Die Störung des sexuellen Interesses/der sexuellen Erregung ist gekennzeichnet durch das Fehlen oder die Abnahme des sexuellen Interesses, der Aufnahme sexueller Aktivitäten, des Vergnügens, der Gedanken und der Fantasien, das Fehlen von reaktivem Verlangen und/oder das Fehlen subjektiver Erregung oder einer körperlichen genitalen Reaktion auf sexuelle Stimulation - nichtgenital, genital oder beides.
(Siehe auch Übersicht zu Sexualfunktionen und Sexualstörungen der Frau.)
Frauen mit einer Störung des sexuellen Interesses/der sexuellen Erregung haben wenig oder kein Interesse an Sex und reagieren weder subjektiv noch körperlich auf sexuelle Stimulation. Der Verlust im Interesse und der Fähigkeit, sexuell erregt zu werden ist größer, als aufgrund des Alters und der Dauer der Beziehung zu erwarten wäre. Mangelndes sexuelles Interesse und die Unfähigkeit, sexuell erregt zu werden, werden nur dann als Störung betrachtet, wenn sie die Frauen beunruhigen und das Interesse während der gesamten sexuellen Erfahrung nicht vorhanden ist.
Verminderte sexuelle Erregung kann als subjektiv, genital oder kombiniert kategorisiert werden. Diese Kategorien beruhen auf klinischen Gesichtspunkten und unterscheiden sich zum Teil durch die Reaktion der Frau auf genitale und nichtgenitale Stimulation:
Subjektiv: Frauen fühlen sich trotz einer körperlich genitalen Reaktion (z. B. genitale Vasokongestion) durch beliebige sexuelle genitale oder nichtgenitale Reize (z. B. Küssen, Tanzen, Anschauen eines erotischen Videos, körperliche Stimulation) nicht erregt.
Genital: Die subjektive Erregung erfolgt als Reaktion auf eine nichtgenitale Stimulation (z. B. ein erotisches Video), aber nicht als Reaktion auf eine genitale Stimulation. Diese Störung betrifft typischerweise postmenopausale Frauen. Vaginale Gleitfähigkeit und/oder genitale sexuelle Sensibilität sind herabgesetzt.
Kombiniert: Die subjektive Erregbarkeit auf beliebige sexuelle Reize fehlt oder ist gering, und die Frauen berichten von einer fehlenden körperlich genitalen Erregbarkeit (d. h., sie geben an, dass sie externe Gleitmitttel benötigen und dass es nicht mehr zu einem Anschwellen der Klitoris kommt).
Ätiologie der Störung des sexuellen Interesses/der sexuellen Erregung
Häufige Ursachen für Störungen des sexuellen Interesses/Erregungszustands sind
Psychische Faktoren (z. B. Depressionen, Ängste, geringes Selbstwertgefühl, Stress, Ängste, Ablenkbarkeit, mangelnde Kommunikation zwischen den Partnern, andere Beziehungsprobleme)
Unerfreuliche sexuelle Erfahrungen (z. B. aufgrund mangelnder sexueller Fähigkeiten oder schlechter Kommunikation der Bedürfnisse)
Physikalische Faktoren (z. B. Erkrankungen wie das Urogenitalsyndrom der Menopause und Vulvadystrophie, Veränderungen des Sexualhormonspiegels, bestimmte Medikamente, Müdigkeit, Schwäche)
Die Verwendung bestimmter Medikamente, wie z. B. selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRIs), einige Anti-Epileptika und Betablocker können das sexuelle Interesse reduzieren, ebenso wie das Trinken übermäßiger Mengen von Alkohol. Bestimmte chronische Erkrankungen (z. B. Diabetes, Multiple Sklerose) können autonome oder somatische Nerven oder deren Leitungsbahnen schädigen, was zu einer verminderten Empfindung im Genitalbereich führt.
Schwankungen und Veränderungen des Hormonspiegels (z. B. in den Wechseljahren, während der Schwangerschaft, nach der Geburt, mit dem Menstruationszyklus) können ebenfalls das sexuelle Verlangen beeinflussen. So kann beispielsweise der Östrogenabfall in den Wechseljahren das urogenitale Syndrom der Menopause hervorrufen, das zu Dyspareunie und damit zu einem geringeren sexuellen Interesse führen kann. Eine altersbedingte Reduktion von Testosteron kann den Sexualtrieb verringern, ebenso wie eine Hyperprolaktinämie (die ebenfalls Dyspareunie verursachen kann, weil der Östrogenspiegel sinkt).
Unzureichende sexuelle Stimulation oder die falsche Einstellung für sexuelle Aktivität können auch zum Mangel an sexuellem Interesse oder Erregung beitragen.
Diagnose der Störung des sexuellen Interesses/der sexuellen Erregung
Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, Fünfte Auflage, Textüberarbeitung (DSM-5-TR)
Die Diagnose einer Störung des sexuellen Interesses/der sexuellen Erregung wird klinisch gestellt und basiert auf den DSM-5-TR-Kriterien.
Kriterien erfordern das Fehlen oder eine signifikante Abnahme von ≥ 3 der folgenden Punkte:
Interesse an sexueller Aktivität
Sexuelle oder erotische Fantasien oder Gedanken
Initiierung sexueller Aktivitäten und Reagieren auf die Initiierung durch den Partner
Erregung oder Vergnügen bei ≥ 75% der sexuellen Aktivität
Interesse oder Erregung als Reaktion auf interne oder externe erotische Reize (z. B. schriftlich, verbal, visuell)
Genitale oder nichtgenitale Empfindungen bei ≥ 75% der sexuellen Aktivität
Diese Symptome müssen seit ≥ 6 Monaten bestehen und für die Frau eine erhebliche Belastung darstellen.
Die Diagnose wird nicht gestellt, wenn eine körperliche oder eine andere psychische Ursache (einschließlich Beziehungsproblemen) für die Symptome verantwortlich sein könnte.
Eine Beckenuntersuchung wird durchgeführt, wenn das Eindringen während der sexuellen Aktivität Schmerzen verursacht.
Behandlung der Störung des sexuellen Interesses/der sexuellen Erregung
Aufklärung
Psychologische Therapien
Hormontherapie
Ein multidisziplinärer Ansatz ist für die Behandlung von Störungen des sexuellen Interesses/der sexuellen Erregung am besten geeignet. Das multidisziplinäre Team kann aus Sexualberatern, Schmerzspezialisten, Psychotherapeuten und Physiotherapeuten bestehen.
Eine Aufklärung über sexuelle Anatomie und Funktion (z. B. die Notwendigkeit, andere Bereiche des Körpers vor der Klitoris zu stimulieren, das Erfordernis für emotionale Intimität und Vertrauen) kann helfen. Eine offene, unvoreingenommene Kommunikation zwischen den Sexualpartnern ist unerlässlich.
Effektive sexuelle Stimuli können nichtphysikalische, physische nichtgenitale und nichtpenetrative genitale Stimulation umfassen. Ärzte können empfehlen, intensivere erotische Reize und Fantasien zu verwenden, Ablenkungen zu beseitigen (z. B. einen Fernseher im Schlafzimmer) und Maßnahmen zur Verbesserung der Privatsphäre und des Sicherheitsgefühls zu ergreifen.
Bei psychischen Faktoren, die in der Patientin selbst wirksam sind, kann eine Psychotherapie (z. B. kognitive Verhaltenstherapie) erforderlich sein, obwohl die einfache Erkenntnis, dass psychische Faktoren wichtig sind, oft ausreicht, damit eine Frau ihre Denk- und Verhaltensmuster ändert. Achtsamkeitsbasierte kognitive Therapie (MBCT), die meist bei Frauen in Kleingruppen angewendet wird, kann sich positiv auf Erregung, Orgasmus und anschließendem Verlangen und Motivation auswirken. Ärzte können Frauen an einen Sexualberater oder -therapeuten oder an einen Psychotherapeuten verweisen.
Begleitende hormonelle Ursachen erfordern eine gezielte Behandlung — z. B. topisches Östrogen bei Urogenitalsyndrom der Menopause oder Bromocriptin bei Hyperprolaktinämie. Andere Störungen, die zu den Symptomen beitragen können (z. B. Belastungsinkontinenz), sollten behandelt werden.
Östrogentherapie
Systemisches Östrogen ist nicht zur Behandlung von Störungen der sexuellen Erregung/des sexuellen Interesses indiziert. Es kann jedoch zur Behandlung von Wechseljahrsbeschwerden eingesetzt werden; es kann die Stimmung verbessern, zur Aufrechterhaltung der sexuellen Empfindlichkeit von Haut und Genitalien sowie der vaginalen Lubrikation beitragen und vasomotorische Begleitsymptome (z. B. Hitzewallungen) verringern. Diese Faktoren können das sexuelle Interesse und die Erregung steigern. Transdermale Östrogenpräparate werden in der Regel nach der Menopause bevorzugt, aber es gibt keine Studien darüber, welche Präparate in sexueller Hinsicht am vorteilhaftesten sind. Wenn Frauen einen Uterus haben, erhalten sie zusätzlich zum Östrogen Progesteron, da Östrogen ohne Gegenwirkung das Risiko für ein Endometriumkarzinom erhöht.
Ärzte können postmenopausalen Frauen empfehlen, Östrogen-Formen zu verwenden, die in die Vagina eingeführt werden (z. B. Cremes, Tabletten, in einem Ring), um die Symptome des urogenitalen Syndroms der Menopause zu behandeln. Diese Formen von Östrogen können die vaginale Gesundheit erhalten, helfen aber nicht bei Stimmungsschwankungen, vasomotorischen Symptomen oder Schlafstörungen.
Testosterontherapie
Die kurzfristige Anwendung von transdermalem Testosteron kann bei postmenopausalen Frauen mit Störungen des sexuellen Interesses/der sexuellen Erregung wirksam sein (1). Eine Testosteronbehandlung mit und ohne gleichzeitiges Östrogen führte zu einer Verbesserung der sexuellen Funktion bei Frauen mit vermindertem sexuellem Interesse/verminderter sexueller Erregung. Der primäre Endpunkt war ein erhöhtes sexuelles Verlangen, aber auch die Erregung und das Orgasmusverhalten verbesserten sich.
Über die langfristige Sicherheit und Wirksamkeit der Testosterontherapie ist jedoch wenig bekannt. Wenn es verschrieben wird, ist eine vollständige Erklärung der widersprüchlichen Wirksamkeitsdaten und das Fehlen von langfristigen Sicherheitsdaten sowie eine engmaschige Überwachung auf Nebenwirkungen wie Akne, Hirsutismus und Virilisierung unerlässlich. Außerdem sollte der Patient vor Beginn der Testosterontherapie normale Lipid- und Lebertestergebnisse aufweisen. Eine gemeinsame Entscheidungsfindung wird empfohlen.
Die Dosis von transdermalem Testosteron beträgt 300 mcg einmal täglich. Der Testosteronspiegel sollte zu Beginn und nach 3 bis 6 Wochen gemessen werden; bei prämenopausalen Frauen ist das Ziel, den Spiegel auf einem normalen altersangepassten Wert zu halten. Wenn die Werte über dem Normalbereich für prämenopausale Frauen liegen, wird das Testosteron abgesetzt oder die Dosis verringert. Es wird empfohlen, die Behandlung auf einen kurzen Zeitraum zu beschränken und das Testosteron abzusetzen, wenn nach 6 Monaten kein Ansprechen zu verzeichnen ist. Wegen der möglichen Auswirkungen von Testosteron auf das Brustgewebe sollte in regelmäßigen jährlichen Abständen eine Mammographie durchgeführt werden, um etwaige Veränderungen der Brüste festzustellen.
Derzeit gibt es keine Daten, die eine Verwendung von Testosteron bei Frauen vor der Menopause nahelegen.
Orales oder injiziertes Testosteron wird nicht empfohlen.
Andere Therapien
Intravaginales Prasteron (ein Präparat aus Dehydroepiandrosteron oder DHEA) kann vaginale Trockenheit und Dyspareunie aufgrund des urogenitalen Syndroms der Menopause (2) lindern, was das sexuelle Interesse und die Erregung beeinträchtigen kann; Prasteron kann auch die genitale Empfindlichkeit und den Orgasmus verbessern. Systemisches DHEA hat sich als unwirksam erwiesen. Keine Form von DHEA wurde bei prämenopausalen Frauen untersucht.
Flibanserin, ein Serotonin-Rezeptor-Agonist/Antagonist, kann bei prämenopausalen Frauen mit Störung des sexuellen Interesses/der sexuellen Erregung eingesetzt werden. Eine systematische Überprüfung ergab jedoch, dass die Qualität der Nachweise für die Wirksamkeit und Sicherheit gering und die Wirkung minimal ist (3). Flibanserin hat auch Black-Box-Warnungen, die besagen, dass die gleichzeitige Einnahme von Flibanserin und Alkohol oder die Einnahme von Flibanserin durch Patienten, die einen mäßigen oder starken CYP3A4-Hemmer einnehmen oder eine Leberfunktionsstörung haben, das Risiko von Hypotonie und Synkope erhöht. Frauen, die Antidepressiva einnehmen, wurden von den Studien zu Flibanserin ausgeschlossen; daher sind Sicherheit und Wirksamkeit bei diesen Frauen nicht bekannt.
Bremelanotid ist ein Melanocortin-Rezeptor-Agonist, der für die Behandlung von Libidomangel bei Frauen zugelassen ist. Es wird als subkutane Injektion mindestens 45 Minuten vor der erwarteten sexuellen Aktivität verabreicht. Randomisierte Studien ergaben eine Steigerung des sexuellen Verlangens und keine Zunahme von sexuell befriedigenden Ereignissen; zu den möglichen unerwünschten Wirkungen gehören vorübergehender Bluthochdruck und Hyperpigmentierung der Haut (4, 5).
Frauen mit einer Störung des sexuellen Interesses/der sexuellen Erregung aufgrund der Einnahme selektiver Serotonin-Wiederaufnahmehemmer können von der zusätzlichen Einnahme von Bupropion (einem Noradrenalin-Dopamin-Wiederaufnahmehemmer) profitieren. Im Allgemeinen sind die Studien zu Sildenafil (einem Phosphodiesterase-Typ-5-Hemmer) uneinheitlich und zeigen zumeist, dass Sildenafil bei Frauen unwirksam ist; nur eine kleine Studie zeigte eine geringfügige Verringerung der unerwünschten sexuellen Wirkungen bei prämenopausalen Frauen mit SSRI-assoziierter sexueller Dysfunktion (6).
Außer in kleinen Pilotstudien gibt es kaum Belege dafür, dass Geräte wie Vibratoren oder Klitoris-Sauger bei Frauen mit Störungen des sexuellen Interesses/der sexuellen Erregung und mit Orgasmusstörungen wirksam sind; einige dieser Produkte sind jedoch rezeptfrei erhältlich und können ausprobiert werden.
Literatur zur Behandlung
1. Achilli C, Pundir J, Ramanathan P, et al: Efficacy and safety of transdermal testosterone in postmenopausal women with hypoactive sexual desire disorder: A systematic review and meta-analysis. Fertil Steril 107:475–82, 2017. doi: 10.1016/j.fertnstert.2016.10.028
2. Labrie F, Archer DF, Koltun W, et al: Efficacy of intravaginal dehydroepiandrosterone (DHEA) on moderate to severe dyspareunia and vaginal dryness, symptoms of vulvovaginal atrophy, and of the genitourinary syndrome of menopause. Menopause 23 (3):243–256, 2016. doi: 10.1097/GME.0000000000000571
3. Jaspers L, Feys F, Bramer WM, et al: Efficacy and safety of flibanserin for the treatment of hypoactive sexual desire disorder in women: A systematic review and meta-analysis. JAMA Intern Med 176(4):453-462, 2016. doi: 10.1001/jamainternmed.2015.8565
4. Kingsberg SA, Clayton AH, Portman D, et al: Bremelanotide for the Treatment of Hypoactive Sexual Desire Disorder: Two Randomized Phase 3 Trials. Obstet Gynecol 134(5):899-908, 2019. doi:10.1097/AOG.0000000000003500
5. Clayton AH, Kingsberg SA, Portman D, et al: Safety Profile of Bremelanotide Across the Clinical Development Program. J Womens Health (Larchmt) 31(2):171-182, 2022. doi:10.1089/jwh.2021.0191
6. Nurberg HG, Hensley PL, Heiman JR, et al: Sildenafil treatment of women with antidepressant-associated sexual dysfunction: A randomized controlled trial. JAMA 300 (4):395–04, 2008. doi: 10.1001/jama.300.4.395