Multiple endokrine Neoplasien (MEN)

(Familiäre endokrine Adenomatose; multiple endokrine Adenomatose)

VonLawrence S. Kirschner, MD, PhD, The Ohio State University;
Pamela Brock, MS, CGC, The Ohio State University
Überprüft/überarbeitet Juni 2023 | Geändert Okt. 2023
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Die multiple endokrine Neoplasie ist eine Gruppe seltener Erbkrankheiten, bei denen mehrere endokrine Drüsen gutartige (benigne) oder bösartige (maligne) Tumoren entwickeln oder, die selbst wuchern, ohne dass sich Tumoren bilden.

  • Eine multiple endokrine Neoplasie wird durch Genmutationen verursacht, sie treten also tendenziell familiär gehäuft auf.

  • Es gibt verschiedene Arten von MEN(multiple endokrine Neoplasien)-Syndromen, darunter MEN Typ 1 (MEN 1), MEN Typ 2A (MEN 2A), MEN Typ 2B (MEN 2B) und MEN Typ 4 (MEN 4).

  • Die Symptome hängen davon ab, welche Drüsen betroffen sind.

  • Genetische Screening-Untersuchungen können zur Bestätigung der Diagnose und zur Identifizierung der Familienmitglieder erfolgen, die an multiplen endokrinen Neoplasien leiden.

  • Es gibt keine Heilung. Ärzte behandeln jedoch auftretende Veränderungen in den einzelnen Drüsen operativ oder medikamentös, um die übermäßige Hormonproduktion zu kontrollieren.

Multiple endokrine Neoplasien können bei Kindern ebenso wie während der gesamten Lebenszeit auftreten. Diese Syndrome werden in der Regel vererbt.

Die Tumoren und die abnorm großen Drüsen setzen häufig übermäßig viele Hormone frei. Obwohl die Tumoren oder abnormes Wachstum in mehreren Drüsen gleichzeitig auftreten können, entstehen die Veränderungen erst nach und nach.

Multiple endokrine Neoplasien werden durch Genmutationen verursacht, die in der Regel von einem Elternteil geerbt wurden. Es wurde ein einzelnes Gen identifiziert, das MEN Typ 1 verursacht. Bei Menschen mit MEN Typ 2A und MEN Typ 2B wurden Abnormitäten in einem anderen Gen festgestellt, und ein drittes Gen ist für MEN 4 verantwortlich.

Arten von MEN-Syndromen

Multiple endokrine Neoplasien treten in vier Mustern auf, nämlich als MEN Typ 1, MEN Typ 2A, MEN Typ 2B und MEN Typ 4, wobei die Typen sich gelegentlich überlappen.

MEN Typ 1

Patienten mit multipler endokriner Neoplasie des Typs 1 entwickeln Tumoren oder übermäßiges Wachstum und Aktivität in zwei oder mehr der folgenden Drüsen:

  • den Nebenschilddrüsen (den kleinen Drüsen, die sich neben der Schilddrüse an der Halsbasis befinden)

  • Bauchspeicheldrüse

  • der Hypophyse (Hirnanhangdrüse)

  • der Nebennieren (weniger häufig betroffen)

Nahezu alle Menschen mit multiplen endokrinen Neoplasien vom Typ 1 haben Tumoren der Nebenschilddrüsen. Die meisten dieser Tumoren sind nicht bösartig, können aber die Drüsen zur Produktion von zu viel Parathormon anregen (Hyperparathyreoidismus). Das überschüssige Parathormon hebt normalerweise die Kalziumspiegel im Blut an und verursacht so manchmal Nierensteine.

Viele Personen mit MEN Typ 1 (30 bis 90 Prozent) entwickeln auch Tumoren der hormonproduzierenden Zellen (Inselzellen) der Bauchspeicheldrüse (auch neuroendokrine Tumoren der Bauchspeicheldrüse genannt).

Mehr als die Hälfte der Inselzelltumoren bilden übermäßig viel Gastrin, das die Säurebildung im Magen übermäßig anregt. Personen mit Gastrin produzierenden Tumoren entwickeln in der Regel Magengeschwüre, die häufig bluten, durchbrechen (perforieren) und Mageninhalt in die Bauchhöhle gelangen lassen oder, die den Magen verschließen. Der hohe Säurespiegel beeinträchtigt häufig die Tätigkeit der Enzyme der Bauchspeicheldrüse, was zu Durchfall und übelriechenden Fettstühlen (Steatorrhö) führt. Einige dieser Tumoren führen zu hohen Spiegeln von Insulin und demzufolge zu sehr niedrigen Blutzuckerspiegeln (Hypoglykämie), vor allem, wenn die betreffende Person mehrere Stunden nichts gegessen hat. Die übrigen Inselzelltumoren können andere Hormone bilden, z. B. vasoaktives intestinales Polypeptid, das schwere Durchfälle und Dehydration (Austrocknung) hervorrufen kann. Manche Inselzelltumoren produzieren überhaupt keine Hormone.

Einige Inselzelltumoren sind bösartig und können in andere Körperregionen streuen (metastasieren). Bei Menschen mit MEN Typ 1 wachsen bösartige Inselzelltumoren tendenziell langsamer als bei Menschen ohne diesen Erkrankungstyp.

Einige Menschen mit MEN Typ 1 entwickeln Tumoren der Hypophyse. Einige dieser Tumoren produzieren das Hormon Prolaktin, wodurch es zu menstruellen Veränderungen und Brustsekretion bei Frauen, die nicht stillen, kommt (Galaktorrhö), sowie zu reduziertem sexuellem Verlangen und Erektionsstörung (Impotenz) bei Männern. Andere Tumoren bilden Wachstumshormone (wodurch es zur Akromegalie kommt). Ein kleiner Prozentsatz der Hypophysentumoren bildet Kortikotropin, das die Nebennieren zu stark anregt, wodurch es zu hohen Spiegeln von Kortikosteroidhormonen und der Entstehung eines Cushing-Syndroms kommt. Einige wenige Hypophysentumoren bilden überhaupt keine Hormone. Manche Hypophysentumoren verursachen Kopfschmerzen, Sehstörungen und eine verminderte Funktion der Hypophyse als Folge des Drucks auf benachbarte Teile des Gehirns.

Bei manchen Personen mit MEN Typ 1 kommen Tumoren oder übermäßiges Wachstum und eine übermäßige Tätigkeit der Schilddrüse und der Nebennieren vor. Ein kleiner Prozentsatz der Patienten entwickelt eine andere Tumorform, die Karzinoidtumoren. Manche Menschen bilden auch nicht bösartige Wucherungen unmittelbar unter der Haut.

Bei Frauen mit MEN Typ 1 besteht ein höheres Risiko für Brustkrebs.

MEN Typ 2A

Patienten mit multipler endokriner Neoplasie vom Typ 2A entwickeln Tumoren oder übermäßiges Wachstum und Aktivität in zwei oder drei der folgenden Drüsen:

Gelegentlich tritt bei Patienten mit MEN Typ 2A eine juckende Hauterkrankung auf, die als kutanes Lichen amyloidosus bezeichnet wird. Die Hirschsprung-Krankheit tritt bei 2 bis 5 % der Patienten mit MEN Typ 2A auf.

Fast jeder Patient mit MEN Typ 2A entwickelt ein medulläres Schilddrüsenkarzinom. Etwa 40 bis 50 % entwickeln bestimmte Tumoren der Nebennieren (Phäochromozytome), durch die wegen der Produktion von Adrenalin und anderen Substanzen meist der Blutdruck ansteigt. Der Bluthochdruck kann zeitweilig oder dauerhaft auftreten und ist häufig sehr schwer.

Manche Menschen mit MEN Typ 2A haben überaktive Nebenschilddrüsen. Ein hoher Parathormonspiegel führt zu einem erhöhten Kalziumspiegel im Blut. Das vermehrte Kalzium verursacht häufig keine Symptome, führt jedoch bei ca. 25 % der Patienten zu Nierensteinen.

MEN Typ 2B

Die multiple endokrine Neoplasie Typ 2B kann aus Folgendem bestehen:

Manche Menschen mit MEN Typ 2B weisen diesbezüglich keine Familiengeschichte auf. Bei diesen Menschen ist die Krankheit das Ergebnis eines neuen Gendefekts (einer Genmutation).

Das medulläre Schilddrüsenkarzinom beim MEN Typ 2B entwickelt sich tendenziell in jungen Jahren und ist schon bei Kindern im Alter von 3 Monaten festgestellt worden. Die medullären Schilddrüsentumoren bei MEN Typ 2B wachsen schneller und breiten sich rascher aus als jene bei MEN Typ 2A.

Die meisten Menschen mit MEN Typ 2B entwickeln Neurinome in den Schleimhäuten. Diese Neurinome treten als glänzende Knötchen im Bereich von Lippen, Zunge und der Mundschleimhaut in Erscheinung. Neurinome können auch auf den Augenlidern und der glänzenden Oberfläche der Augen, einschließlich der Bindehaut und der Hornhaut, auftreten. Die Augenlider und Lippen können anschwellen und die Lippen können sich nach außen stülpen (evertieren).

Veränderungen im Bereich des Verdauungstrakts können zu Verstopfung und Durchfall führen. Gelegentlich bilden sich im Dickdarm große, dilatierte Schlingen (Megakolon). Vermutlich sind diese Auffälligkeiten auf Neurinome zurückzuführen, die an den Nerven des Darmtrakts entstehen.

Menschen mit MEN Typ 2B entwickeln oft Wirbelsäulenanomalien, insbesondere eine Krümmung der Wirbelsäule. Sie können auch Veränderungen der Knochen des Schädels, der Füße und Oberschenkel aufweisen. Die meisten Menschen mit MEN Typ 2B haben lange Gliedmaßen und elastische Gelenke und wirken recht dünn. Manche dieser Auffälligkeiten sind denen des Marfan-Syndroms ähnlich.

Tabelle
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MEN Typ 4

MEN Typ 4 ähnelt MEN Typ 1, ist aber auf eine Abnormität in einem anderen Gen zurückzuführen und tritt viel seltener auf. Menschen mit MEN Typ 4 entwickeln Tumoren in:

  • Nebenschilddrüsen

  • Bauchspeicheldrüse

  • Hirnanhangsdrüse (Hypophyse)

Bei Menschen mit MEN Typ 4 ist in der Regel nur eine Nebenschilddrüse betroffen. Beim MEN Typ 1 sind mehrere Nebenschilddrüsen betroffen. Außerdem haben Menschen mit MEN Typ 4 nicht die gleichen Hautsymptome wie Menschen mit MEN Typ 1.

Diagnose von MEN-Syndromen

  • Gentests

  • Hormonspiegel im Blut und Urin

  • Manchmal bildgebende Diagnostikverfahren

Es gibt Tests zur Feststellung der bei den jeweiligen multiplen endokrinen Neoplasien vorliegenden genetischen Veränderung. Ärzte führen diese genetischen Tests normalerweise bei Menschen durch, die einen der Tumoren aufweisen, die mit multipler endokriner Neoplasie assoziiert werden, und bei Familienmitgliedern von Menschen, bei denen bereits eines der Syndrome diagnostiziert wurde. Das Screening von Familienmitgliedern, manchmal sogar vor der Geburt, ist besonders wichtig, da ca. die Hälfte der Kinder von Menschen mit einer multiplen endokrinen Neoplasie die Erkrankung erbt. In seltenen Fällen kann eine Person mit multipler endokriner Neoplasie normale genetische Testergebnisse aufweisen.

Blut- und Urintests werden durchgeführt, um erhöhte Hormonspiegel nachzuweisen.

Bildgebende Verfahren, wie z. B. Ultraschall, Computertomografie (CT), Magnetresonanztomografie (MRT) und Positronen-Emissions-Tomografie (PET), sind ebenfalls notwendig, um die Lage der Tumoren zu bestimmen.

Behandlung von MEN-Syndromen

  • Tumorentfernung

  • Oft Entfernung der Schilddrüse

  • Arzneimittel

Für keine der multiplen endokrinen Neoplasien ist eine generelle Heilmethode bekannt. Ärzte behandeln die Veränderungen der einzelnen Drüsen individuell.

Ein Tumor wird, falls möglich, durch operative Entfernung behandelt. Einige kleine Inselzelltumoren der Bauchspeicheldrüse werden nicht sofort entfernt, aber überwacht, um zu überprüfen, ob diese so groß werden, dass sie Probleme verursachen könnten. Vor einer Entfernung, oder wenn eine Entfernung nicht möglich ist, verabreichen Ärzte Medikamente, um das Hormon-Ungleichgewicht durch die Überaktivität der Drüse zu korrigieren. Eine massiv vergrößerte und überaktive Drüse ohne Tumor wird mit Medikamenten behandelt, um die Wirkungen der Überaktivität auszugleichen.

Da das medulläre Schilddrüsenkarzinom unbehandelt tödlich endet, empfehlen Ärzte am ehesten die präventive operative Entfernung der Schilddrüse, wenn bei den Untersuchungen der Nachweis einer multiplen endokrinen Neoplasie vom Typ 2A oder 2B erbracht wurde. Dieser präventive chirurgische Eingriff wird selbst dann durchgeführt, wenn die Diagnose eines medullären Schilddrüsenkarzinoms vor der Operation nicht gestellt wurde. Anders als bei anderen Formen des Schilddrüsenkarzinoms kann diese aggressive Art nicht mit radioaktivem Jod behandelt werden. Nach der Entfernung der Schilddrüse müssen die Personen lebenslang Schilddrüsenhormone einnehmen. Wenn der Schilddrüsenkrebs bereits gestreut (metastasiert) hat, können andere Behandlungen (wie Chemotherapie oder Medikamente) manchmal das Leben des Betroffenen verlängern. Phäochromozytome müssen operativ entfernt werden, nachdem der Blutdruck der Person mit entsprechenden Medikamenten unter Kontrolle gebracht wurde.

Da sich die Tumoren nicht immer alle gleichzeitig entwickeln, können Patienten mit multipler endokriner Neoplasie ängstlich und darüber besorgt sein, ob und wann sich ein weiterer Tumor entwickelt. Eine regelmäßige Überwachung mit Bluttests und bildgebenden Verfahren ist wichtig, kann aber die Angst verstärken. Damit die Betroffenen ihre Krankheit besser verstehen und besser mit ihren Ängsten umgehen lernen können, kann eine Beratung notwendig sein.