenta entsteht die Beta-Untereinheit des humanen Choriongonadotropins (Beta-hCG), ein trophisches Hormon, das – wie Follikel-stimulierende und luteinisierende Hormone – das Corpus luteum aufrechterhält und dadurch eine Ovulation verhindert. Östrogen- und Progesteronspiegel steigen früh während der Schwangerschaft an, weil Beta-hCG die Ovarien stimuliert diese kontinuierlich herzustellen. Nach 9 bis 10 Wochen Schwangerschaft produziert die Plazenta selbst große Mengen an Östrogen und Progesteron, um die Schwangerschaft zu erhalten.

Die Plazenta produziert ein Hormon (ähnlich dem Thyreoidea-stimulierenden Hormon, TSH), das die Schilddrüse anregt und so eine Hyperplasie, eine verstärkte Vaskularisierung und eine mäßige Vergrößerung bewirkt. Östrogen stimuliert die Hepatozyten und führt somit zu erhöhten Spiegeln des Thyroxin-bindenden Globulins. Daher können die Spiegel des Gesamt-Thyroxins ansteigen, bleiben die Spiegel der freien Schilddrüsenhormone im Normbereich. Die Wirkungen der Schilddrüsenhormone nehmen eher zu und können mit Tachykardie, Palpitationen, starkem Schwitzen und Stimmungsschwankungen einer Hyperthyreose ähneln. Eine echte Hyperthyreose tritt jedoch nur in 0,08% aller Schwangerschaften auf.

Die Plazenta produziert Kortikotropin-Releasing Hormon (CRH), das die mütterliche Produktion von adrenokortikotropem Hormon (ACTH) anregt. Erhöhte ACTH-Spiegel lassen die Spiegel der adrenalen Hormone, insbesondere Aldosteron und Kortisol, ansteigen und tragen dadurch zur Ödembildung bei.

Die vermehrte Produktion von Kortikosteroiden und die angestiegene plazentare Bildung von Progesteron führen zu einer Insulin resistenz und einem erhöhten Bedarf an Insulin, wie ihn der Schwangerschaftsstress und möglicherweise auch erhöhte Spiegel des humanen Plazenta-Laktogens bewirken. Insulinase, entstanden in der Plazenta, kann ebenfalls den Insulin bedarf erhöhen, sodass viele Frauen mit Gestationsdiabetes klinisch offensichtlichere Formen eines Diabetes entwickeln.

In der Plazenta entsteht Melanozyten-stimulierendes Hormon (MSH), das spät in der Schwangerschaft eine vermehrte Hautpigmentation hervorruft.

Die Hypophyse vergrößert sich während der Schwangerschaft um ca. 135%. Der mütterliche Serum-Prolaktinspiegel steigt um das 10-Fache an. Das erhöhte Prolaktin steht in Zusammenhang mit einer durch Östrogen stimulierten steigenden Produktion des Thyreotropin -Releasing-Hormons. Die primäre Funktion des erhöhten Prolaktins ist die Sicherstellung der Laktation. Post partum kehren die Spiegel – selbst bei den Frauen, die stillen – zu den Normalwerten zurück.

Dermatologisch

Erhöhte Spiegel von Östrogene, Progesteron, und Melanozyten-stimulierendes Hormon (MSH) tragen zu Pigmentveränderungen bei, obwohl die genaue Pathogenese unbekannt ist. Zu diesen Veränderungen gehören:

  • Melasma (Schwangerschaftsmaske), welches ein fleckiges bräunliches Pigment im Bereich der Stirn und der Wangenknochen ist

  • Verdunkelung der mamillären Areolae, Achselhöhle und Genitalien

  • Linea nigra, eine dunkle Linie, die unter dem mittleren Abdomen erscheint

Melasma durch die Schwangerschaft bilden sich in der Regel innerhalb eines Jahres zurück.

Die Inzidenz von Spider-Nävi, meist nur oberhalb der Taille, und von dünnwandigen, erweiterten Kapillaren, insbesondere an den Unterschenkeln, nimmt während der Schwangerschaft zu.

Dermatologische Manifestationen der Schwangerschaft
Melasma
Melasma

Dieses Foto zeigt braune Flecken auf den Wangen einer Patientin mit Melasma.

DR P. MARAZZI/SCIENCE PHOTO LIBRARY

Linea Nigra
Linea Nigra

Eine Linea nigra ist eine dunkle Linie, die während der Schwangerschaft in der Mitte des Abdomens erscheint.

© Springer Science+Business Media

Spider-Nävus
Spider-Nävus

Spider-Nävi (Naevus araneus) sind kleine, leuchtend rote Flecken, die von winzigen Blutgefäßen (Kapillaren) umgeben sind, die an Spinnenbeine erinnern. Nach dem Nachlassen des Drucks, ausreichend genug, damit sie verblassen, füllen sie sich vom zentralen Bereich aus wieder auf. Sie sind bei vielen gesunden Menschen normal. Sie treten häufig bei Frauen auf, die schwanger sind oder orale Verhütungsmittel verwenden, sowie bei Menschen, die an Leberzirrhose leiden.

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Image provided by Thomas Habif, MD.