Erbliche Thrombozytenfunktionsstörungen

(Hereditäre Thrombozytenfunktionsstörungen)

VonDavid J. Kuter, MD, DPhil, Harvard Medical School
Überprüft/überarbeitet Mai 2024
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Erbliche Thrombozytenfunktionsstörungen sind selten und verursachen lebenslange Blutungsneigungen. Die Diagnose wird durch Thrombozytenaggregationstests gestellt. Um schwere Blutungen zu beherrschen, sind meist Thrombozytentransfusionen notwendig.

    (Siehe auch Übersicht über die Herzklappenkrankheiten.)

    Normale Hämostase erfordert

    • Thrombozytenadhäsion

    • Thrombozytenaktivierung

    Für die Thrombozytenadhäsion (d. h. von Thrombozyten mit Kontakt zum vaskulären Subendothel) werden sowohl der Von-Willebrand-Faktor (vWF) als auch der Glykoprotein-Ib-/-IX-Komplex benötigt.

    Die Thrombozytenaktivierung erfordert den Glykoprotein-IIb-/-IIIa-Komplex, durch den die Thrombozytenaggregation und die Bindung von Fibrinogen gefördert werden. Bei der Aktivierung wird Adenosindiphosphat (ADP) aus Speichergranula der Thrombozyten freigesetzt und Arachidonsäure durch das Enzym Cyclooxygenase in Thromboxan A2 umgesetzt. Das freigesetzte ADP wirkt auf die P2Y12- Rezeptoren auf anderen Blutplättchen, wodurch sie aktiviert und an den Ort der Verletzung rekrutiert werden. Zusätzlich bewirkt ADP (und Thromboxan A2) dann Änderungen im Glykoprotein-IIb-/-IIIa-Komplex; durch die anschließende verstärkte Fibrinogenbindung kommt es zur Verklumpung der Thrombozyten.

    Erbliche Thrombozytenfunktionsstörungen können Defekte in jedem dieser Substrate und Schritte umfassen. Bei Patienten mit bereits lebenslang bestehenden Blutungsstörungen, bei denen die Thrombozyten- und Gerinnungsuntersuchungen normal sind, muss eine Krankheit aus diesem Formenkreis angenommen werden. Die Diagnose basiert in der Regel auf Thrombozytenaggregationstests; die Ergebnisse der Thrombozytenaggregationstests können jedoch sehr unterschiedlich sein, und die Interpretation der Ergebnisse ist oft nicht schlüssig (siehe Tabelle Ergebnisse der Aggregationstests bei erblichen Thrombozytenfunktionsstörungen). Plättchenaggregationstests bewerten die Fähigkeit der Plättchen, als Reaktion auf die Zugabe verschiedener Aktivatoren (z. B. Kollagen, Epinephrin, ADP, Ristocetin) zu klumpen. Die Diagnose dieser Erkrankungen erfordert in der Regel die Hilfe von Ärzten, die auf solche Gerinnungsstörungen spezialisiert sind. Eine Vielzahl dieser Erkrankungen kann mit oder ohne Thombozytopenie auftreten.

    Thrombozytenaggregationsstudien sind unzuverlässig, wenn die Thrombozytenzahl < 100.000/mcl ist (< 100 × 109/l).

    Tabelle
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    Störungen der Thrombozytenadhäsion

    Eine seltene autosomal-rezessiv vererbte Krankheit ist das Bernard-Soulier-Syndrom. Es verursacht Thrombozytopenie und beeinträchtigt die Thrombozytenadhäsion durch einen Defekt im Glykoprotein-Ib/IX-Komplex, der den endothelialen VWF bindet. Es können schwere Blutungen auftreten. Die Thrombozyten sind ungewöhnlich groß (Riesenthrombozyten). Es findet keine Aggregation durch die Zugabe von Ristocetin statt, die Aggregation mit ADP, Kollagen und Epinephrin ist hingegen normal.

    Riesenthrombozyten in Kombination mit funktionellen Störungen treten auch beim May-Hegglin-Syndrom, einer thrombozytopenischen Krankheit mit gestörten Einschlüssen in Leukozyten, sowie beim Chédiak-Higashi-Syndrom auf.

    Bei all diesen Erkrankungen ist eine Thrombozytentransfusion notwendig, um schwere Blutungen zu kontrollieren.

    Die Von-Willebrand-Krankheit ist auf einen Mangel oder Defekt des VWF zurückzuführen, welcher benötigt wird, um die Thrombozytenadhäsion zu ermöglichen. Sie wird meist mit Desmopressin oder durch VWF-Ersatz mit viral inaktiviertem Faktor-VIII-Konzentraten mittlerer Reinheit, die VWF enthalten, oder den rekombinanten VWF-Produkten behandelt.

    Störungen der Thrombozytenaktivierung

    Störungen der Amplifikation der Thrombozytenaktivierung sind die häufigsten erblichen Thrombozytenfunktionsstörungen und führen zu leichten Blutungen. Sie können durch einen verminderten ADP-Gehalt in den thrombozytären Granula (Speicherpooldefizit), durch Störungen bei der Umsetzung von Arachidonsäure in Thromboxan A2 oder durch Störungen der Thrombozytenaggregation als Reaktion auf Thromboxan A2 bedingt sein.

    Die Thrombozytenaggregationstests zeigen eine gestörte Aggregation nach der Exposition mit Kollagen, Adrenalin und niedrig dosiertem ADP und normale Aggregation nach Exposition mit Ristocetin und hohen Adenosindiphosphatwerten (ADP). Das gleiche Muster tritt nach der Einnahme von nichtsteroidalem Antiphlogistikum oder Acetylsalicylsäure auf und kann über mehrere Tage andauern. Daher sollten Thrombozytenaggregationstests bei Patienten, die diese Medikamente in den letzten 10 Tagen eingenommen haben, nicht durchgeführt werden.

    Die Thrombasthenie (Glanzmann-Naegeli-Syndrom) ist eine seltene autosomal-rezessiv vererbte Krankheit, bei der ein Defekt des Thrombozyten-Glykoprotein-Rezeptors IIb/IIIa vorliegt, der die Aggregation der Thrombozyten verhindert. Bei den Patienten können schwere Schleimhautblutungen auftreten, z. B. Nasenbluten, das nur durch das Anlegen einer Tamponade und die Transfusion von Thrombozyten beherrschbar ist. Bestätigt wird die Diagnose, wenn sich unter Zugabe von Epinephrin, Kollagen oder hoch dosiertem ADP keine Thrombozytenaggregate bilden, jedoch eine vorübergehende Aggregation mit Ristocetin zu beobachten ist. Um schwere Blutungen zu beherrschen, sind Thrombozytentransfusionen notwendig.