Zu den angeborenen Kieferanomalien gehören ein fehlender, deformierter oder unvollständig entwickelter Kiefer, oft in Verbindung mit anderen angeborenen Anomalien und Syndromen.
Quellen zum Thema
(Siehe auch Übersicht der Kongenitalen kraniofazialen Fehlbildungen.)
Ein klinischer Genetiker kann bei der Beurteilung helfen, selbst bei Fällen von offensichtlichen isolierten angeborenen Anomalien. Die Identifizierung des zugrunde liegenden Syndroms ist für die Prognose und die Familienberatung wichtig.
Bei der Untersuchung von Patienten mit kraniofazialen Anomalien sollten eine Chromosomen-Mikroarray-Analyse, spezifische Gentests oder umfassendere Gen-Panel-Tests in Betracht gezogen werden. Wenn die Ergebnisse dieser Tests nicht diagnostisch sind, kann eine Gesamt-Exom-Sequenzierungsanalyse empfohlen werden.
Mikrognathie (kleiner Unterkiefer)
Mikrognathie kann bei > 700 genetischen Syndromen auftreten.
Die Pierre-Robin-Sequenz ist eine häufige Manifestation der Mikrognathie, die durch einen U-förmigen Spalt des weichen Gaumens und durch eine Obstruktion der oberen Atemwege, die durch Glossoptose (einer Zunge, die an die Rückseite der Kehle zurückfällt) verursacht wird, gekennzeichnet ist. Das Füttern kann schwierig sein und manchmal kommt es zu zyanotischen Anfällen, weil die Zunge nach hinten fällt und den Pharynx verschließt. Eine aufrechte Haltung kann beim Füttern hilfreich sein. Das unkoordinierte Schlucken kann aber eine nasogastrale Sonde oder eine Gastrostomie notwendig machen. Wenn die Zyanose oder die Atemprobleme anhalten, muss manchmal eine Tracheotomie oder eine Operation, bei der die Zunge in einer vorderen Position (z. B. an der vorderen inneren Lippe) fixiert wird, durchgeführt werden. Es kann auch eine Schallleitungsschwerhörigkeit vorliegen, so dass eine otologische Untersuchung indiziert ist.
Etwa ein Drittel der Patienten mit Mikrognathie haben Anomalien, die auf eine zugrunde liegende Chromosomenstörung oder ein genetisches Syndrom hindeuten. Einige der Diagnosen, die berücksichtigt werden müssen, umfassen Treacher-Collins-Syndrom (mit schräg nach unten laufenden Augen, Kolobom des Augenlids, missgebildeter Ohrmuschel [Mikrotie] und Hörverlust assoziiert), Nager-Syndrom, Goldenhar- (oculoauriculovertebrales) Syndrom und zerebrocostomandibuläres Syndrom. Zur genaueren Bestimmung der Anatomie werden häufig Röntgenaufnahmen oder eine Computertomographie durchgeführt.
Die chirurgische Verlängerung des Unterkiefers kann Aussehen und Funktion verbessern. In dem üblichen Verfahren, der sogenannten Distraktionsosteogenese, wird eine Osteotomie durchgeführt, gefolgt von der Platzierung eines Teilungsgerät zwischen die beiden Teile. Mit der Zeit wird die Entfernung zwischen den zwei Teilen vergrößert und neuer Knochen wächst in dieser Lücke, um die Mandibula zu vergrößern.
Agnathie
Ein angeborenes Fehlen des kondyloiden Fortsatzes (manchmal auch des koronoiden Fortsatzes oder/und Teilen der Mandibula) stellt eine schwere Fehlbildung dar. Die Mandibula verlagert sich zur betroffenen Seite und führt zu einer schweren Malokklusion. Die nicht betroffene Seite ist verlängert und abgeflacht. Oft kommen auch gleichzeitig Fehlbildungen des äußeren, mittleren und inneren Ohres, des Temporalknochens, der Parotis, der Masseter und des Fazialisnervs vor. Syndrome, die berücksichtigt werden müssen, umfassen Agnathie-Holoprosenzephalie, Otozephalie, eine schwere Form des zerebrocostomandibulären Syndroms und Ivemark-Syndrom.
Die Röntgenbilder oder die Gesichts-CT der Mandibula und des temporomandibulären Gelenks zeigen das Ausmaß der Unterentwicklung und unterscheiden die Agenesie von anderen Krankheiten, die zu einer ähnlichen Gesichtfehlbildung führen, aber keine so schweren strukturellen Defekte mit sich bringen. Eine Gesichts-CT wird in der Regel vor der Operation durchgeführt.
Die Behandlung einer Agnathie besteht aus einer sofortigen Rekonstruktion mit autologem Knochenmaterial, um ein Fortschreiten der fazialen Fehlbildung zu begrenzen. Oft können eine Mentoplastik, darüberliegende Transplantate mit Knochen- und Knorpelmaterial, Weichteillappen und -transplantate die Gesichtssymmetrie weiter verbessern. Die Distraktionsosteogenese, bei der eine Osteotomie durchgeführt wird und eine Distraktions- (Separator-) Vorrichtung an beiden Teilen des Unterkiefers angebracht wird, wird zunehmend verwendet. Die kieferorthopädische Behandlung hilft im Jugendalter bei der Korrektur der Bissanomalie.
Oberkieferhypoplasie
Die Oberkieferhypoplasie ist eine Unterentwicklung der Oberkieferknochen, die eine Mittelgesichtsretrusion verursacht und die Illusion von Protuberanzen (nach vorne ragend) des Unterkiefers erzeugt.
Röntgenbilder oder ein CT des Gesichts zeigen den Grad der Unterentwicklung.
Die Behandlung der Oberkieferhypoplasie kann je nach Schweregrad einen chirurgischen Eingriff oder eine kieferorthopädische Zahnspange beinhalten.