Die Frühgeborenen-Retinopathie ist eine bilaterale Erkrankung mit anormaler Vaskularisation der Retina bei frühgeborenen Säuglingen, insbesondere bei solchen mit dem niedrigsten Geburtsgewicht. Es kann zur Restitutio ad integrum, also zu einem normalen Sehvermögen kommen, aber auch zur Blindheit. Die Diagnose wird durch die Ophthalmoskopie gestellt. Die Behandlung der schweren Erkrankung kann Laserkoagulation oder ein antivaskuläres endotheliales Wachstumsfaktormittel (Bevacizumab) umfassen; andere Behandlungen richten sich auf Komplikationen (z. B. Netzhautablösung).
Die inneren Netzhautgefäße beginnen in der Mitte der Schwangerschaft zu wachsen; die vollständige Vaskularisation der Retina ist aber erst zum normalen Geburtstermin erfolgt. Eine Frühgeborenen-Retinopathie (RPM) entsteht dann, wenn diese Gefäße ungezielt und ohne Muster weiterwachsen und sich im Verlauf eine prominente Leiste zwischen der vaskularisierten zentralen und der nichtvaskularisierten peripheren Netzhaut bildet. Bei schwerer Frühgeborenen-Retinopathie dringen diese neuen Gefäße in den Glaskörper ein. Manchmal kommt es zu einer Gefäßerweiterung mit Stauung des Blutes und einer Tortuositas vasorum retinae (Schlängelung) am hinteren Funduspol („plus“-disease).
Die Anfälligkeit für eine Frühgeborenen-Retinopathie korreliert mit dem Anteil vaskularisierter Netzhaut zum Zeitpunkt der Geburt. In einer großen, multizentrischen Studie mit 6998 Säuglingen wurde bei 68% der Neugeborenen, die bei der Geburt < 1251 g wogen, eine Frühgeborenen-Retinopathie festgestellt (1). Der Prozentsatz ist noch höher, wenn mehrere weitere Komplikationen vorliegen (z. B. Infektion, intraventrikuläre Blutung, bronchopulmonale Dysplasie).
Obwohl die Ätiologie der Frühgeborenen-Retinopathie multifaktoriell bedingt ist, ist bekannt, dass eine übermäßige (insbesondere verlängerte) Sauerstofftherapie das Risiko erhöht. Allerdings wird eine zusätzliche Gabe von Sauerstoff oft notwendig, um das Kind mit ausreichend Sauerstoff zu versorgen. Eine sichere Höhe und Dauer der Sauerstofftherapie ist jedoch nicht festgesetzt.
Allgemeiner Hinweis
1. Good WV, Hardy RJ, Dobson V, et al: The incidence and course of retinopathy of prematurity: Findings from the early treatment for retinopathy of prematurity study. Pediatrics 116(1):15–23, 2005. doi: 10.1542/peds.2004-1413
Diagnose von Frühgeborenen-Retinopathie
Ophthalmoskopie
Die Diagnose von Frühgeborenen-Retinopathie wird durch eine ophthalmoskopische Untersuchung, die durch einen Ophthalmologe durchgeführt wird, gestellt. In leichteren Fällen zeigen sich hierbei eine prominente Leiste und Demarkationslinie, in schweren Fällen eine extraretinale fibrovaskuläre Proliferation von Netzhautgefäßen.
Eine Ophthalmoskopie zum Screening wird bei allen Säuglingen mit einem Gewicht von < 1500 g oder < 30 Gestationswochen bei der Geburt durchgeführt. Da die Krankheit in der Regel in der 32. bis 34. Schwangerschaftswoche ausbricht, beginnt das Screening in der 31. Schwangerschaftswoche. Ophthalmologische Untersuchungen werden alle 1 bis 3 Wochen (abhängig von der Schwere der Augenerkrankung) weitergeführt, bis die Säuglinge Gefäßwachstum in die Peripherie haben (Reifgeborenen entsprechend).
Da eine schwerwiegende Frühgeborenen-Retinopathie bei adäquater Versorgung von Säuglingen mit > 1500 g Geburtsgewicht selten ist, sollte bei diesen Kindern auch eine andere Diagnose erwogen werden (z. B. familiäre exsudative Retinopathie, Norrie-Krankheit).
Behandlung der Retinopathie der Frühgeburt
Laser-Photokoagulation
Bevacizumab
Bei der schweren Form der Retinopathie vermindert die Kryotherapie oder die Laser-Photokoagulation zur Abtragung der avaskulären peripheren Retina das Risiko von Netzhautfalten und -ablösung. Die retinale Vaskularisierung muss in ein- bis zweiwöchigen Abständen kontrolliert werden, bis die Gefäße ausreichend ausgereift sind. Wenn im Säuglingsalter Netzhautablösungen auftreten, kann eine sklerale Fixierung oder eine Vitrektomie mit Linsenextraktion erwogen werden, allerdings sind diese Maßnahmen eher verzweifelte Therapieversuche ohne große Erfolgsaussichten.
Bei Patienten mit verbleibenden Narben sollten mindestens einmal jährlich eine Kontrolluntersuchung durchgeführt werden. Die Behandlung einer Amblyopie und von Refraktionsfehlern innerhalb des ersten Jahres optimiert das Sehvermögen. Kinder mit einer Netzhautablösung sollten wegen der Gefahr eines sekundären Glaukoms und eines verminderten Augenwachstums überwacht und entsprechenden Behandlungsprogrammen für Sehbehinderte zugeführt werden.
Bevacizumab ist ein antivaskulärer Endothel-Wachstumsfaktor-Monoklonal-Antikörper (anti-VEGF), der das Fortschreiten der Frühgeborenen-Retinopathie anhält. Im Vergleich zur Lasertherapie, intravitreale Injektion von Bevacizumab hat eine geringere Rezidivrate und weniger strukturelle Anomalien in ausgewählten Fällen (1, 2). Falls Retinopathia zurückkehrte, geschah dies Monate später; Langzeit-Nachfolgeuntersuchungen der Ophthalmologie sind erforderlich. Bedenken hinsichtlich der systemischen Absorption und einer möglichen Infektion in Verbindung mit der Notwendigkeit einer optimalen Dosis und dem Zeitpunkt der Nachfolgeuntersuchung sind die Gründe dafür, dass dieses Medikament nach wie vor die Behandlung zweiter Wahl ist, die genutzt werden kann, um eine schwere Erkrankung zu behandeln oder in Verbindung mit einer Lasertherapie.
Literatur zur Behandlung
1. Mintz-Hittner HA, Kennedy KA, Chuang AZ: Efficacy of intravitreal bevacizumab for stage 3+ retinopathy of prematurity. N Engl J Med 364(7):603–615, 2011. doi: 10.1056/NEJMoa1007374
2. Wallace DK, Kraker RT, Freedman SF, et al: Short-term Outcomes After Very Low-Dose Intravitreous Bevacizumab for Retinopathy of Prematurity. JAMA Ophthalmol 138(6):698-701, 2020. doi: 10.1001/jamaophthalmol.2020.0334
Prognose für Frühgeborenen-Retinopathie
Das anomale Gefäßwachstum klingt oft spontan ab, aber bei einem kleinen Prozentsatz der Überlebenden, die bei der Geburt < 1000 g wogen, schreitet es fort und führt innerhalb von 2–12 Monaten nach der Geburt zu Netzhautablösungen und Sehverlust.
Kinder mit einer abgeheilten Frühgeborenen-Retinopathie haben eine erhöhte Inzidenz für Myopie, Strabismus und Amblyopie. Einige wenige Kinder mit einer moderaten abgeheilten Frühgeborenen-Retinopathie behalten kritische Narben zurück (z. B. Retinafalten) mit dem Risiko, später im Leben Netzhautablösungen zu bekommen. Selten kommt es bei solchen Patienten auch zu einem Glaukom oder einem Katarakt.
Prävention von Retinopathy of Prematurity
Nach einer Frühgeburt sollte Sauerstoff nur bei Bedarf ergänzt werden, um Sauerstoffschwankungen zu vermeiden, da sowohl Hyperoxie als auch Hypoxie das Risiko einer Retinopathie der Frühgeburt erhöhen.
Vitamin E und Lichtrestriktion sind nicht effektiv.
Wichtige Punkte
Frühgeborenen-Retinopathie (RPM) entwickelt sich in der Regel bei Säuglingen mit einem Geburtsgewicht von < 1500 g oder < 30 Gestationswochen bei der Geburt, insbesondere bei denjenigen, die schwerwiegende medizinische Komplikationen hatten oder die eine übermäßige und/oder verlängerte Sauerstofftherapie erhalten haben.
Das Risiko wächst mit zunehmender Unreife.
Die meisten Fälle hören spontan auf, aber eine kleine Zahl entwickelt eine Netzhautablösung und einen Verlust des Sehvermögens 2 bis 12 Monate nach der Entbindung.
Säuglinge mit einem Risiko werden mit einer ophthalmoskopischen Untersuchung (von einem Ophthalmologen durchgeführt) ab der 31. Gestationswoche gescreent.
Behandeln Sie schwere ROP mit Laser-Photokoagulation oder einem Anti-VEGF-Wirkstoff, der intravitreal injiziert wird.
Minimieren Sie den Einsatz von zusätzlichem Sauerstoff nach einer Frühgeburt.