Gehirnschäden nach Gehirnregion

VonJuebin Huang, MD, PhD, Department of Neurology, University of Mississippi Medical Center
Überprüft/überarbeitet Aug. 2023
DIE AUSGABE FÜR MEDIZINISCHE FACHKREISE ANSEHEN

Da bestimmte Bereiche im Gehirn spezifische Funktionen kontrollieren, bestimmt der Ort der Schädigung, welche Funktion beeinträchtigt wird.

Teile des Gehirns

Welche Seite des Gehirns betroffen ist, ist ebenfalls wichtig, denn die beiden Gehirnhälften (zerebrale Hemisphären) haben unterschiedliche Funktionen. Einige Funktionen des Gehirns können nur von einer Gehirnhälfte ausgeübt werden. So werden Bewegung und sensorisches Empfinden der einen Körperseite von der gegenüberliegenden Hemisphäre kontrolliert. Andere Funktionen werden hauptsächlich von einer Hemisphäre ausgeübt, die für diese Funktion dominierend ist, die andere Hemisphäre wird als nicht-dominant bezeichnet. Zum Beispiel wird die Sprache bei den meisten Menschen von der linken Hemisphäre kontrolliert. Diese Eigenschaft wird als linksseitige Sprachdominanz bezeichnet. Die Schädigung von nur einer Gehirnhälfte kann zum vollständigen Verlust einer derartigen Funktion führen.

Jedoch erfordern die meisten Funktionen (wie das Gedächtnis) die Koordination mehrerer Bereiche in beiden Hemisphären. Damit solche Funktionen vollständig verloren gehen, müssen beide Hemisphären beschädigt sein.

Bestimmte Muster von Funktionsstörungen lassen sich zu den Gehirnregionen in Beziehung setzen, die geschädigt wurden.

Die Diagnose der Form der Funktionsstörung wird aufgrund der Untersuchung des Betroffenen gestellt. Es werden Fragen gestellt, um bestimmte Gehirnfunktionen zu bewerten. Normalerweise sind bildgebende Verfahren, wie Computertomografie (CT) oder Magnetresonanztomografie (MRT), notwendig, um die Ursache des Schadens festzustellen.

Schädigung des Frontallappens

Die Frontallappen haben folgende Funktionen:

  • Einleiten vieler Handlungen

  • Steuerung erlernter motorischer Fähigkeiten, wie Schreiben, Musikinstrumente spielen und Schnürsenkel binden

  • Steuerung komplexer intellektueller Prozesse, wie Sprache, Denken, Konzentration, Problemlösen und Vorausplanen

  • Steuerung von Gesichtsausdrücken und von Hand- und Armgesten

  • Koordinierung von Mimik und Gestik mit der Stimmung und den Gefühlen

Allgemein führt eine Schädigung der Stirnlappen (Frontallappen) zum Verlust der Fähigkeit, Probleme zu lösen, zu planen und Handlungen einzuleiten, wie z. B. die Straße zu überqueren oder eine komplexe Frage zu beantworten (manchmal ausführende Funktionen genannt). Aber einige bestimmte Beeinträchtigungen variieren, je nachdem, welcher Teil des Frontallappens beschädigt ist.

Ist der hintere Teil des Frontallappens betroffen (der die Willkürbewegungen kontrolliert), kann dies zu Muskelschwäche oder -lähmung führen. Da jede Seite des Gehirns Bewegungen der anderen Körperhälfte kontrolliert, führt eine Schädigung der linken Seite zu Muskelschwäche auf der rechten Seite und umgekehrt.

Wenn der mittlere Teil des Frontallappens beschädigt ist, können die Betroffenen apathisch, unaufmerksam und unmotiviert sein. Sie denken langsamer und antworten sehr verzögert auf Fragen.

Wenn der mittlere hintere Teil des linken Frontallappens (Broca-Zentrum) beschädigt ist, haben die Betroffenen Schwierigkeiten, sich in Worten auszudrücken – eine Beeinträchtigung, die Broca-Aphasie (expressive Aphasie) genannt wird.

Wenn der vordere Teil des Frontallappens beschädigt ist, können folgende Beeinträchtigungen auftreten:

  • Schwierigkeiten, kurzzeitig Informationen zu behalten, die dann weiter verarbeitet werden (Arbeitsgedächtnis)

  • Verminderte Sprechflüssigkeit

  • Apathie (Mangel an Gefühlen, Interesse und Bedenken)

  • Unaufmerksamkeit

  • Verzögerte Antwort auf Fragen

  • Auffällige Zügellosigkeit, einschließlich sozial unangemessenem Verhalten

Menschen, die ihre Hemmungen verloren haben, sind unter Umständen unangebracht euphorisch oder depressiv, streitlustig oder passiv und ordinär. Sie kümmern sich nicht um die Folgen ihres Verhaltens. Möglicherweise wiederholen sie auch, was sie sagen. Einige Menschen entwickeln ähnliche Symptome im Alter oder bei einer Demenz. Diese Symptome können durch eine Degeneration des Frontallappens entstehen.

Schädigung bestimmter Gehirnregionen und ihre Folgen

Unterschiedliche Areale des Gehirns kontrollieren spezifische Funktionen. Welche Gehirnregion geschädigt ist, entscheidet daher darüber, welche Funktion verloren geht.

Schädigung des Parietallappens

Die Parietallappen (Scheitellappen) haben folgende Funktionen:

  • Interpretation von sensorischen Informationen aus dem restlichen Körper

  • Verknüpfung der Sinneseindrücke von Form, Struktur und Gewicht zu allgemeinen Wahrnehmungen

  • Einfluss auf mathematische Fähigkeiten und das Sprachverständnis

  • Speichern räumlicher Erinnerungen, die eine Orientierung im Raum (wissen, wo man sich befindet) und eine Richtungsorientierung (wissen, wohin man geht) ermöglichen

  • Verarbeiten von Informationen, die den Menschen helfen, sich der Position ihrer Körperteile bewusst zu sein

Bestimmte Funktionen werden tendenziell eher von einem der Parietallappen gesteuert (in der Regel dem linken). Steuert dieser die Sprache wird er als dominanter Lappen bezeichnet. Der andere Lappen (nicht-dominant) übt andere Funktionen aus, durch ihn weiß eine Person beispielsweise, wo sie sich im Raum befindet.

Eine Schädigung des Parietal- oder Scheitellappens im vorderen Bereich führt zu Taubheit und beeinträchtigtem Empfinden auf der jeweils gegenüberliegenden Körperseite. Den Betroffenen fällt es schwer, den Ort einer sensorischen Empfindung und deren Art (Schmerz, Hitze, Kälte, Vibration) zu identifizieren. Sie können Schwierigkeiten beim Erkennen von Gegenständen durch Fühlen (das heißt aufgrund ihrer Beschaffenheit und Form) haben.

Ist der mittlere Teil beschädigt, können die Betroffen die rechte Seite nicht von der linken unterscheiden (Rechts-Links-Desorientierung) und haben Probleme beim Rechnen und Schreiben. Ihnen kann es schwerfallen, zu fühlen, wo sich ihre Körperteile befinden (Wahrnehmung, die auch Tiefensensibilität oder propriozeptive Wahrnehmung genannt wird).

Ist der nicht-dominante (in der Regel der rechte) Parietallappen geschädigt, sind die Menschen nicht in der Lage, einfache Aufgaben wie Haare kämmen oder sich anziehen durchzuführen – dies wird als Apraxie bezeichnet. Auch können sie Schwierigkeiten haben, zu verstehen, wie Gegenstände im Raum zueinanderstehen. Demzufolge fällt es ihnen schwer, Dinge zu zeichnen oder zu gestalten, und sie können sich in ihrer eigenen Wohngegend verlaufen. Die Betroffenen können den Schweregrad ihrer Erkrankung auch ignorieren oder die Erkrankung leugnen. Sie vernachlässigen möglicherweise die Körperhälfte gegenüber des Gehirnschadens (in der Regel die linke Seite).

Schädigung des Temporallappens

Die Temporallappen (Schläfenlappen) haben folgende Funktionen:

  • Erzeugung von Erinnerung und Gefühlen

  • Unmittelbare Verarbeitung von Ereignissen im Kurz- und Langzeitgedächtnis

  • Speicherung und Abruf von Langzeiterinnerungen

  • Verstehen von Klängen und Bildern, was Menschen dazu befähigt, andere Menschen und Gegenstände wiederzuerkennen sowie Gehör und Sprache zu integrieren

Bei den meisten Menschen wird das Sprachverständnis von Teilen des linken Temporallappens gesteuert. Ist dieser Teil geschädigt, kann das Wortgedächtnis drastisch beeinträchtigt sein, aber auch die Fähigkeit, Sprache zu verstehen – eine Beeinträchtigung, die Wernicke-Aphasie (rezeptive Aphasie) genannt wird (siehe Tabelle zum Test auf Aphasie).

Sind bestimmte Bereiche des rechten Temporallappens geschädigt, kann das Gedächtnis für Töne und Musik beeinträchtigt sein. Demzufolge können die Betroffenen Probleme beim Singen haben.

Schäden des Okzipitallappens

Der Hinterhauptlappen (Okzipitallappen) ist das wichtigste Zentrum für die Verarbeitung visueller Informationen.

Die Okzipitallappen (Hinterhauptlappen) haben folgende Funktionen:

  • Verarbeitung und Interpretation des Sehens

  • Ermöglichen der Bildung visueller Erinnerungen

  • Integration von visuellen Wahrnehmungen mit den räumlichen Informationen, die von den benachbarten Parietallappen (Scheitellappen) zur Verfügung gestellt werden

Sind beide Seiten des Okzipitallappens des Gehirns beschädigt, können die Betroffenen keine Gegenstände erkennen, obwohl ihre Augen normal funktionieren. Diese Krankheit wird kortikale Blindheit genannt. Manche Menschen mit kortikaler Blindheit sind sich nicht bewusst, dass sie nicht sehen können. Stattdessen erfinden sie oft Beschreibungen von Dingen, die sie sehen (sogenannte Konfabulationen). Diese Störung wird Anton-Syndrom genannt.

Anfälle, die den Okzipitallappen beinhalten, können optische Halluzinationen verursachen. Die Betroffenen können zum Beispiel Farblinien sehen, wenn sie in eine bestimmte Richtung blicken.

Schädigung des limbischen Lappens

Der limbische Lappen umfasst Strukturen in der Tiefe des Großhirns sowie einigen Teilen der anliegenden Lappen, wie dem Temporallappen. Diese Strukturen erfüllen die folgenden Aufgaben:

  • Erhalt und Einordnung von Informationen aus verschiedenen Bereichen des Gehirns, wodurch man Gefühle erfahren und ausdrücken kann

  • Bilden und Abrufen von Erinnerungen

  • Verbindung von Erinnerungen und den dabei empfundenen Gefühlen, während die Erinnerungen gebildet werden

Ist der limbische Lappen geschädigt, führt dies in der Regel zu verschiedenen Problemen.

Krampfanfälle die auf eine Schädigung des Temporallappens im limbischen Lappen zurückzuführen sind, dauern gewöhnlich nur wenige Minuten. Die Betroffenen sind möglicherweise zunächst nicht in der Lage, ihre Gefühle zu kontrollieren oder klar zu denken. Oder sie riechen vielleicht schlechte Gerüche, die nicht da sind (eine Art von Halluzination). Womöglich scheinen sie sich ihrer Umgebung vollkommen unbewusst zu sein und führen automatische Bewegungen aus, wie z. B. wiederholtes Schlucken oder Schmatzen. Während der Anfälle zeigen manche Betroffene Persönlichkeitsveränderungen wie Humorlosigkeit, ungewöhnliche Religiosität und Besessenheit. Die Betroffenen können auch einen überwältigenden Drang zum Schreiben haben.

Weitere Bereiche

Zahlreiche Hirnfunktionen sind erst dadurch möglich, dass mehrere Hirnregionen als Netzwerke zusammenarbeiten. Eine Schädigung dieses Netzwerks kann Folgendes verursachen:

  • Agnosie (die Betroffenen können Gegenstände nicht mit einem oder mehreren Sinnen erkennen)

  • Amnesie (die völlige oder partielle Unfähigkeit, sich an Erfahrungen oder Ereignisse zu erinnern)

  • Aphasie (der teilweise oder vollständige Verlust, gesprochene oder geschriebene Sprache auszudrücken oder zu verstehen)

  • Apraxie (die Unfähigkeit, Aufgaben zu bewältigen, für die Bewegungsmuster oder -abläufe aus dem Gedächtnis abgerufen werden müssen)

Dysarthrie (eine Artikulationsstörung, d. h., die Worte werden nicht richtig ausgesprochen) kann durch Schädigungen in Bereichen des Gehirns oder der Hirnnerven verursacht werden, die die Muskeln kontrollieren, die an der Sprachbildung beteiligt sind. Ursache können auch Schäden an den Nervenfasern sein, die diese Bereiche miteinander verbinden.