Behandlung psychischer Erkrankungen

VonMichael B. First, MD, Columbia University
Überprüft/überarbeitet Apr. 2022 | Geändert Sept. 2022
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Kurzinformationen

Bei der Behandlung psychischer Störungen wurden außerordentliche Fortschritte gemacht. Als Ergebnis können jetzt viele psychische Gesundheitsstörungen fast so erfolgreich behandelt werden wie körperliche Erkrankungen.

Die meisten Behandlungsmethoden für psychische Gesundheitsstörungen können kategorisiert werden als entweder:

  • Somatisch

  • Psychotherapeutisch

Somatische Behandlungsmethoden umfassen u. a. Medikamente, Elektrokrampftherapie und andere Therapien, die das Gehirn stimulieren (wie zum Beispiel transkranielle Magnetstimulation und Vagusnervstimulation).

Psychotherapeutische Behandlungen sind u. a. Psychotherapie (Einzel-, Gruppen-, Familien- oder Ehetherapie), Verhaltenstherapietechniken (wie zum Beispiel Entspannungstraining oder Konfrontationstherapie) und Hypnosetherapie.

Die meisten Studien zeigen, dass eine Kombination von Behandlungsansätzen mit Medikamenten und Psychotherapie bei schweren psychischen Gesundheitsstörungen wirkungsvoller ist als eine dieser Behandlungsmethoden allein.

Psychiater sind nicht die einzigen Fachkräfte in der psychischen Gesundheitsfürsorge, die dafür ausgebildet sind, psychische Erkrankungen zu behandeln. Dies können auch klinische Psychologen, psychiatrische Fachpflegekräfte und Sozialarbeiter sein. Trotzdem sind Psychiater (und in einigen US-Bundesstaaten psychiatrische Fachpflegekräfte) die einzigen Fachkräfte, die lizenziert sind, Medikamente zu verschreiben. Andere Fachkräfte in der psychischen Gesundheitsfürsorge praktizieren hauptsächlich Psychotherapie. Viele Hausärzte und Ärzte anderer Fachrichtungen verschreiben ebenfalls Medikamente, um psychische Gesundheitsstörungen zu behandeln.

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Medikamentöse Behandlung

Eine Reihe von Psychopharmaka sind hocheffektiv und werden von Psychiatern und Ärzten häufig genutzt. Diese Medikamente sind oft entsprechend der Störung kategorisiert, gegen die sie hauptsächlich verordnet werden. Beispielsweise werden Antidepressiva zur Behandlung von Depressionen eingesetzt.

Die am häufigsten verwendete Klasse von Antidepressiva sind:

Andere Klassen von Antidepressiva umfassen:

Trizyklische Antidepressiva, wie z. B. Amitriptylin und Nortriptylin, werden heute aufgrund ihrer Nebenwirkungen nur noch selten zur Behandlung von Depressionen eingesetzt. Allerdings können diese Medikamente verwendet werden, wenn Menschen an einer Störung leiden, die zu chronischen Schmerzen führt und die sie bei ihren Aktivitäten und ihrer Arbeit behindern. Trizyklische Antidepressiva können bei der Linderung bestimmter Formen von Schmerzen helfen.

Monoaminoxidase-Hemmer, wie Phenelzin, Tranylcypromin und Selegilin-Pflaster, können wirksam sein, werden aber kaum genutzt, außer wenn andere Antidepressiva nicht gewirkt haben.

Ältere Antipsychotika wie zum Beispiel Chlorpromazin, Haloperidol und Thiothixen sind hilfreich bei der Behandlung von psychotischen Störungen wie der Schizophrenie. Neuere Antipsychotika (allgemein als atypische Antipsychotika oder Antipsychotika der zweiten Generation bezeichnet) werden jetzt für gewöhnlich zur anfänglichen Behandlung genutzt. Zu den neueren Antipsychotika zählen unter anderem Aripiprazol, Asenapin, Brexpiprazol, Cariprazin, Iloperidon, Lumateperon, Lurasidon, Olanzapin, Paliperidon, Quetiapin, Risperidon und Ziprasidon. Bei Personen, die auf andere Antipsychotika nicht ansprechen, wird immer öfter Clozapin eingesetzt.

SSRI und angstlösende Medikamente wie Clonazepam, Lorazepam und Diazepam sowie Antidepressiva werden genutzt, um Angststörungen wie eine Panikstörung und Phobien zu behandeln.

Stimmungsstabilisierende Medikamente, wie Lithium, Carbamazepin, Divalproex-Natrium, Valproinsäure und Lamotrigin, werden genutzt, um bipolare Störung zu behandeln. Außerdem können mehrere Antipsychotika zur Behandlung bipolarer Störungen eingesetzt werden. Sie umfassen unter anderem Aripiprazol, Asenapin, Cariprazin, Lurasidon, Olanzapin, Quetiapin, Risperidon und Ziprasidon.

Psychotherapie

In den letzten Jahren gab es auf dem Gebiet der Psychotherapie, das manchmal als Sprechtherapie bezeichnet wird, erhebliche Fortschritte. Durch die Schaffung einer emphatischen und empfangsbereiten Atmosphäre ist der Therapeut oft in der Lage, der Person zu helfen, die Ursache des Problems zu identifizieren und Alternativen im Umgang damit zu erwägen. Das emotionale Bewusstsein und die Erkenntnis, welche die Person durch Psychotherapie gewinnt, resultiert oft in einer Veränderung der Einstellung und des Verhaltens, was es der Person erlaubt, ein erfüllteres und zufriedeneres Leben zu führen.

Eine Psychotherapie kommt bei einer ganzen Reihe von Erkrankungen als wirksame Behandlung infrage. Selbst Menschen, die nicht an einer psychischen Gesundheitsstörung leiden, können von einer Psychotherapie profitieren, wenn es darum geht, mit beruflichen Schwierigkeiten, dem Tod eines nahe stehenden Menschen oder der chronischen Krankheit eines Familienmitglieds fertig zu werden. Gruppen-, Paar- und Familientherapie ist ebenfalls weit verbreitet.

Die meisten Psychiater praktizieren sechs Formen von Psychotherapie:

  • Verhaltenstherapie

  • Kognitive Therapie

  • Interpersonelle Therapie

  • Psychoanalyse

  • Psychodynamische Psychotherapie

  • Unterstützende Psychotherapie

Verhaltenstherapie

Die Verhaltenstherapie umfasst eine Reihe von Methoden, die darauf ausgelegt sind, dem Patienten zu helfen, unangebrachte Verhaltensweisen abzulegen (zum Beispiel Abhängigkeit und die Unfähigkeit, Frustration zu ertragen) und angebrachte Verhaltensweisen zu erlernen (Erfahrungen offen zu begegnen und verantwortungsbewusst zu handeln). Die Konfrontationstherapie, die oft angewendet wird, um Phobien zu behandeln, ist ein Beispiel der Verhaltenstherapie. Bei der Konfrontationstherapie werden Menschen Objekten, Aktivitäten oder Situationen, vor denen sie sich fürchten, in einer sicheren Umgebung ausgesetzt. Ziel ist es, die Angst zu verringern und die Betroffenen dazu zu bringen, dass sie die Angstauslöser nicht mehr vermeiden.

Verhaltenstherapie ist mit der kognitiven Therapie verwandt. Manchmal wird eine Kombination aus beiden, bekannt als kognitive Verhaltenstherapie, angewendet. Die theoretische Basis der Verhaltenstherapie ist die Lerntheorie, welche besagt, dass abnormales Verhalten auf falsch Gelerntem basiert.

Kognitive Therapie

Kognitive Therapie hilft Patienten, Verzerrungen im Denken zu identifizieren und zu verstehen, wie diese Verzerrungen zu Problemen in ihrem Leben führen. Zum Beispiel können Menschen in Extremen denken („Entweder bin ich ein Gewinner oder ein totaler Versager“). Die Prämisse ist, dass die Gefühle und das Verhalten von Personen davon bestimmt werden, wie sie Erfahrungen interpretieren. Durch die Identifizierung der grundlegenden Überzeugungen und Annahmen lernen Patienten, auf andere Weise über ihre Erfahrungen nachzudenken, die Symptome zu vermindern und eine Verbesserung des Verhaltens und der Gefühle zu erreichen.

Interpersonelle Therapie

Die interpersonelle Psychotherapie wurde ursprünglich als kurze psychologische Behandlung von Depressionen angesehen und ist dafür ausgelegt, die Qualität der Beziehungen der depressiven Person zu verbessern. Sie konzentriert sich auf das Folgende:

  • Unbewältigte Trauer

  • Konflikte, die zustande kommen, wenn Personen Rollen übernehmen müssen, die nicht ihren Erwartungen entsprechen (zum Beispiel, wenn eine Frau eine Beziehung aufnimmt in der Erwartung, Mutter und Hausfrau zu sein, und herausfindet, dass sie auch der Hauptgeldverdiener der Familie sein muss)

  • Umstellungen in sozialen Rollen (zum Beispiel der Übergang vom Arbeitsleben in die Rente)

  • Schwierigkeiten bei der Kommunikation mit anderen.

Der Therapeut bringt dem Patienten bei, Aspekte seiner interpersonellen Beziehungen zu verbessern, wie zum Beispiel soziale Isolation zu überwinden und auf andere Personen anders als gewöhnlich zu reagieren.

Psychoanalyse

Psychoanalyse ist die älteste Form der Psychotherapie und wurde von Sigmund Freud in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelt. Der Patient liegt typischerweise vier oder fünf Mal pro Woche auf einer Couch in der Praxis des Therapeuten und versucht zu erzählen, was ihm in den Sinn kommt – eine Methode, die freie Assoziation genannt wird. Der Fokus liegt hauptsächlich darauf, den Betroffenen verstehen zu helfen, wie sich vergangene Beziehungsmuster in der Gegenwart wiederholen. Die Beziehung zwischen dem Patienten und dem Therapeuten ist der wichtigste Teil dieser Ausrichtung. Ein Verständnis davon, wie die Vergangenheit die Gegenwart beeinflusst, hilft dem Patienten, neue und adaptive Wege zu finden, um in Beziehungen und im Arbeitsumfeld zurecht zu kommen.

Psychodynamische Psychotherapie

Die psychodynamische Psychotherapie betont, wie die Psychoanalyse, die Identifizierung unbewusster Muster in gegenwärtigen Gedanken, Gefühlen und Verhalten. Die Person sitzt jedoch normalerweise und liegt nicht auf der Couch und nimmt nur an ein bis drei Sitzungen pro Woche teil. Außerdem liegt der Schwerpunkt weniger auf der Beziehung zwischen dem Patienten und dem Therapeuten.

Unterstützende Psychotherapie

Unterstützende Psychotherapie, welche am weitesten verbreitet ist, beruht auf der emphatischen und unterstützenden Beziehung zwischen der Person und dem Therapeuten. Sie ermutigt dazu, Gefühle auszudrücken, und der Therapeut leistet Hilfe bei der Problemlösung. Problembezogene Psychotherapie, eine Form der unterstützenden Psychotherapie, kann erfolgreich vom Hausarzt eingesetzt werden.

Elektrokrampftherapie

Bei einer Elektrokrampftherapie (EKT; auch Elektrokonvulsionstherapie) werden Elektroden an der Kopfhaut befestigt und unter Betäubung eine Reihe von Stromimpulsen an das Gehirn abgegeben, um kurze Krampfanfälle auszulösen. Diese Methode hat sich konsistent bei der Behandlung schwerer Depressionen als am wirkungsvollsten erwiesen. Viele Menschen, die mit der Elektrokrampftherapie behandelt werden, erleiden einen vorübergehenden Gedächtnisverlust. Entgegen der Darstellung in den Medien, ist die Elektrokrampftherapie sicher und führt nur selten zu anderen Komplikationen. Die Nutzung von Anästhetika und muskelentspannenden Medikamenten haben etwaige Risiken deutlich reduziert.

Andere Therapien mit Hirnstimulation

Andere Therapien, die das Hirn stimulieren, wie die repetitive transkranielle Magnetstimulation und die Vagusnervstimulation, können für Personen mit Depressionen hilfreich sein, die auf andere Medikamente oder Psychotherapie nicht ansprechen. Diese Therapien umfassen die direkte Aktivierung oder Stimulation des Gehirns mit Magnetfeldern oder Implantate, die den Vagusnerv stimulieren. Von den stimulierten Zellen wird angenommen, dass sie chemische Botenstoffe (Neurotransmitter) aussenden, welche dabei helfen, die Stimmung zu regulieren und damit die Symptome der Depressionen lindern.