Die akute Belastungsstörung bezeichnet einen kurzen Zeitraum mit intrusiven Erinnerungen, der innerhalb von 4 Wochen auftritt, nachdem ein Mensch Zeuge oder Betroffener eines überwältigenden traumatischen Erlebnisses wurde. Die Diagnose wird nach klinischen Kriterien gestellt. Die Behandlung konzentriert sich auf Selbstversorgung und Psychotherapie. Die Pharmakotherapie hat nur eine begrenzte Bedeutung.
(Siehe auch Übersicht über Trauma- und Stressbezogene Krankheiten.)
Die akute Belastungsstörung (ASD) beinhaltet akute Stressreaktionen, die sich innerhalb eines Monats nach der Exposition gegenüber einem traumatischen Ereignis entwickeln. Zu diesen Stressreaktionen gehören aufdringliche Erinnerungen an das Trauma, Vermeidung von Reizen, die den Patienten an das Trauma erinnern, negative Stimmung, dissoziative Symptome (einschließlich Derealisation und Amnesie), Vermeidung von Erinnerungen und erhöhte Erregung. Wenn signifikante Symptome länger als 1 Monat andauern, sollte die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) in Betracht gezogen werden.
ASD beschreibt eine Gruppe von Menschen, die nach einer traumatischen Erfahrung unter erheblichem Leid leiden, das über das hinausgeht, was mit einer Anpassungsstörung vereinbar ist.
Diagnose der akuten Belastungsstörung
Kriterien des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, 5. Auflage, Textüberarbeitung (DSM-5-TR)
Um die DSM-5-TR-Kriterien für die Diagnose der akuten Belastungsstörung zu erfüllen, müssen die Patienten direkt oder indirekt einem traumatischen Ereignis ausgesetzt gewesen sein und ≥ 9 der folgenden Symptome aus einer der 5 Kategorien (Intrusion, negative Stimmung, Dissoziation, Vermeidung und Erregung) müssen für einen Zeitraum von 3 Tagen bis zu 1 Monat vorhanden sein (1):
Intrusionssymptome
Wiederkehrende, unwillkürliche und intrusive belastende Erinnerungen an das Ereignis
Wiederkehrende beunruhigende Träume von diesem Ereignis (z. B. Albträume)
Dissoziative Reaktionen (z. B. Flashbacks), bei denen Patienten das Gefühl haben, als wenn das traumatische Ereignis wiederkehre.
Intensive psychologische oder physiologische Belastung, wenn sie an das Ereignis erinnert wird (z. B. durch Betreten eines ähnlichen Ortes, durch ähnliche Geräusche wie während des Ereignisses).
Negative Stimmung
Persistierende Unfähigkeit, positive Emotionen zu erleben (z. B. Glück, Zufriedenheit, liebevolle Gefühle)
Dissoziative Symptome
Eine veränderter Realitätssinn (z. B. das Gefühl von Benommenheit, verlangsamter Zeit, veränderte Wahrnehmungen)
Unfähigkeit, sich an einen wichtigen Teil des traumatischen Ereignisses zu erinnern
Vermeidungssymptome
Die Bemühungen, die quälenden Erinnerungen, Gedanken oder Gefühle, die mit dem Ereignis in Zussammenhang stehen, zu vermeiden
Die Bemühungen, externe Erinnerungen (Menschen, Orte, Gespräche, Aktivitäten, Aufgaben, Situationen) zu vermeiden, mit dem Ereignis in Zusammenhang stehen.
Erregungssymptome
Schlafstörungen
Reizbarkeit oder Wutausbrüche
Hypervigilanz
Konzentrationsschwierigkeiten
Schreckhaftigkeit
Darüber hinaus müssen diese Symptome erhebliche Belastungen verursachen oder das soziale oder berufliche Leben erheblich beeinträchtigen. Sie sollten nicht auf die physiologischen Auswirkungen einer substanzbedingten oder einer anderen medizinischen Störung zurückzuführen sein.
Diagnosehinweis
1. Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, 5th edition,Text Revision (DSM-5-TR). American Psychiatric Association Publishing, Washington, DC, pp 313-319.
Behandlung der akuten Belastungsstörung
Sicherheit und Selbstfürsorge
Psychotherapie
Begrenzte Bedeutung der Pharmakotherapie
Sicherheit und Selbstfürsorge sind wichtig für eine erfolgreiche Erholung von einer akuten Belastungsstörung (ASD). Es kann schwierig sein, die ASD zu überwinden, wenn das traumatische Erlebnis immer wieder auftritt und die Umgebungsbedingungen unsicher bleiben. Die Beachtung der körperlichen Bedürfnisse und ausreichend Schlaf sind hilfreich.
Darüber hinaus kann eine Psychotherapie, die sich auf die Aufarbeitung der emotionalen Folgen des Traumas konzentriert, wirksam sein. Zu den negativen Auswirkungen einer plötzlichen traumatischen Erfahrung können Scham und unangemessene Schuldgefühle gehören, die durch emotionalen Schutz und Unterstützung gemildert werden können.
Selbstversorgung
Die Eigenfürsorge ist während und nach einer Krise oder einem Trauma entscheidend. Die Eigenfürsorge kann in 3 Komponenten unterteilt werden:
Persönliche Sicherheit
Körperliche Gesundheit und praktische Unterstützung
Achtsamkeit
Persönliche Sicherheit ist von grundlegender Bedeutung. Nach einer traumatischen Episode sind Menschen besser in der Lage, das Erlebnis zu verarbeiten, wenn sie wissen, dass sie und ihre Angehörigen in Sicherheit sind. Es kann jedoch schwierig sein, während anhaltender Krisen wie häuslicher Gewalt, Krieg oder einer ansteckenden Pandemie vollständige Sicherheit zu erlangen. Während solcher andauernder Schwierigkeiten sollten die Menschen den Rat von Experten einholen, wie sie und ihre Angehörigen so sicher wie möglich sein können.
Während und nach traumatischen Erfahrungen kann die körperliche Gesundheit gefährdet sein. Die gefährdete Person sollte so weit wie möglich versuchen, einen gesunden Zeitplan für Essen, Schlafen und Bewegung einzuhalten. Arzneimittel und Substanzen, die sedieren (z. B. Benzodiazepine) und berauschen (z. B. Alkohol), sollten, wenn überhaupt, sparsam eingesetzt werden. Praktische Unterstützung umfasst Hilfe bei der Wohnungssuche, rechtliche Unterstützung, Versicherungen und andere Fragen, die geklärt werden müssen, aber überfordernd sein können.
Ein achtsamer Ansatz zur Eigenfürsorge zielt darauf ab, den Stress, die Langeweile, den Ärger, die Traurigkeit und die Isolation zu reduzieren, die traumatisierte Menschen normalerweise erleben. Wenn es die Umstände erlauben, sollten gefährdete Personen einen normalen Tagesablauf erstellen und befolgen.
Das Einbeziehen der Umgebung kann entscheidend sein, auch wenn die Aufrechterhaltung der menschlichen Verbindung während einer Krise schwierig ist.
Es ist sinnvoll, vertraute Hobbys auszuüben, aber auch Aktivitäten, die Spaß machen und ablenken: ein Bild malen, einen Film ansehen, kochen.
Dehnen und Bewegung sind hilfreich, aber auch Selbstberuhigungstechniken wie das Zählen der eigenen Atemzüge, Meditation oder Selbsthypnose können hilfreich sein. Auch soziale Kontakte zu Familie und Freunden werden gefördert.
Unter Stress können Menschen reizbar werden, auch gegenüber Menschen, die ihnen wichtig sind. Freunde und Familienangehörige können besonders hilfreich sein, wenn es darum geht, ihre Besorgnis und ihren Trost auszudrücken. Eine nette Nachricht zu schicken, Kekse zu backen und ein Lächeln zu schenken, kann nicht nur eine nette Überraschung für den Empfänger sein, sondern kann auch die Hoffnungslosigkeit und Scham verringern, die oft Teil der Trauma-Erfahrung sind.
Psychotherapie
Die traumafokussierte kognitive Verhaltenstherapie (CBT) ist eine zeitlich begrenzte CBT-Behandlung, die über die solideste Evidenzbasis für die Behandlung von ASD und die Prävention von PTBS verfügt (1). Diese Psychotherapie besteht aus 3 Teilen:
Die Aufklärung des Patienten ist ein wichtiger erster Schritt. Eine Normalisierung und Erklärung der Stressreaktion ist oft hilfreich, ebenso wie die Erinnerung daran, dass sich die Symptome verbessern sollten.
Die kognitive Umstrukturierung hilft dabei, unangepasste Gedanken zu korrigieren, die der Patient über das Trauma oder die persönliche Reaktion auf das Trauma hat.
Die Exposition gegenüber traumatischen Erinnerungen oder sicheren Erinnerungen an traumatische Erfahrungen ist ein wichtiger – wenn auch schwieriger – Teil der Psychotherapie. Durch das Wiedererleben ist der Patient besser in der Lage, emotionales Material zu verarbeiten, das er zuvor als überwältigend empfunden hat.
Die traumafokussierte CBT wird im Allgemeinen mindestens 2 Wochen nach dem Trauma durchgeführt. Diese Zeitspanne erlaubt es den meisten Situationen, sich zu beruhigen, und verschafft den Patienten etwas Abstand von akuten Problemen, die mit Komplikationen wie Gefahr, Schmerzen, Operationen und geographischer Verlagerung zusammenhängen. Da die traumafokussierte CBT selbst sehr belastend sein kann, wird die Therapie möglicherweise monatelang aufgeschoben, während der Arzt die Faktoren ermittelt, die die Behandlung erschweren könnten. Zu diesen komplizierenden Faktoren gehören klinisch signifikante Suizidalität, Dissoziation, Trauer, Wut, Psychose oder PTBS-Symptome aufgrund eines früheren Traumas.
Die Nachbesprechung ist eine Form der Psychotherapie, von der abgeraten wird, weil sie sich nicht als wirksam erwiesen hat; sie wird jedoch nach wie vor häufig praktiziert. Bei dieser Intervention wird der Patient gebeten, eine detaillierte Beschreibung des Traumas innerhalb der ersten 72 Stunden abzugeben.
Pharmakotherapie
Es gibt keine Medikamente, die ausreichend belegt sind, um eine routinemäßige Anwendung zur Linderung der Symptome von ASD oder zur Vorbeugung der Entwicklung von PTBS zu empfehlen (2).
Die kurzfristige Einnahme von Benzodiazepinen kann für Patienten mit Schlaflosigkeit, Angst und Unruhe hilfreich sein, aber eine längere Einnahme scheint die Genesung zu beeinträchtigen. Es mag zwar eine Untergruppe von Patienten mit ASD geben, bei denen Medikamente wie selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), Propranolol oder Morphin Linderung verschaffen, doch haben Studien bisher keine robuste Wirksamkeit gezeigt. Eine retrospektive Studie des US-Militärs deutet darauf hin, dass die Einnahme von Morphin in der akuten Phase nach einem schweren körperlichen Trauma das Risiko der späteren Entwicklung einer PTBS verringert (3); dieser Ansatz wurde nicht weiter untersucht.
Literatur zur Behandlung
1. Carpenter JK, Andrews LA, Witcraft SM, et al: Cognitive behavioral therapy for anxiety and related disorders: A meta-analysis of randomized placebo-controlled trials. Depress Anxiety 35(6):502-514, 2018. doi: 10.1002/da.22728
2. Wright LA, Sijbrandij M, Sinnerton R, et al: Pharmacological prevention and early treatment of post-traumatic stress disorder and acute stress disorder: a systematic review and meta-analysis. Transl Psychiatry 9(1):334, 2019. doi: 10.1038/s41398-019-0673-5
3. Holbrook TL, Galarneau MR, Dye JL, et al: Morphine use after combat injury in Iraq and post-traumatic stress disorder N Engl J Med 362(2):110-117, 2010. doi: 10.1056/NEJMoa0903326.