Kommentar: 4 Dinge, die Patienten und ihre Lieben über Essstörungen wissen sollten
Kommentar09.12.21 Von MSD Manuals

Fast einer von 10 Amerikanern wird in seinem Leben eine Essstörung aufweisen. Personen, die mit Essstörungen kämpfen, können jedes Alter und Geschlecht haben. Trotz dieser Prävalenz gibt es erhebliche Stigmata und Missverständnisse im Zusammenhang mit Essstörungen. Für diejenigen, welche darunter leiden, können diese Herausforderungen es erschweren, einen Ausweg zu finden. Essstörungen sind jedoch behandelbare Erkrankungen, und die Unterstützung durch die Familie und Angehörigen kann ein wesentlicher Teil der Diagnose und Behandlung sein. Effektive Behandlung und Unterstützung beginnen mit dem Angehen der Stigmata und Missverständnisse, die so viele Menschen davon abhalten, die Hilfe zu erhalten, die sie brauchen, und die ihre Angehörigen davon abhalten, sie auf ihrem Weg zu unterstützen. Hier sind vier Dinge, deren sich Betroffene und Angehörige über Essstörungen im Klaren sein sollten.

1. Eine Essstörung ist keine Entscheidung

Essstörungen sind biologische Erkrankungen, die eine Störung des Essverhaltens oder des Verhaltens im Zusammenhang mit dem Essen umfassen. Typisch dafür sind Veränderungen dahingehend, was oder wie viel die Betroffenen essen, und/oder Maßnahmen, die ergriffen werden, um zu verhindern, dass Nahrung aufgenommen wird (z. B. sich zum Erbrechen zu bringen oder Abführmittel einzunehmen). Sie stellen keine Wahl der Lebensweise dar und erfordern eine Behandlung, um sie anzugehen.

Der erste Schritt zur Behandlung ist die Erkennung. Essstörungen fallen in vier allgemeine Kategorien:

Anorexia nervosa (nervöse Magersucht) ist durch einen unablässigen Schlankheitswahn, ein verzerrtes Körperbild, eine extreme Angst vor Fettleibigkeit sowie durch die Einschränkung der Nahrungsaufnahme gekennzeichnet, die zu einem signifikant geringen Körpergewicht führen. Personen mit Anorexia nervosa schränken ihre Nahrungsaufnahme ein, können aber auch Essattacken haben, die dann durch Abführen wieder kompensiert werden. Personen mit dieser Störung können ihre Nahrungsaufnahme bis zu dem Punkt einschränken, an dem ihre Gesundheit beeinträchtigt ist. Obwohl „Anorexia“ „Appetitlosigkeit“ bedeutet, verlieren viele Personen mit Anorexia nervosa erst ihren Appetit, wenn sie bereits sehr abgemagert sind.

Die vermeidende/restriktive Essstörung ist durch die Aufnahme von sehr wenig Nahrung und/oder die Vermeidung bestimmter Nahrungsmittel gekennzeichnet, ohne dass damit die Sorge um ihre Figur oder ihr Gewicht einhergeht, die für Personen mit Anorexia nervosa oder Bulimie (Ess-Brech-Sucht) typisch ist. Normalerweise sind Menschen mit dieser Störung sehr wählerisch in Bezug auf Nahrungsmittel und Arten von Essen. Sie können beispielsweise viele Nahrungsmittel vermeiden, die eine bestimmte Farbe, Konsistenz oder einen bestimmten Geruch haben. Manche Menschen haben Angst davor, am Essen zu ersticken oder es erbrechen zu müssen.

Bei der Binge-Eating-Störung konsumieren die Betroffenen riesige Mengen an Nahrung, viel mehr als die meisten Menschen in einem ähnlichen Zeitrahmen und unter ähnlichen Umständen essen würden. Die Betroffenen empfinden während und nach der Essattacke einen Kontrollverlust und sind wegen dieser Attacken verzweifelt. Bei einer Binge-Eating-Störung wird die übermäßige Nahrungsaufnahme nicht nachher durch Erbrechen oder andere Mittel kompensiert.

Die Bulimia nervosa ist durch wiederholte Episoden gekennzeichnet, bei denen große Mengen an Nahrung rasch verschlungen werden, gefolgt von dem Versuch, die überschüssige Nahrungsaufnahme wieder zu kompensieren. Zum Beispiel können sich die Betroffenen zum Erbrechen bringen oder Abführmittel einnehmen.

2. Familienmitglieder verursachen keine Essstörungen

Es gibt ein altes Missverständnis, dass die Eltern und Familien irgendwie eine Rolle bei Kindern spielen, die Essstörungen entwickeln. Das ist nicht wahr. Familien sind nicht verantwortlich. Tatsächlich können sie ein wichtiger Teil der Behandlung sein. Es gibt deutliche Belege, die zeigen, dass der beste Weg, um Teenagern mit Anorexia nervosa dabei zu helfen, ihr Gewicht zu normalisieren, ein familienbasierter Ansatz ist.

Die Wahrheit ist, es gibt keinen einzigen Grund für Essstörungen. Bei Anorexia nervosa und Bulimia nervosa deuten Forschungsergebnisse darauf hin, dass Genetik und biologische Risikofaktoren eine Rolle spielen. Außerdem sind Umweltfaktoren mit im Spiel. In Kulturen, die einen hohen Wert auf Schlankheit legen, können anfällige Personen mit höherer Wahrscheinlichkeit Erkrankungen entwickeln. Gesellschaften, in denen Körperform und Körpergewicht nicht in dem gleichen Mittelpunkt stehen, bieten ein wenig Schutz.  

3. Man kann nicht durch bloßes Anschauen erkennen, dass jemand eine Essstörung aufweist

Essstörungen kommen in allen Formen und Ausmaßen vor, und es ist nicht immer offensichtlich, dass jemand nur aufgrund seines Gewichts oder seines Aussehens darunter leidet. Anorexia nervosa ist die einzige Erkrankung, die nach Körpergewicht ohne weitere Definition klassifiziert wird. Binge-Eating wird oft mit Übergewicht oder Fettleibigkeit verknüpft, aber es besteht kein direkter Zusammenhang bei der Definition oder Diagnose.

Gegenwärtig ist ein großer Teil der US-amerikanischen Bevölkerung übergewichtig oder fettleibig. Dies bedeutet, dass Personen, die an einer Essstörung leiden, erhebliche Mengen an Gewicht verlieren und gestörte Essgewohnheiten haben dürften, bevor sich die Erkrankung auf ihr Erscheinungsbild auswirkt.

4. Essstörungen können – und müssen – behandelt werden

Die Betroffenen müssen verstehen, dass Essstörungen ernsthafte Erkrankungen sind, die angegangen und behandelt werden müssen. Anorexia nervosa ist mit den allerhöchsten Sterberaten verbunden. Die Erkrankung birgt ein Selbstmordrisiko sowie medizinische Komplikationen durch ein geringes Körpergewicht.

Für einen Erwachsenen, der glaubt, dass er an einer Essstörung leidet, ist das Gespräch mit einem Hausarzt ein wichtiger erster Schritt. Dieser Arzt kann helfen, die notwendigen Beurteilungen festzulegen und ein umfassenderes Betreuungsteam zu koordinieren, einschließlich Spezialisten und Fachkräften für psychische Gesundheit.

Für Familienmitglieder besteht der beste Weg, das Thema anzuschneiden, oft darin, den betroffenen Menschen wissen zu lassen, dass sie besorgt sind, und dabei zu bekräftigen, dass sie ihn unterstützen und ihm dabei helfen werden, jede Hilfe zu erhalten, die er benötigt. Für Eltern oder besorgte Familienmitglieder von Kindern oder Jugendlichen ist ein Gespräch mit dem Kinderarzt ein guter Einstieg. Kinderärzte haben in der Regel Beziehungen zu Kindern aufgebaut und können helfen, Veränderungen des Gewichts, des medizinischen Zustands und sogar der sozialen Funktionsfähigkeit zu erkennen.

Das Wichtigste für jeden Betroffenen ist, zu wissen, dass Hilfe verfügbar ist, und die Familienmitglieder sollten alles in ihrer Macht Stehende tun, um Unterstützung zu bieten und Teil eines sinnvollen Behandlungsplans zu sein.

Um mehr über Essstörungen zu erfahren, besuchen Sie die Manuals-Seite oder die Quick-Facts-Seite zum Thema.