Übersicht über die Integrative, Komplementär- und Alternativmedizin

VonDenise Millstine, MD, Mayo Clinic
Überprüft/überarbeitet Dez. 2023
DIE AUSGABE FÜR MEDIZINISCHE FACHKREISE ANSEHEN

Zur integrativen Medizin und Komplementär- und Alternativmedizin gehören viele Heilmethoden und Therapien, die historisch nicht Teil der westlichen Schulmedizin sind. Viele Aspekte dieser Heilmethoden wurzeln in alten Medizinsystemen, z. B. denen Chinas, Indiens, Tibets, Afrikas und des amerikanischen Kontinents.

Komplementär-, Alternative- und Integrative Medizin werden oft gleichbedeutend verwendet, meinen aber jeweils etwas anderes.

  • Die Komplementärmedizin bezieht sich auf unkonventionelle Praktiken, die zusammen mit der Schulmedizin angewandt werden.

  • Die alternative Medizin bezieht sich auf unkonventionelle Praktiken, die anstelle von der Schulmedizin angewandt werden.

  • Die integrative Medizin ist die Gesundheitsversorgung, die alle geeigneten therapeutischen Ansätze berücksichtigt, gleich, ob diese aus der Schul- oder der Alternativmedizin stammen. Bei dieser Medizin stehen die Gesundheit, der therapeutische Zusammenhang und die Person als Ganzes im Vordergrund.

Die Unterscheidung zwischen Schulmedizin, integrativer Medizin und Komplementär- und Alternativmedizin ist zwar nicht immer ganz einfach, aber es gibt einen grundsätzlichen Unterschied im Vorgehen. In der Schulmedizin basieren die Praktiken tendenziell auf den besten verfügbaren wissenschaftlichen Nachweisen. Im Gegensatz dazu stützt die Komplementär- und Alternativmedizin ihre Methoden auf Praktiken, die sich an Nachweisen orientiert, die nicht unbedingt die höchsten und strengsten Kriterien hinsichtlich Wirksamkeit und Sicherheit erfüllen müssen. (Einige dieser Praktiken aus der Komplementär- und Alternativmedizin, unter anderem Nahrungsergänzungsmittel, wurden allerdings nach den schulmedizinischen hohen und strengen wissenschaftlichen Kriterien überprüft.) Die Schulmedizin definiert Gesundheit im Allgemeinen als die Abwesenheit von Krankheiten und Störungen. Die Hauptursachen von Krankheiten und Störungen werden normalerweise als einzelne Faktoren, wie etwa Bakterien oder Viren, biochemische Ungleichgewichte und das Älterwerden, betrachtet. Behandelt wird dann häufig mit Medikamenten oder einer Operation. Bei der alternativen Medizin wird Gesundheit hingegen oft ganzheitlich definiert, nämlich als das Gleichgewicht mehrerer Systeme – Körper, Geist und Seele – und auf die Person als Ganzes geschaut. Sind diese Systeme nicht im Einklang, entsteht ihrer Meinung nach Krankheit. Die Behandlung besteht primär darin, die körpereigenen Abwehrkräfte zu stärken und das Gleichgewicht wiederherzustellen.

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Akzeptanz und Verwendung

Die Integrative Medizin versucht nach Möglichkeit, die Komplementär- und Alternativmedizin mit der Schulmedizin zu kombinieren. Einige Therapien aus der Komplementär- und Alternativmedizin werden heute in Krankenhäusern angeboten und manchmal sogar von den Krankenversicherungen erstattet. Akupunktur und einige manuelle Therapien (z. B. chiropraktische oder osteopathische manuelle Therapien) sind Beispiele dafür. Da das Interesse an der Komplementär- und Alternativmedizin und ihre Verwendung laufend steigen, werden immer mehr Inhalte aus diesem Gebiet in den Lehrplan der medizinischen Ausbildung aufgenommen. Zu den Schwerpunkten zählen beispielsweise Akupunktur, Pflanzenheilkunde, chiropraktische manuelle Therapien und Homöopathie.

Bis zu 38 Prozent der Erwachsenen und 12 Prozent der Kinder haben irgendwann eine Komplementär- und Alternativmedizin erhalten, je nachdem, wie allgemein diese definiert ist. Eine landesweite Umfrage zur Gesundheit von 2012 (National Health Interview) deutet darauf hin, dass folgende Therapien aus der Komplementär- und Alternativmedizin häufig verwendet werden:

  • Atemübungen (11 Prozent)

  • Yoga, Tai Chi und Qi Gong (10 Prozent)

  • Manuelle Therapie (8 Prozent)

  • Meditation (8 Prozent)

  • Yoga (6,1 Prozent)

Andere Therapien und Ansätze der Komplementär- und Alternativmedizin werden noch zu uneinheitlich genutzt und sind daher schwer einzustufen: Homöopathie (2,2 %), Naturheilkunde (0,4 %) und Energietherapie (0,5 %). Zusätzlich nahmen 57,6 % der Erwachsenen mindestens ein Nahrungsergänzungsmittel innerhalb der letzten 30 Tage ein.

Wirksamkeit und Sicherheit

Im Jahr 1992 wurde das Institut für alternative und ergänzende Therapien des NIH (National Institute of Health) gegründet, um die Wirksamkeit und Sicherheit alternativer Therapien zu untersuchen. Im 1998 Jahr erfolgte die Umbenennung in Nationales Zentrum für Komplementär- und Alternativmedizin (National Center for Complementary and Alternative Medicine), 2015 dann in Nationales Zentrum für komplementäre und integrative Gesundheit (National Center for Complementary and Integrative Health, NCCIH).

Wirksamkeit

Die Wirksamkeit alternativer Therapien ist ein wichtiger Faktor.

Bei vielen Therapieansätzen der Komplementär- und Alternativmedizin wurde eine fehlende oder unzuverlässige Wirksamkeit festgestellt. Bei manchen Therapien wurde eine Wirksamkeit für bestimmte Krankheiten nachgewiesen. Diese Therapien kommen allerdings auch häufig bei anderen Krankheiten und Symptomen zum Einsatz, obwohl hier die wissenschaftlichen Nachweise fehlen, wie das auch manchmal bei der Schulmedizin der Fall ist. Manche Therapieansätze der Komplementär- und Alternativmedizin wurden in gut konzipierten Studien nicht untersucht. Doch fehlende Belege aus solchen Studien beweisen nicht, dass die Therapie nicht wirksam ist.

Bei vielen Therapien der Komplementär- und Alternativmedizin geht man davon aus, dass sie seit hunderten oder tausenden von Jahren verwendet werden. Dazu gehören Akupunktur, Meditation, Yoga, Heildiäten, Massage und Pflanzenheilkunde (Nahrungsergänzungsmittel). Diese Tatsache wird manchmal als Argument für die Wirksamkeit dieser Therapien verwendet. Allerdings wirft dieses Argument ein paar Fragen auf:

  • Dass etwas schon sehr lange verwendet wird, ist nicht das gleiche wie eine wissenschaftlich nachgewiesene Wirkung. Einige Therapien, die seit vielen Jahren eingesetzt werden, haben sich als unwirksam oder sogar als schädlich erwiesen.

  • Es kann schwierig sein, herauszufinden, wie lange eine Therapie bereits verwendet wird.

  • Eine Therapie kann früher ganz anders angewandt worden sein als heute und die Therapie selbst kann früher auch ganz anders gewesen sein.

Daher wird der wissenschaftliche Nachweis anhand von sorgfältig geplanten Studien nach wie vor bevorzugt, wenn festgestellt werden soll, ob eine Therapie wirksam ist.

Dies kann sich im Zusammenhang mit Therapieansätzen der Komplementär- und Alternativmedizin allerdings schwierig gestalten. Folgende Probleme treten beispielsweise bei der Erforschung der Komplementär- und Alternativmedizin auf:

  • Fehlende Unterstützung und fehlende finanzielle Mittel für die Forschung in die Komplementär- und Alternativmedizin

  • Beschränkte Ausbildungs- und Fortbildungsmöglichkeiten für Befürworter der Komplementär- und Alternativmedizin, um wissenschaftliche Forschungen zu betreiben

  • Lockere Vorschriften hinsichtlich eines Nachweises, dass Produkte oder Therapien der Komplementär- und Alternativmedizin wirksam sind, bevor sie öffentlich zugänglich gemacht werden, im Vergleich zu den Vorschriften, die für medizinische Behandlungen der Schulmedizin gelten

  • Generell niedrigere finanzielle Gewinne für Unternehmen, die in der Komplementär- und Alternativmedizin forschen, im Vergleich zum Bereich Medizinprodukte und Medizinprodukte

Die Anwendung konventioneller Forschungsmethoden auf die Untersuchung der Komplementär- und Alternativmedizin kann noch aus vielen anderen Gründen problematisch sein:

  • In einem idealen konventionellen Studiendesign wird eine Behandlung mit einem Wirkstoff oder einem Funktionsprinzip (zum Beispiel ein Medikament oder eine Therapie) mit einem Placebo (einer Behandlung, die dem tatsächlichen Medikament bzw. der Therapie zwar äußerlich ähnelt, aber keinen Wirkstoff enthält bzw. keine therapeutische Funktion hat) oder mit einer Kontrollgruppe verglichen, die keine neue Behandlung erhält. Bei manchen Therapien der Komplementär- und Alternativmedizin, wie der Homöopathie und Pflanzenheilkunde, ist es relativ einfach, ein Placebo herzustellen. Bei physikalischen Behandlungen, wie der Akupunktur oder Chiropraktik, ist das schon schwieriger. Die Entwicklung eines Placebos für eine Meditation oder eine ganzheitliche gesunde Ernährung ist noch viel schwieriger.

  • Die Wirkungen der aktiven Komponenten einer komplementär- und alternativmedizinischen Therapie von denen eines Placebos zu trennen, ist schwierig. Therapeuten der Komplementär- und Alternativmedizin setzen sich zum Beispiel positiv mit den Patienten auseinander und unterstützen sie. Dadurch fühlen sich diese nachgewiesen besser, unabhängig von den anderen Therapiemöglichkeiten, die noch zum Einsatz kommen. Dieser Gesichtspunkt der Komplementär- und Alternativmedizin kann als Placebo-Effekt angesehen werden.

  • Beim konventionellen Forschungsdesign kommt die sogenannte Doppelverblindung zum Einsatz. Dabei erfahren die Studienteilnehmer und Ärzte nicht, wer welche Behandlung erhalten hat. Sowohl die Patienten als auch die Ärzte erwarten in der Regel von der aktiven Behandlung bessere Ergebnisse als vom Placebo. Durch die Doppelverblindung wird die Wahrscheinlichkeit reduziert, dass diese Erwartungshaltung die Ergebnisse zugunsten der Behandlung beeinflusst. Die Verblindung der Ärzte und Therapeuten kann jedoch schwierig sein. Ein Therapeut von Reiki beispielsweise würde sofort wissen, ob eine echte Energiebehandlung angewendet wird oder nicht. In solchen Fällen sollte die Wirksamkeit einer Behandlung von einem anderen Studienarzt beurteilt werden, der nicht weiß, welche Behandlung verabreicht wurde.

  • Komplementär- und alternativmedizinische Therapieansätze und Diagnosen sind möglicherweise nicht standardisiert. Verschiedene Therapeuten können beispielsweise unterschiedliche Akupunktursysteme verwenden. Auch Inhaltsstoffe und Wirkung von Präparaten aus Naturprodukten unterscheiden sich stark.

Trotz dieser Herausforderungen wurden bereits viele komplementär- und alternativmedizinische Therapieansätze (wie Akupunktur und Homöopathie) in gut ausgearbeiteten Studien untersucht. In einer Akupunkturstudie wurde zum Beispiel ein sorgfältig geplantes Placebo verwendet. Es war also eine Doppelverblindung möglich, indem gegen die Haut des Patienten an einem Akupunkturpunkt eine blickdichte Hülse platziert wurde. Manche Hülsen enthielten eine Nadel, die die Haut durchdringen konnte (aktive Behandlung), andere nicht (Placebo). Damit Therapien der Komplementär- und Alternativmedizin als wirksam gelten können, muss es einen Beleg dafür geben, dass ein komplementär- und alternativmedizinischer Ansatz wirksamer ist als das Placebo oder die Kontrollbehandlung.

Eine fehlende Finanzierung wird häufig als Begründung angebracht, warum keine gut konzipierten Studien zur Komplementär- und Alternativmedizin durchgeführt werden. Allerdings handelt es sich bei der Komplementär- und Alternativmedizin um ein Multimilliarden-Dollar-Geschäft, was nahelegt, dass eine fehlende Rentabilität kein Grund dafür sein kann, warum Pharmaunternehmen diese Produkte nicht untersuchen. Nur ist die Rentabilität bei der Entwicklung von konventionellen Medikamenten insgesamt noch viel größer als bei Produkten der Komplementär- und Alternativmedizin.

Sicherheit

Die Sicherheit ist ein weiterer wichtiger Faktor.

Das größte Gesundheitsrisiko bei der Komplementär- und Alternativmedizin ist wahrscheinlich.

  • eine lebensbedrohliche Erkrankung anstatt mit einem bewährten schulmedizinischen Ansatz mit einer nicht bewährten Therapie zu behandeln

Im Hinblick auf das Risiko der Komplementär- und Alternativmedizin selbst, sind einige ihrer Therapien sicher und manche sogar sicherer als Therapien der Schulmedizin. Wichtige Beispiele dafür sind Meditation, Akupunktur und manuelle Therapien zur Schmerzbehandlung anstatt der Verwendung von Opioiden. Weitere Beispiele für sichere Praktiken sind Akupunktur zur Behandlung von Übelkeit, Yoga zur Verbesserung des Gleichgewichts oder Ingwer-Tee zur Unterstützung der Verdauung. Andere können eventuell schädlich sein. Da zum Beispiel Heilkräuter und andere Nahrungsergänzungsmittel (die in vielen alternativen Therapien verwendet werden) von der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde (FDA) nicht wie Medikamente zugelassen werden müssen, ist ihre Sicherheit geringer als die von zugelassenen Medikamenten (siehe Sicherheit und Wirksamkeit).

Zu den allgemeinen Risiken gehören:

  • Einige Substanzen in Produkten der Komplementär- und Alternativmedizin können gefährliche Wechselwirkungen untereinander oder mit verschreibungspflichtigen Medikamenten haben.

  • In den USA und vielen europäischen Ländern sind bereits hochreine Nahrungsergänzungsmittel verfügbar, dennoch können in anderen Ländern hergestellte Präparate gefährliche Verunreinigungen, giftige Inhaltsstoffe oder andere Medikamente enthalten.

  • Schädlich können auch Therapien der Komplementär- und Alternativmedizin sein, bei denen der Körper manuell bearbeitet wird oder bei denen andere nicht-chemische Behandlungen zum Einsatz kommen (z. B. manuelle Therapien, die empfindliche Körperteile verletzen).

In vielen Fällen der Komplementär- und Alternativmedizin konnten weder Schädigungen festgestellt noch ausgeschlossen werden. In einigen jedoch wurden mögliche Gefahren nachgewiesen. Es kommt vor, dass das Risiko eines Schadens von Befürwortern der Komplementär- und Alternativmedizin heruntergespielt und ignoriert wird.

Wussten Sie ...

  • Das größte Risiko der Komplementär- und Alternativmedizin besteht darin, dass ein Patient mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung mit einem nicht untersuchten Naturheilverfahren behandelt wird, anstatt mit einem bewährten schulmedizinischen Ansatz.

Weitere Informationen

Die folgenden Quellen in englischer Sprache können nützlich sein. Bitte beachten Sie, dass das MANUAL nicht für den Inhalt dieser Quelle verantwortlich ist.

  1. National Center for Complementary and Integrative Health